Schwerpunkt
Umwelt und Gesundheit
Umwelt und Gesundheit – eine Herausforderung
Umweltschutz trägt vielfach auch zu guter Gesundheit bei, eine intakte Natur ist eine grundlegende Voraussetzung für individuelles Wohlbefinden. Das betrifft nicht nur die funktionierende Versorgung mit sauberem Wasser, gutem Essen und unbelasteter Luft. Die Folgen der Pandemie haben uns einmal mehr vor Augen geführt, dass der direkte Zugang zu Naherholungsräumen entscheidend ist, um auch in schwierigen Zeiten im körperlichen und seelischen Gleichgewicht zu bleiben. Auch diese Zusammenhänge haben dem Umwelt- und Klimaschutz in den letzten Jahren zu mehr politischem Gewicht verholfen. Die Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit und das Wohlbefinden sind beim Schutz von Waldressourcen, des Klimas oder der Biodiversität heute ein zentrales Thema. Das wird auch im Zuge der Ausarbeitung der Österreichischen Gesundheitsziele betont (siehe Kasten rechts).
Durch Fortschritte beim naturwissenschaftlichen Forschungsstand werden gleichzeitig die Zusammenhänge zwischen Umwelt und Gesundheit immer besser verstanden und somit die Belastungen für den Menschen, von Feinstaub bis zu hormonell wirksamen Substanzen, besser kontrollierbar. In einer Welt, die sich nicht zuletzt durch technologische Innovationen dynamisch verändert, gilt es, die Risiken, die von Umwelteinflüssen auf den menschlichen Organismus ausgehen, möglichst zuverlässig zu beurteilen. Dabei müssen jedoch auch individuelle Faktoren, der vorherrschende Lebensstil oder Wechselwirkungen mit anderen Umwelteinflüssen berücksichtigt werden. Ohne adäquate Risikoabschätzungen ist es heute in vielen Bereichen kaum noch vorstellbar, die gesellschaftlichen Naturverhältnisse gesundheitsfördernd zu gestalten.
So ist beispielsweise immer noch nicht gänzlich geklärt, wodurch die Corona-Pandemie verursacht wurde. Am wahrscheinlichsten ist, dass das COVID-19-Virus von Wildtieren auf den Menschen übertragen wurde. Der Weltbiodiversitätsrat warnte bereits vor dem Ausbruch der Corona-Pandemie im 2019 erschienenen Bericht, dass weniger Lebensraum für Tiere sogenannte zoonotische Krankheiten wie SARS oder Schweinegrippe verursachen könnten.
Diese Erkenntnisse zeigen, wie wichtig der Schutz der Biodiversität ist, damit Ökosysteme gut funktionieren können. Die Wissenschaft vermutet, dass derzeit schätzungsweise 1,7 Millionen unentdeckte Viren in Säugetier- und Vogelwirten existieren, wovon ungefähr ein Drittel auf den Menschen übertragen werden könnten. Der Weltbiodiversitätsrat weist in einem Sonderbericht darauf hin, dass Störungen des ökologischen Gleichgewichts und nicht nachhaltiger Konsum das Pandemierisiko verstärken können. Vor allem die Rodung von Wäldern, intensive Landwirtschaft und Wildtierhandel werden dabei als Treiber ausgemacht, was auch die Klimakrise zusätzlich befeuert. Pandemie- und Klimarisiko könnten mit weniger Fleischkonsum deutlich gesenkt werden, sind sich die Expert*innen einig.
Zuletzt haben die Wechselwirkungen zwischen Gesundheit, Umwelt und sozialen Fragen durch die UN-Nachhaltigkeitsziele einen neuen Aufwind bekommen. Einer WHO-Studie aus dem Jahr 2016 zufolge waren 2012 beinahe ein Viertel der weltweiten Todesfälle auf die Umweltbedingungen zurückzuführen, in der EU bzw. Europa immerhin rund einer von sieben. Bei dieser Schätzung wurden nicht nur die veränderbaren Faktoren der Luft-, Boden- und Wasserverschmutzung sowie von Strahlung und Lärm berücksichtigt. Auch Berufsrisiken, landwirtschaftliche Methoden, der menschenverursachte Klima- und Ökosystemwandel, die gebaute Umwelt und Verhaltensweisen, die auf bestimmten Umweltbedingungen beruhen – z.B. auf der Verfügbarkeit von sauberem Wasser zum Händewaschen oder auf städtebaulichen Rahmenbedingungen – fließen darin mit ein. Ein gewisses Maß an Umweltverschmutzung ist zwar unvermeidbar. Die Möglichkeiten zur Veränderung jener Aspekte, die politisch gestaltbar sind, sollten aber besser genutzt werden. Die aktuelle Pandemie führt mit ihren drastischen Konsequenzen die Dringlichkeit dieser Forderung vor Augen.
Ein globales Problem
Auch die europäische Umweltagentur (EEA) beruft sich in ihren Analysen auf die Zahlen der WHO. Bis heute bestehen zwischen den Staaten in dieser Region große Unterschiede, wie sich die Umweltbedingungen auf die Mortalität auswirken. Während z.B. in Norwegen und Island jeweils nur rund 9 Prozent der Todesfälle im Jahr 2012 mit der Umwelt in Zusammenhang gebracht werden, sind es in Albanien 23 und in Bosnien-Herzegowina sogar 27 Prozent. In absoluten Zahlen werden allein innerhalb der EU 630.000 Todesfälle im Jahr 2012 auf die Umweltbedingungen zurückgeführt. Die umweltbedingten Krankheiten reichen dabei von Krebs über Herz-Kreislauf- und Atemwegserkrankungen bis zu neurologischen Störungen. Sowohl die Umweltstressoren als auch deren Gesundheitsfolgen können freilich auch kombiniert auftreten. Gerade in Städten kommen mehrere Stressoren wie Luftverschmutzung, Lärm und Grünraummangel zusammen. Man geht davon aus, dass der Bevölkerung in den EU-28 durch umweltbedingte Krankheiten 20 Millionen gesunde Lebensjahre verloren gehen, wobei Luftverschmutzung und Lärm die schwerwiegendsten Auswirkungen haben. Zukünftig könnten aber auch Hitzewellen zu einer wesentlich größeren Belastung werden und zu mehr als 130.000 Todesfällen pro Jahr führen. Zu berücksichtigen ist dabei allerdings, dass unter anderem die Auswirkungen von Chemikalien oder die gesundheitlichen Effekte des Klimawandels abseits der direkten Auswirkungen von Hitze vielfach schwer zu schätzen sind.
Handlungsbedarf in der EU
In der Europäischen Union gibt es bereits viele Rechtsvorschriften, die den Schutz der Umwelt und der menschlichen Gesundheit verfolgen. Dennoch braucht es noch mehr davon, wie die Europäische Umweltagentur in ihrem Bericht „Die Umwelt in Europa – Zustand und Ausblick 2020“ ausführt. Die Autor*innen fordern umfassende Verbesserungen für die Schutzgüter Wasser, Luft, Boden und Biodiversität und weisen auf die globale Dimension des Problems hin. Damit Europa seinen hohen Ressourcenverbrauch decken kann, ist es von Ressourcen wie Wasser, Land, Biomasse sowie andere Materialien aus allen Teilen der Welt abhängig. So haben Produktion und Konsumverhalten der Europäer*innen auch anderswo Umweltauswirkungen. Die Kommission greift diese Empfehlungen auf und erarbeitet derzeit einen „Aktionsplan für Nullemissionen“ zum Schutz von Wasser, Böden und Luft. Bereits jetzt könnten die Mitgliedsstaaten aber mehr tun, um die bestehenden Umweltstandards besser einzuhalten – dann wären zahlreiche Vertragsverletzungsverfahren nicht mehr notwendig: So wurden beispielsweise von der Kommission 31 Verfahren gegen insgesamt 18 Mitgliedstaaten im Zusammenhang mit der Umsetzung der Luftqualitäts-Richtlinie eingeleitet.
Ein Ziel des Aktionsplans wird es sein, die Belastung der menschlichen Gesundheit und der Umwelt durch persistente und toxische Chemikalien, Pestizide, Stickstoff oder Mikroplastik noch weiter zu reduzieren. Hier wäre es zielführend, bereits bei der Produktzulassung einen noch strengeren Blick anzuwenden, unter anderem um den Trinkwasserschutz zu stärken. Zunehmend wird die Belastung der Trinkwasserressourcen nämlich durch Rückstände von Pestiziden und deren Abbauprodukten zum Problem. Bereits vorhandene EU-Rechtsvorschriften zum Schutz des Wassers, des Bodens und der Luft (Wasserrahmenrichtlinie, Nitrat-Richtlinie, Industrie-Emissionsrichtlinie, etc.) noch konsequenter umzusetzen, wäre bereits ein erster Schritt, um den Schutz von Umwelt und Gesundheit zu verbessern. Im Bereich der Landwirtschaft sind sowohl die Mitgliedsstaaten als auch die Kommission gefordert, darauf zu achten, dass die Landwirtschaft zukünftig keine Verunreinigungen mehr verursacht und somit auch die Biodiversität geschützt wird.
Eine Frage der Gerechtigkeit
Obwohl in Europa viele Umweltbelastungen in den letzten Jahrzehnten durch strengere Umweltgesetze reduziert werden konnten, können einzelne Bevölkerungsgruppen weiterhin stark belastet sein. Umweltbezogene Ungleichheit ist vielfach eng mit sozialer Ungleichheit verbunden. Neben mehr empirischer Evidenz zu umweltbezogener Ungleichheit bedarf es daher auch einer politischen Diskussion zu Umweltgerechtigkeit in Europa. Die Europäische Umweltagentur hat die Frage, wie Umweltrisiken und -nutzen in der Bevölkerung verteilt sind und Gesundheitschancen mitbestimmen, bereits im Blick. Zu berücksichtigen ist dabei, dass die verwundbarsten Menschen auch am stärksten von Umweltstressoren getroffen werden. Vermeidbare gesundheitliche Auswirkungen der Umweltbedingungen tragen damit zusätzlich zu Unterschieden im Gesundheitszustand bei. Diese Unterschiede sind der WHO (2019) zufolge in allen Staaten Europas zu beobachten, teilweise nehmen sie im Zeitverlauf sogar zu. So gibt es beispielsweise bereits erste Untersuchungen, dass verschmutzte Luft und Armut die Auswirkungen der COVID-Erkrankung verstärken können. In vielen Ländern verhindert aber die unzureichende Datenlage eine umfassende Beurteilung der Situation. Auch hier sind daher Maßnahmen zu ergreifen, um vermeidbare Ungleichheiten im Gesundheitszustand zu reduzieren.
Auch der Gesundheitsschutz der Arbeitnehmer*innen muss zukünftig stärker berücksichtigt werden, um sie vor negativen Auswirkungen bei der Produktion zu schützen. So erkranken jährlich schätzungsweise rund 100.000 Arbeitnehmer*innen an arbeitsbedingtem Krebs. Angesichts dieser brisanten Zahlen muss das Tempo bei der Einführung neuer Grenzwerte dringend erhöht werden. Weiters sollte die EU-Gesetzgebung rascher als bisher an internationale WHO-Standards angepasst werden.
Insgesamt soll die europäische Wirtschaft bis 2050 nachhaltiger und umweltfreundlicher werden. Allerdings werden aber auch viele Ressourcen außerhalb der EU gebraucht, unter anderem Edelmetalle wie Nickel und Kobalt für die E-Mobilität oder Landflächen für den Anbau von Lebens- und Futtermitteln. Es besteht dabei nicht nur die Gefahr, dass Europa seine Umweltbelastungen in andere Länder auslagert. Vielfach ist die Produktion anderswo auch mit wesentlich schlechteren Arbeitsbedingungen verbunden, was wiederum negative Auswirkungen auf die Gesundheit der betroffenen Arbeitnehmer*innen hat. Um dies zu verhindern, fordern Gewerkschaften, Arbeiterkammer und Umweltorganisationen eine stärkere Unternehmensverantwortung über die gesamte Lieferkette ein. Werden die vom Menschen verursachten globalen Umweltveränderungen durch strengere Umweltgesetze und nachhaltigeren Konsum reduziert, könnte das Risiko für neue Pandemien verringert, die Umwelt geschützt und die Gesundheit von uns allen verbessert werden.