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Zug um Zug

Österreich ist Bahnland

Die Mobilitätswende, also der Umbau des Mobilitätssystems eines Landes, ist sicherlich ein komplexes gesellschaftliches Vorhaben. Sie bringt tiefgreifende Herausforderungen, aber auch weitreichende Möglichkeiten für alle Wirtschaftsbereiche mit sich. Dieser Umbau ist zunächst mit hohen Kosten verbunden und die Auswirkungen auf die Infrastruktur sind vielschichtig, aber die dadurch geschaffene nachhaltige Gesellschaft ist ein lohnendes Ziel. 

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Weichenstellung für Österreich 

Der öffentliche Verkehr hat in Österreich eine lange Tradition. Die Eisenbahn spielt dabei eine Schlüsselrolle. Während der Habsburgermonarchie trug der Ausbau des Schienennetzes maßgeblich zur Industrialisierung und wirtschaftlichen Integration Österreichs bei. Auch in der Zwischenkriegszeit war das System Bahn ein zentraler Stabilitätsfaktor und das nicht nur als Infrastrukturprojekt: Die Exporte des österreichischen Schienenzulieferer-Sektors sind bis heute ein wichtiger Bestandteil des Wirtschaftsstandorts Österreich. 

Derzeit steht Österreich erneut vor einer entscheidenden Weichenstellung. Diesmal ist die Eisenbahn nicht Triebkraft der Industrialisierung oder des Wiederaufbaus, sondern der Dekarbonisierung. Der Verkehrssektor zählt zu den emissionsintensivsten Bereichen der österreichischen Wirtschaft. Während andere Sektoren seit den 1990er-Jahren Emissionsreduktionen verzeichneten, sind die CO2-Emissionen im Verkehr weiter gestiegen. 

Die Bahn ist dagegen äußerst umweltfreundlich. Sie ist nur für weniger als ein Prozent der Verkehrsemissionen verantwortlich. Während Beschäftigte in der Automobilzulieferindustrie zunehmend mit Unsicherheiten konfrontiert sind, entstehen im Bahnsektor neue Beschäftigungs- und Innovationspotenziale. Der Ausbau der Schieneninfrastruktur, die Produktion moderner Schienenfahrzeuge sowie die Weiterentwicklung des öffentlichen Verkehrs eröffnen wirtschaftliche Chancen und stellen technologische Weichen für eine nachhaltige Zukunft. Österreich verfügt mit seiner traditionsreichen Bahnindustrie, seinen qualifizierten Fachkräften und der bestehenden Infrastruktur über eine solide Basis für diesen Umbau. 

Genaue Einblicke durch Studie 

Um dieses wirtschaftliche und gesellschaftspolitische Potenzial genauer zu verstehen, hat das Institut für die Gesamtanalyse der Wirtschaft an der Johannes Kepler Universität Linz gemeinsam mit der Arbeiterkammer die Studie „Mobilitätswende produzieren“ unternommen. Wir wollen damit eine interdisziplinäre, wissenschaftliche Perspektive auf die Herausforderungen und Potenziale des Schienenausbaus gewinnen. Technologische, wirtschaftliche und soziale Faktoren müssen gleichermaßen berücksichtigt werden, um eine nachhaltige und sozial gerechte Mobilitätswende zu ermöglichen. In unserer Studie analysieren wir insbesondere die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen und Auswirkungen der Mobilitätswende im österreichischen Eisenbahnsektor. Durch Expert:inneninterviews und ökonomische Analysen untersuchen wir, wie die bestehenden Stärken der Bahnindustrie genutzt und zukunftsfähig gestaltet werden können. 

Um die ökonomischen Auswirkungen der Mobilitätswende auf den Arbeitsmarkt, die Wertschöpfung und die Importabhängigkeit abschätzen zu können, haben wir eine sogenannte Input-Output (IO)-Analyse durchgeführt. Diese basiert auf den jährlich von der Statistik Austria erhobenen Daten zu sektoralen Wechselbeziehungen. In diesen Daten wird festgehalten, wie Investitionen in einem Wirtschaftsbereich (z. B. Bahnverkehr) Impulse für andere Bereiche (z. B. Bauindustrie) geben und so Wertschöpfung und Beschäftigung im ganzen Land beeinflussen. Die quantitative Erfassung der IO-Analyse wird ergänzt durch qualitative Interviews mit Betriebsrät:innen und Mitarbeiter:innen österreichischer Firmen, weil sich nicht alle Auswirkungen der Mobilitätswende unmittelbar in der Ausweitung der Wirtschaftsleistung zeigen.  

Berechnung wirtschaftlicher Effekte

Unsere Berechnungen basieren auf dem „Zielnetz 2040“ und untersuchen die sektoralen Effekte eines verstärkten Bahninfrastrukturausbaus in Österreich. In einem der von uns durchgespielten Szenarien erfolgt die Produktion weitgehend innerhalb Österreichs, sodass Wertschöpfung und Beschäftigung maximal im Inland gehalten werden. In einem zweiten Szenario hingegen sind die Produktionskapazitäten begrenzt, sodass bis zu 17 Prozent der Investitionen durch Importe gedeckt werden müssen. Dies führt zu geringeren Beschäftigungs- und Wertschöpfungs­effekten im Inland.

Die Ergebnisse zeigen somit, dass der Bahnsektor nicht nur ökologische Vorteile bringt, sondern auch wirtschaftlich bedeutend ist. Im jährlichen Durchschnitt generieren die Investitionen in den Bahnausbau zwischen 12.000 und 13.000 Jahresarbeitsplätze (Beschäftigungsverhältnisse im Jahresdurchschnitt), insbesondere im Tiefbau, bei Ingenieurdienstleistungen und im Einzelhandel. So entstehen allein im Tiefbau 3.500 zusätzliche Jahresarbeitsplätze, während Ingenieurbüros rund 710 neue Jahresarbeitsplätze verzeichnen. Sektoren wie Einzelhandel, aber auch Beherbergung und Gastronomie profitieren von steigenden Beschäftigungszahlen, da Infrastrukturprojekte häufig zu einer erhöhten Nachfrage führen. Dadurch entsteht eine zusätzliche jährliche Wertschöpfung von 1,3 bis 1,4 Milliarden Euro. Dies entspricht einem Wertschöpfungsmultiplikator von 1,8, da jeder investierte Euro einen wirtschaftlichen Effekt von 1,80 Euro entlang der gesamten Wertschöpfungskette entfaltet. Gleichzeitig gehen diese positiven wirtschaftlichen Effekte mit einem Anstieg der Importe einher, die sich auf rund 344 Millionen Euro pro Jahr summieren würden.

Die Ergebnisse zeigen, dass der Ausbau der Bahnindustrie nicht nur eine Maßnahme zur CO2-Reduktion ist, sondern auch bedeutende Effekte für Wertschöpfung und Entstehung von Arbeitsplätzen hat. Auch zeigt sich, dass Import­abhängigkeiten eine zentrale Herausforderung darstellen können. Während Österreich in der Bahnzulieferindustrie eine starke Position hat, müssen bestimmte nichtmetallische Vorprodukte und elektronische Komponenten für den Ausbau der heimischen Infrastruktur importiert werden. Eine langfristige Strategie zur Reduktion der Importabhängigkeit könnte die regionalwirtschaftlichen Effekte der Mobilitätswende weiter steigern.

Der Blick in die Firmen

Die österreichische Eisenbahnindustrie ist vielfältig und produziert stark exportorientiert, also auch für den sozialen und ökologischen Umbau des europäischen und globalen Verkehrssektors. In unserem Input-Output-Modell kann dies nicht abgebildet werden. Gleichzeitig ist der Bahnsektor ein gutes Beispiel für ökologisch wettbewerbsfähige Produkte und eröffnet damit eine Perspektive für den industriellen Umbau in Österreich. Dennoch gibt es gegenwärtig – besonders im Vergleich zur Automobil-Industrie – kaum Forschung zu den spezifischen, sektoralen Herausforderungen und Chancen der Schienenzulieferer-Industrie im sozialen und ökologischen Umbau. 

Diese Forschungslücke wollen wir füllen, indem wir auch eine qualitative Analyse des Sektors durchführen. Ein zentrales Augenmerk liegt dabei auf den Eigentums- und Machtverhältnissen, die eine entscheidende Rolle für die Handlungsmöglichkeiten der jeweiligen Akteur:innen spielen. Durch Expert:inneninterviews mit relevanten Vertreter:innen aus Gewerkschaften, Arbeitgeberverbänden und der Politik bietet die Studie tiefere Einblicke in die praktischen Herausforderungen und Chancen im Bahnsektor. Dank einer vergleichenden Literaturanalyse und der Analyse der Produktionsstruktur in Österreich können wir bestehende Trends und Potenziale für die Schienenzulieferer-Industrie bewerten.  Dabei wird deutlich: Ein erfolgreicher Umbau des Verkehrssektors in Österreich verlangt auf  EU-Ebene ein Zusammendenken von Infrastrukturpolitik, Industriepolitik, Arbeitsmarktpolitik, Bildungs- und Sozialpolitik, Raumordnung und Klimapolitik. Nur wenn Maßnahmen aus diesen unterschiedlichen Politikfeldern klug miteinander verknüpft werden, können sie sich gegenseitig verstärken. Dies reicht von der Industriepolitik, die internationale Abhängigkeiten reduzieren sollte, bis hin zur Raum­ordnung, die die täglichen Wege und die dazu nötige Infrastruktur im Hinblick auf den sozialen und ökologischen Umbau überdenkt.

Eine bessere Mobilität ist möglich

In unserer Studie wird deutlich, dass die Mobilitätswende in Österreich somit nicht nur ein wichtiger Schritt in Richtung eines nachhaltigen Verkehrssektors ist, sondern auch ein großes Potenzial für den Wirtschaftsstandort Österreich und die Lebensqualität der hier lebenden Menschen birgt. Der Ausbau der Schieneninfrastruktur in Österreich schafft Wertschöpfung und Arbeitsplätze im Land, und die österreichische Wirtschaft könnte zudem von der Mobilitätswende in anderen Ländern profitieren, da Österreich beispielsweise der weltweit viertgrößte Produzent von Schienenfahrzeugen ist. Ein internationales Werben für die Mobilitätswende hätte somit wirtschaftlich günstige Auswirkungen für Österreich. Nicht zuletzt könnte durch den Umbau das Mobilitätsbedürfnis unserer Bevölkerung auf eine nachhaltigere Art und Weise befriedigt werden.