Interview: „Die Europäische Union muss nun Geschlossenheit und Handlungsfähigkeit zeigen“

Österreich befindet sich in der längsten Rezession seit dem Zweiten Weltkrieg, auch die Arbeitslosigkeit ist zuletzt gestiegen. Die neue österreichische Bundesregierung will jetzt gegensteuern. Wie geeignet sind ihre Maßnahmen? 

Die beschlossenen Maßnahmen sind ein erster Schritt in die richtige Richtung. Trotz geplanter Budgetkonsolidierung ist es nämlich auch gelungen, Offensivmaßnahmen für Standort und Beschäftigung im Regierungsprogramm zu verankern. So ist etwa geplant, die Genehmigungsverfahren für den dringend notwendigen Ausbau der Energienetze zu beschleunigen. Impulse zum Vorziehen von Investitionen zur Konjunkturbelebung 2025 sind ebenfalls eine notwendige Maßnahme, um die Konjunktur anzukurbeln. Zusätzlich soll es ein Standortpaket für Innovation, Internationalisierung und Fachkräfte geben, konkretere Details zur Ausgestaltung sollen bald folgen. Dass das Standortpaket absolute Priorität hat, ist ein wichtiges Signal für Wirtschaft und Beschäftigte. Positiv ist auch, dass es letztlich gelungen ist, bei der Budgetsanierung die „breiten Schultern“ zu beteiligen. 

Was müsste über den Maßnahmenkatalog der Regierung hinaus geschehen?

Der ÖGB hat bereits vor über einem Jahr zahlreiche Vorschläge zur Belebung der Konjunktur gemacht. Im 10-Punkte-Plan für Standort und Beschäftigung fordert der ÖGB beispielsweise eine Bank, die günstige Kredite für den Wohnbau vergibt, um so leistbares Wohnen zu gewährleisten.  Weitere Maßnahmen sind notwendig, um erneuerbare Energien und den öffentlichen Verkehr auszubauen. Der akute Personalmangel im Gesundheits- und Pflegesektor erfordert dringend Investitionen in bessere Arbeitsbedingungen und eine faire Bezahlung. Aber auch mehr finanzielle Mittel für Gemeinden werden notwendig sein, um Investitionen in Schulen, Kinderbildungsplätze und Pflegeeinrichtungen durchführen zu können. 

Vielen Menschen bereitet aktuell die internationale Entwicklung große Sorgen. Die Regierung Trump bringt die Weltkonjunktur in Gefahr und es scheint, als würde nun die frühere, auf Regeln basierende, Welthandelsordnung außer Kraft gesetzt. Wie darauf reagieren? 

Eine Eskalation soll unbedingt vermieden werden. Die Europäische Union muss nun Geschlossenheit und Handlungsfähigkeit zeigen. In Verhandlungen mit den USA dürfen jedoch regulatorische Standards nicht aufgeweicht oder neue, problematische Abhängigkeiten geschaffen werden. Gleichzeitig muss durch eine aktive Industriepolitik mit gezielten Investitionen der Binnenmarkt gestärkt und Abhängigkeiten reduziert werden. Dies sollte im Rahmen einer sozialen und ökologischen Transformation geschehen, um nachhaltige Wirtschaftsstrukturen zu fördern. Allerdings stellen die derzeitigen Fiskalregeln ein erhebliches Hindernis dar, das überwunden werden muss, um die notwendigen Investitionen zu ermöglichen. Eine Reform dieser Regeln ist daher essenziell.

Der Europäische Gewerkschaftsbund betont, dass die strengen Fiskalregeln nicht nur für 
die Rüstung gelockert werden sollten, sondern auch Geld für Investitionen in anderen Industriezweigen frei gemacht werden muss. Was fordert der ÖGB für Österreich? 

Die seit letztem Jahr geltenden neuen Fiskalregeln zwängen die europäischen Staaten in ein enges Korsett, aus dem es sich zu befreien gilt. Aus Sicht des ÖGB braucht es dringend Änderungen bei den Fiskalregeln, beispielsweise die Einführung einer goldenen Investitionsregel für soziale und ökologische Investitionen in unser aller Zukunft, das heißt die Herausnahme von öffentlichen Investitionen (den „Zukunftsinvestitionen“) aus der Berechnung von Defiziten und Schulden.

Wird nicht gerade jetzt viel zusätzliches Geld für den ökologischen und sozialen Umbau benötigt? 

Die ökologische und soziale Transformation ist eine der größten Herausforderungen unserer Zeit. Dafür sind hohe Investitionen notwendig, deshalb wäre die goldene Investitionsregel auch so wichtig. Es geht dabei nämlich auch darum, wichtige Investitionen jetzt zu tätigen, um eine gute Zukunft für die nächsten Generationen zu sichern. 

Abseits der komplexen sicherheitspolitischen Fragen, profitiert Österreichs Rüstungsindustrie von der europäischen Aufrüstung überhaupt nennenswert, oder ist dieser Industriezweig für das Land ökonomisch nicht längst vernachlässigbar? 

Die Erhöhung der Verteidigungsausgaben in der EU ist eine Reaktion auf die veränderte geopolitische Lage, unter anderem auf den Krieg in der Ukraine. Um den Frieden in Europa langfristig zu sichern, ist eine Stärkung der Sicherheits- und Verteidigungsindustrie sowie der strategischen Autonomie der EU leider alternativlos. Österreichs Rüstungsindustrie ist im europäischen Vergleich relativ klein, aber keineswegs ökonomisch vernachlässigbar. Im Bereich Sicherheits- und Verteidigungswirtschaft gibt es rund 10.000 direkt Beschäftigte und rund 20.000 indirekt Beschäftigte. In der Folge der zunehmenden europäischen Ausgaben für Sicherheit und Verteidigung ist die Nachfrage nach Hightech-Komponenten oder spezifischen Nischenprodukten gestiegen. FJ