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Zug um Zug

Aktive Industriepolitik schafft gute Arbeitsplätze

In der heimischen Bahnindustrie sind aktuell rund 15.000 Menschen direkt beschäftigt. Weitere 13.000 Arbeitsplätze sind indirekt an die Bahn­industrie gekoppelt. Neben klassischen Gütern wie Schienen, Zügen, Straßenbahnen oder Gleisbaumaschinen werden in Österreich weitere wichtige Komponenten wie etwa elektromechanische Antriebe, Bremsen, Signal- und Sensortechnik, Innenausstattungen oder Softwarelösungen produziert. Darüber hinaus gibt es Bauunternehmen, die sich auf die Bahninfrastruktur, wie Gleisunterbau, Fahrleitungen, Tunnel, Brücken oder Bahnhöfe, spezialisiert haben. Die österreichische Bahnindustrie ist somit breit und gut aufgestellt. Die Beschäftigten sind hoch qualifiziert und der Sektor ist technologisch sehr fortschrittlich, in vielen Bereichen sogar anerkannter Weltmarktführer. Mit dem ÖBB-Zielnetz 2040 verfügt Österreich über eine langfristige Strategie für den Ausbau der Eisenbahninfrastruktur. Die Umsetzung des Zielnetzes wird regelmäßig im ÖBB-Rahmenplan festgelegt. Damit kann die österreichische Bahnindustrie langfristig planen, sofern der politische Wille zur Umsetzung vorhanden ist.  

Die Folgen einer fehlenden Industriestrategie

Viele Sektoren der österreichischen Industrie befinden sich seit drei Jahren in einer Rezession. Die wirtschaftliche Lage ist in weiten Teilen Europas angespannt. Die Entwicklungen der letzten Jahre sind aber nicht nur auf die hohen Energiepreise zurückzuführen. Schlechte Managemententscheidungen, hohe Gewinnausschüttungen und das Fehlen einer industriepolitischen Strategie auf politischer Ebene haben die Krise wesentlich verstärkt. Das müssen nun in erster Linie die Arbeitnehmer:innen ausbaden, die in vielen Fällen um ihre Löhne und Arbeitsplätze fürchten müssen. 

So gab es im vergangenen Jahr leider immer wieder Meldungen über Kündigungen, Lohnkürzungen oder Werksschließungen. Kurz vor Weihnachten 2024 etwa die Insolvenz des Motorradherstellers KTM im oberösterreichischen Mattighofen, von der 3.600 Beschäftigte betroffen sind. Im niederösterreichischen Berndorf wird das Werk des Autozulieferers Schaeffler mit 450 Mitarbeiter:innen geschlossen. Die Krise der Autoindustrie zeigte sich auch beim deutschen Platzhirschen Volkswagen, wo es Ende des Jahres 2024 zu groß angelegten Arbeitskämpfen kam. Die Beschäftigten wehrten sich gegen die massiven Sparpläne des Managements. Durch schlechtes Management, die verschlafene Mobilitätswende und den Fokus auf teure SUVs sollten schwerwiegende Einsparungen bei den Beschäftigten durchgesetzt und deutsche Werke geschlossen werden. Die IG Metall und der Betriebsrat konnten einen völligen Kahlschlag zwar abwenden, mussten aber Zugeständnisse machen. Und das, obwohl Volkswagen weiterhin Milliardengewinne schrieb und hohe Dividenden ausschüttete.

Vom Straucheln der deutschen Autoindustrie ist auch der österreichische Automotive-Sektor betroffen. Hier werden in erster Linie Komponenten gefertigt, die an ausländische Autokonzerne zugeliefert werden. Rund ein Viertel der Produktion ist zudem Verbrennertechnologien zuzurechnen. Es sind somit Produkte mit Ablaufdatum und hoher Abhängigkeit von ausländischen Konzernen. Es fehlt eine aktive und planende Industriepolitik, die den Umstieg auf nachhaltige Produkte fördert, Wertschöpfung hierzulande generiert und den Arbeiter:innen der Industrie eine langfristige Perspektive mit guten Arbeitsplätzen sichert.

Fachkräfte aus der Bahnindustrie

Trotz der aktuellen Industriekrise herrscht schon seit Jahren ein enormer Fachkräftebedarf. Einerseits suchen viele Unternehmen händeringend nach gut ausgebildetem Personal, andererseits sind immer weniger Betriebe bereit, selbst Lehrlinge auszubilden. In vielen Betrieben der Bahn­industrie wird hingegen dem Fachkräftebedarf mit einer modernen Lehrlingsausbildung begegnet. Bei Siemens wurden im letzten Jahr über 100 Lehrlinge eingestellt, die meisten davon werden bei Siemens Mobility Austria an den Schienenfahrzeugen der Zukunft arbeiten. Die ÖBB suchen heuer wieder über 600 Lehrlinge, die in 26 verschiedenen Lehrberufen in ganz Österreich ausgebildet werden. Mit über 2.000 Lehrlingen gehören die ÖBB zu den größten und beliebtesten Ausbildungsbetrieben Österreichs.

Auch auf akademischer Ebene gibt es in Österreich Angebote, die speziell auf die Bahnindustrie ausgerichtet sind. Die FH Sankt Pölten bietet ab Herbst 2025 den neuen Bachelor-Studiengang  „Schienenfahrzeugtechnologie“ an, der die schon bestehenden Studiengänge „Bahntechnologie und Mobilität“ und „Bahntechnologie und Management von Bahnsystemen“ ergänzt. Diese Spezialisierung auf Schienenfahrzeuge ist einzigartig im deutschsprachigen Raum. Der Bahnindustrie gelingt es auf verschiedenen Ebenen, Fachkräfte auszubilden und langfristig gute Arbeitsplätze zu schaffen.

Wie kann ein „Steyr 2.0“ verhindert werden?

Was mit einst großen österreichischen Industrien, die vielen Tausenden Menschen gute Arbeitsplätze gesichert haben, passieren kann, lässt sich gut am Beispiel von Steyr zeigen. Die frühere Steyr-Daimler-Puch AG war einst ein bedeutender Leitkonzern und als Teil der verstaatlichten Industrie einer der größten Arbeitgeber Österreichs. Die Privatisierungswelle der 1980er-Jahre führte zu einer Zerstückelung, bei der sich große Konzerne (BMW, MAN, Magna) Teile des Unternehmens zu äußerst niedrigen Kaufpreisen sicherten.

Im Jahr 2020 stand das Werk in Steyr plötzlich wieder im Fokus: Die Lkw-Produktion von MAN am Standort Steyr sei zu teuer – in Polen oder der Türkei könnten Lkw wesentlich billiger hergestellt werden, hieß es damals aus der Konzernleitung. 2.300 Beschäftigte standen vor dem Verlust ihres Arbeitsplatzes, noch einmal so viele wären als Beschäftigte der Zulieferindustrie von der Schließung betroffen. Obwohl die Auftragsbücher voll waren und hohe Dividenden an Aktionär:innen ausgeschüttet wurden, blickte die Belegschaft in eine ungewisse Zukunft. Bei einem Warnstreik im Oktober 2020 brachten rund 4.000 Menschen in Steyr ihren Unmut über die Konzernführung zum Ausdruck. Schon damals wurden politische Maßnahmen gefordert, um die Entwicklung von Zukunftstechnologien zu begleiten, den Standort zu erhalten und Arbeitsplätze nachhaltig zu sichern.

Es folgte ein Angebot des Industriellen Sigi Wolf. Er sprach davon, dass ohne seine Übernahme ein „Detroit in Österreich“ drohe. Von einer Rettung der Arbeitsplätze konnte allerdings keine Rede sein, denn sein Angebot sah Hunderte Kündigungen sowie Lohn- und Gehaltskürzungen vor. In einer Urabstimmung der Belegschaft sprachen sich knapp 64 Prozent gegen die Übernahme des Investors aus. Doch Wolf legte ein zweites Angebot nach: „nur“ 500 Kündigungen, Lohn- und Gehaltskürzungen blieben aufrecht – und er erhielt den Zuschlag. Die Produktion sollte jetzt in Richtung Elektro-Lkws umgestellt werden. Ein bitterer Beigeschmack bleibt. Konzerne, die trotz hoher Gewinne auf noch mehr kurzfristige Dividenden drängen, erhöhen den Druck auf die Beschäftigten. Unter Androhung des Arbeitsplatzverlustes werden schlechtere Bedingungen aufgezwungen und die Mitbestimmung der Belegschaft ist dem Management offenkundig wenig wert. Die Politik schaute dem Ausverkauf bestenfalls zu, statt ihm entgegenzuwirken. 

Konversion: Neue Wege für Österreichs Industrie

Können genau diese Disruptionen nun neue Wege nach vorne eröffnen? Zu einer Konversion der Industrie in Österreich?  Dazu bedarf es mehr als eines neuen Investors. Die Idee eines Green Mobility 
Hubs in Steyr stand wiederholt im Raum, doch seine Proponent:innen kämpften stets auf verlorenem Posten. Es fehlte an politischer Vorstellungskraft, wie die Industrie zum Wohle aller gestaltet werden kann. Wie sie zur Stärkung des Standortes Österreich, zur Sicherung der regionalen Infrastruktur, für Jobchancen und Wertschöpfung genutzt werden kann und soll.  

Aus Sicht der Arbeitnehmer:innen ist klar: Eine Transformation bestimmter Wirtschaftsbereiche, allen voran der Automobilindustrie, ist unumgänglich und bereits in vollem Gange. Dies zu leugnen und ohne nachhaltige Zukunftsideen den letzten Tropfen Profit aus veralteten und klimaschädlichen Technologien herauspressen zu wollen, ist kurzsichtig und wird insbesondere für die Beschäftigten viele nachteilige Folgen haben. Nach dem Motto „Wir wollen den Wandel mitgestalten, nicht seine Folgen verwalten“ sind drei Forderungen zentral, um in den aktuellen Transformationsprozessen niemanden zurückzulassen: erstens eine Qualifizierungsoffensive, die Perspektiven schafft und Lebensstandards sichert; zweitens eine verstärkte Forcierung regionaler Wertschöpfungsketten (aufbauend auf dem „Made-in-Europe-Bonus“); und drittens ausreichend arbeitsmarktpolitische Mittel, um die Transformationen in den Betrieben abseits der Dekarbonisierung, wie etwa die zunehmende Digitalisierung, zu unterstützen. Derartige Prozesse lassen sich nur demokratisch verwirklichen: von der Einbeziehung des Betriebsrates über regionale, kommunale Akteur:innen bis hin zur Bundespolitik.

Österreich als Land der Mobilitätswende-Industrie

Die österreichische Bahnindustrie ist ein Zukunftssektor und bietet eine große Chance für die nachhaltige Mobilitätswende. Das benötigte Know-how ist ebenso vorhanden wie die Produktionsstätten. Österreich kann hier Vorreiter sein und zum Zentrum für die Technologien der Mobilitätswende werden. Es gilt daher, sowohl die österreichischen Verkehrsziele aus dem ÖBB-Zielnetz 2040 umzusetzen als auch auf europäischer Ebene für ein Bekenntnis zum Ausbau des öffentlichen Verkehrs einzutreten. Die Beschäftigten der Bahnindustrie können sehr viel leisten, aber es braucht politischen Willen, sie dabei zu unterstützen. Mit einer gut abgestimmten Industrie-, Verkehrs-, Arbeitsmarkt- und Bildungspolitik kann dieser Sektor weiter wachsen und vielen Beschäftigten der Industrie langfristige und gute Arbeitsplätze sichern.