Schwerpunkt

Jugend und Klima

Welches Klima wollen wir in Österreich haben?

Sowohl bei Befragungen der Statistik Austria als auch des Umweltbundesamtes wurden in den letzten drei Jahren der Klimawandel, die Zerstörung von Natur und Landschaft, sowie der zunehmende Verkehr und Ressourcenverbrauch als die vordringlichsten Umweltprobleme genannt. Ein Viertel gibt an, sein Verhalten bereits auf Nachhaltigkeit hin umgestellt zu haben und rund zwölf Prozent haben vor, dies in Zukunft zu tun. Wenn es aber um konkrete Veränderungen im Mobilitätsbereich geht, sind die Österreicher:innen eher zurückhaltend. Dabei ist der Verkehr nicht nur das größte Problem bei der Bewältigung des Klimawandels, sondern auch jener Bereich, bei dem jeder Einzelne sehr unmittelbar die Treibhausgas Emissionen reduzieren kann. Die Emissionen des Verkehrs haben bislang nicht abgenommen und der Verbrauch an Benzin und Diesel für den privaten Autoverkehr ist im vergangenen Jahrzehnt um rund sieben Prozent nur marginal gesunken. Stellt sich die Frage: Wenn so breite Teile der Bevölkerung das Problem durchaus wahrnehmen, warum passiert dann so wenig?

Forderungen nach echten Veränderungen im Sinne einer wirksamen Klimapolitik wurden in den vergangenen Monaten vor allem von Jugendlichen immer vehementer vertreten. So gesehen befinden wir uns mitten in einer mehrfachen Krise – oder wie der Duden angibt: in einer schwierigen Situation, die den Höhe- und Wendepunkt einer gefährlichen Entwicklung darstellt. Wie Jugendliche die Themen Klimawandel und Mobilität sehen wird im nächsten Artikel dargestellt. In diesem geht es darum, wie diese Proteste in einem größeren Bild einzuordnen sind. Denn vieles von dem was wir momentan gesellschaftlich und politisch erleben, überrascht wenig, wenn man sich mit der Dynamik von Krisen beschäftigt und vor allem damit, wie wir Menschen aufgrund unserer emotionalen und geistigen Eigenheiten mit solchen Herausforderungen umgehen.

Obwohl das Problem bekannt ist, ändert sich nur wenig

In einer weltweiten Befragung hat die Universität von Yale herausgefunden, dass in etwa 95 Prozent der Bevölkerung der Meinung sind, dass der Klimawandel tatsächlich passiert, aber nur rund 50 Prozent glauben, dass dieser überwiegend vom Menschen gemacht wird. Fast die Hälfte ist der Meinung, dass dieser zumindest teilweise ein natürlicher Vorgang sei und auch ohne unser Zutun passiert wäre.  Auch wenn über die Ursachen noch Uneinigkeit herrscht, sagen dennoch ein Großteil der Befragten, dass sie wegen des Klimawandels besorgt sind und dass sie mehr Informationen brauchen würden.

Diese Ergebnisse lassen viel Interpretationsspielraum zu. Es zeichnet sich aber ab, dass Meinungen oft sehr wenig mit Fakten gemein haben. Ein Umstand, den wir gerne verleugnen. Die Faktenlage ist recht eindeutig: Im Dezember 2019 hat ein Forscherteam der Universität Kalifornien in Berkeley eine Untersuchung veröffentlicht, bei der Klimaprognosen seit den 1970ern mit der später real eingetroffenen Situation verglichen wurden. Basis für die Prognosen waren die durch den Menschen verursachten CO2 Emissionen. Berücksichtigt man, dass damals auch die CO2 Konzentrationen unklar waren und z.T. von den späteren Werten abgewichen sind, so zeigt sich, dass 14 der 17 Modelle die Realität korrekt vorhergesagt haben. Aus dieser Warte gibt es also wenig Chancen, dass sich die Klimaprognosen doch noch als zu dystopisch herausstellen. Womit wir Menschen uns in unserer Beurteilung aber so schwer tun ist, dass der Klimawandel nicht linear ist, sondern Wahrscheinlichkeiten verschiebt. So werden Dürren etwa 10-mal häufiger als ohne Klimawandel. 

Komplexe Systeme geraten ins Wanken

Taucht man tiefer in die Thematik ein, zeigt sich, dass hier ganze Systeme aus dem Gleichgewicht geraten und durch unsere globale Art des Wirtschaftens noch zusätzlich unter Druck kommen. Deutsche Forscher berichten darüber, dass es für Bäume zu einer Verkettung von „Stressoren“ kommen wird: Trockenheit setzt diese unter Stress, sie werden anfälliger für Schädlinge wie etwa Pilze. So wird in Deutschland seit 2002 beobachtet, dass große Bestände der Esche durch einen aus Asien eingeschleppten Pilz vernichtet werden, in Schweden gilt der Eschenbestand mittlerweile als gefährdet. Welche Konsequenzen dies hat, wird derzeit intensiv untersucht. Forschungen haben ergeben, dass nahezu 500 Flechten, Pilze und Insekten auf den Wurzeln, Stämmen, Ästen und Blättern der Esche leben und damit ebenfalls stark bedroht sind.

Viele denken, dass mit der Einführung der Elektromobilität die Probleme des Autoverkehrs wie weggeblasen seien. Eine Untersuchung der Universität für Bodenkultur kommt 2022 allerdings zum Schluss, dass der Reifenabrieb der Kraftfahrzeuge für etwa die Hälfte des gesamten Mikroplastikeintrags in die Umwelt verantwortlich ist. Das bedeutet, jährlich wird durch kleinste Reifenpartikel so viel Mikroplastik in unser Trinkwasser, unsere Böden und unsere Luft eingebracht, wie es in etwa einer Milliarde Plastiksackerl entspricht. Einfach gesagt: wir essen, trinken und atmen den Gummi der Reifen ein. Wie sich diese Partikel, die zum Teil hormonell wirken, auf die menschliche Gesundheit auswirken, ist bislang nicht ausreichend erforscht. 

Diese Beispiele verdeutlichen, dass die Klimakrise nur die Spitze des Eisbergs ist. Insgesamt steht unser Leben und Wirtschaften ganz grundsätzlich in Frage, denn eine simple CO2 Reduktion ist anders als beim FCKW zum einen schwer umsetzbar und wird zum anderen die vielen weiteren Probleme unseres enormen Ressourcenverbrauchs nicht lösen. Aktuell haben wir in Österreich bereits ab April mehr natürliche Ressourcen verbraucht als die Erde liefern kann. Den überwiegenden Teil des Jahres beuten wir also Rohstoffe aus, die künftigen Generationen und Menschen in anderen Erdregionen fehlen werden. 

Wir reagieren wie vor 100.000 Jahren

Diese unangenehmen Wahrheiten werden von uns zumeist als Bedrohung für unser Leben bzw. unseren Lebensstil wahrgenommen. Betrachtet man unseren Umgang mit Gefahren aus der Perspektive der Entwicklungsgeschichte des Menschen – also anthropologisch – so reagieren wir auf diese noch ganz genauso wie vor 100.000 Jahren: mit Angriff, Flucht oder Erstarrung. Unsere geistigen und emotionalen Bewältigungsstrategien haben den Hauptzweck unser subjektives Wohlbefinden aufrecht zu erhalten, wenn auch nur kurzfristig. Ein sehr guter Überblick über all diese psychologisch gut erforschten Mechanismen ist auf der Seite www.psychologistsforfuture.org zu finden. Unter anderem haben die Autoren dort Studien zusammengetragen, die zeigen, dass wir diesen Widerspruch zwischen dem Wissen um den Klimawandel und dem Wunsch unseren gewohnten Lebensstil beizubehalten, nur schwer aushalten. Man nennt dies kognitive Dissonanz. Wir lösen diese durch Verleugnung oder Bagatellisierung auf, oder aber, indem wir unseren Anteil am Klimawandel herunterspielen. Proteste, die uns diese unangenehmen Tatsachen vor Augen führen, rütteln nicht nur an unserem Weltbild, sondern wir fühlen uns auch in unserem Selbstbild angegriffen. Dies löst nicht selten Wut aus und wir wehren uns mit einem Gegenangriff. Thomas Slunecko, Professor an der Fakultät für Psychologie der Universität Wien, sagt diesbezüglich in einem Interview in der Wiener Zeitung: „Die meisten Menschen geben den affektiven Zuständen und der Wut ständig weiter Nahrung, wie ein Feuer, das ständig weiter brennen muss, damit sie nicht von der Wut herunter, das heißt wieder zum Denken oder zum Dialog kommen müssen.“

Anthropologisch gesehen hat unser Gehirn noch dieselbe Form und Größe wie vor 35.000 Jahren. Forscher:innen gehen davon aus, dass sich unsere Denkfähigkeiten seit damals nicht grundlegend verändert haben. Das bedeutet aber auch, dass wir mit komplexen Fakten nicht besonders gut umgehen können. Das beginnt schon damit, dass wir dazu neigen, Informationen so aus­zuwählen und zu interpretieren, dass sie unsere Weltsicht stützen. Man nennt das „confirmation bias“ und es gibt eine ganze Reihe von sogenannten Urteilsheuristiken, die dazu führen, dass wir Sachverhalte falsch einschätzen. Ein Beispiel dafür ist das Argument, dass wir eh nichts machen können, solange die Chinesen nichts tun, weil diese für fast 30 Prozent des weltweiten CO2 Ausstoßes verantwortlich sind. Nicht berücksichtigt wird dabei, dass ein US-amerikanischer Bürger im Schnitt doppelt so viel CO2 verursacht wie ein Mensch, der in China lebt. Auch die komplexen Wechselbeziehungen durch den Welthandel und die Klimabilanz werden dabei ausgeblendet. Nimmt man statt den Staatsgrenzen Vermögensgrenzen als Bezugsrahmen, zeigt sich ein ganz anderes Bild der Hauptverursacher der Klimakrise: 50 Prozent der weltweiten CO2 Emissionen werden von den reichsten 10 Prozent der Erdbewohner:innen verursacht! 

Oft übersehen wir auch, dass unsere Weltsicht sehr wesentlich von Mitmenschen und Vorbildern geformt wird. Schon 1968 konnten Forscher:innen bei einem Versuch die Abhängigkeit des Verhaltens in einer Gefahrensituation von Vorbildern aufzeigen. Sie leiteten Rauch in ein Zimmer, in dem Versuchspersonen einen Test bearbeiteten. Wenn diese allein waren, dann reagierten 75 Prozent der Personen angemessen, indem sie Hilfe holten und den Rauch meldeten. Waren sie aber im Raum mit einer anderen Person, die auf den Rauch nicht reagierte, so unternahmen nur noch zehn Prozent entsprechende Handlungen. Ähnliches passiert auch in der Frage der Bewältigung der Klimapolitik und es wird schnell klar, dass hier sowohl Macht und Ressourcen, als auch die politische Vorbildwirkung eine wichtige Rolle bei der Meinungsbildung spielen.

Krisen sind immer eine Erschütterung unseres gewohnten Lebens aber sie verlaufen auch nach bestimmten Mustern. In der Forschung haben sich Modelle mit vier bis fünf verschiedenen Phasen etabliert, wobei diese Phasen nicht streng nacheinander ablaufen und sich auch wiederholen können, wenn sie nicht ganz abgeschlossen wurden. Am Beginn steht in der Regel die Verleugnung, wir versuchen am Status Quo festzuhalten. Eine weitere Phase ist jene der Wut, erst danach kommt die eigentliche Auseinandersetzung mit der Krise und die Suche nach Lösungen. Zum Schluss kommt es dann – bei erfolgreicher Bewältigung – zur Akzeptanz und Neuorientierung. Aus erfolgreich bewältigten Krisen gehen wir in der Regel stärker hervor. Bei der Frage des Mobilitätswandels ist dieses Modell gut erkennbar: Im Grunde verleugnen wir notwendige Veränderungen noch zum Großteil, reagieren mit Wut oder machen irgendwie weiter bzw. verharren.

Durch den Dialog Differenzen beilegen

Die Proteste der letzten Monate zeigen genau diese unbequemen Dinge auf. Klar ist aber: Verleugnung wird uns nicht helfen, die Krise zu bewältigen. Wir müssen alle gemeinsam an Lösungen arbeiten und uns der unbequemen Wahrheit stellen. Solidarität war in der Nachkriegszeit ein entscheidender Faktor, um Europa nach der Zerstörung wieder aufzubauen. Sie ist heute die wichtigste Voraussetzung, um die Zerstörung unserer Lebensgrundlagen zu verhindern. Damit entscheidet jeder von uns mit, welches gesellschaftliche Klima wir in diesen herausfordernden Zeiten pflegen und wie wir die Klimakrise bewältigen können. 

Die österreichische Bundesregierung hat sich dazu bekannt, bis 2040 Klimaneutralität zu erreichen und die Krise auch als Chance für Gerechtigkeit und mehr Vertrauen in die Politik zu nutzen. Aus dieser Sicht wird klar, dass die Proteste von Jugendlichen einen legitimen Aspekt in der Bearbeitung der Krise darstellen. Dass es „die Jugendlichen“ nicht gibt, sondern junge Menschen mit unterschiedlichen Bedürfnissen und Ansprüchen und wie es gelingen kann die Jugendbeteiligung an politischen und gesellschaftlichen Prozessen zu verbessern, beleuchten die nachfolgenden Artikel.