Politik
Verkehrspolitik sucht Wandel – Lehren aus Corona
„Der Verkehr ist Grundlage unserer Wirtschaft und Gesellschaft. Mobilität ist das Lebenselixier des Binnenmarkts und prägt die Lebensqualität der Bürger, die ihre Reisefreiheit genießen.“ Solche Aussagen aus dem EU-Weißbuch Verkehr von vor zehn Jahren klingen heute seltsam anachronistisch. Denn einerseits ist der Verkehrsbereich Europas Problemsektor Nr. 1 in Bezug auf Treibhausemissionen, aber auch bei manchen Luftschadstoffen. Andererseits werden bei Pendler*innen aus der viel gepriesenen Reisefreiheit rasch Mobilitätszwänge. Die Corona-Pandemie hat unsere Mobilität nicht nur massiv eingeschränkt, sondern uns auch gezeigt, wie sehr wir von Luft abhängig sind, die wir bedenkenlos atmen können. Oder wie es EU-Vizepräsident Frans Timmermans ausgedrückt hat: „Die Coronavirus-Krise hat uns vor Augen geführt, wie verwundbar wir sind und wie wichtig es ist, das Gleichgewicht zwischen menschlichem Handeln und der Natur wiederherzustellen. Der Klimawandel und der Verlust an biologischer Vielfalt stellen eine eindeutige und greifbare Gefahr für die Menschheit dar.“ Daher geht die WHO auch davon aus, dass Corona nicht die letzte Pandemie gewesen sein wird.
Unser Mobilitätsverhalten ist also eng verknüpft mit lokalen und weltweiten Auswirkungen auf den Energie- und Rohstoffverbrauch, auf die Artenvielfalt und in weiterer Folge auch auf die Gesundheit der Menschen. Die EU versuchte dem mit der aktuell veröffentlichten „Strategie für nachhaltige und intelligente Mobilität“ gerecht zu werden. Schließlich müssen die verkehrsbedingten Treibhausgasemissionen bis 2050 auf ein Zehntel reduziert werden. Um dieses ehrgeizige – aber notwendige – Ziel zu erreichen, werden drei Säulen genannt: Erstens müssen alle Verkehrsträger nachhaltiger werden, zweitens müssen nachhaltige Alternativen in einem multimodalen Verkehrssystem allgemein verfügbar gemacht und drittens die richtigen Anreize geschaffen werden, um den Wandel zu beschleunigen.
Sind wir auf dem richtigen Weg?
Bei genauerem Hinsehen zeigt sich jedoch, dass wieder auf das Muster von „Innovation und Technik“ zurückgegriffen wird. Begriffe, wie „smarte Mobilität“ und „emissionsfreie Fahrzeuge“ werden in der Strategie achtzigmal genannt, das Verhalten der Menschen im Verkehrssystem dagegen nur an einer einzigen Stelle. Statt auch bei den anderen Stellgrößen – also Verkehrsvermeidung und Verlagerung – anzusetzen und beim Verkehr die Sinnfrage zu stellen, wird immer noch auf Effizienzsteigerungen beim Antrieb gesetzt. Dabei zeigt sich, dass in den letzten drei Jahrzehnten Effizienzgewinne den steigenden Energieverbrauch und damit die Emissionen des Verkehrs nicht eindämmen konnten. Der Techniksoziologe Felix Sühlmann-Faul meint dazu, dass wir die Technik zur Bewältigung der Herausforderungen bereits haben. Das Vertrösten auf die Technik von morgen sei nur der Versuch, den Status Quo beizubehalten. Die Beispiele aus der Vergangenheit geben ihm recht: Weder die Telematik, noch smarte multimodale Mobilitätsangebote haben Staus und Abgase reduziert. Statt dem vielfach angekündigten – und technisch möglichen – „Ein-Liter Auto“ boomt der Verkauf von SUVs weiter. Auf der anderen Seite gibt es emissonsfreie – weil elektrische – Eisenbahnen schon seit beinahe 140 Jahren. Und die Ursprünge des Fahrrades gehen gar auf das Jahr 1817 zurück.
Corona – Krisenbewältigung im Zeitraffer
Mit Corona hat sich unser gesamtes Leben, unsere Verhaltensweisen und damit auch das Verkehrsaufkommen verändert (siehe Grafik rechts). Die Luft war – nicht nur wegen der Verkehrsreduktion – so sauber und klar, wie schon lange nicht mehr. Im Sommer 2020 war der Flugverkehr weitgehend lahmgelegt, während sich die ÖBB bei ihren Nachtzügen über eine Auslastung von 90 Prozent freuten.
Das führt zur kollektiven Krisenbewältigung, die durch die Politik begleitet, gesteuert, abgefedert und koordiniert werden muss. Was beim Umgang mit dem Klimawandel in Jahrzehnten abläuft, passierte seit der Pandemie innerhalb weniger Wochen: Zuerst wird diskutiert, ob es überhaupt eine Krise gibt. Das ist eine typische Reaktion, wenn man aus der alltäglichen Routine gerissen wird und das eigene Verhalten verändern muss. Die Psychologie kennt solche Mechanismen sehr gut. Nach Ablehnung und Verleugnung kommt oft Wut oder Widerstand gegen notwendige Anpassungen. Schließlich werden Alternativen gesucht, diese ausprobiert und letzten Endes in den neuen Lebensalltag integriert.
Die Pandemie zeigt, wie wichtig es ist, dass wir konsistente Informationen bekommen und dass die Politik ein klares Ziel und klare Vorgaben kommuniziert. Tatsache ist darüber hinaus, dass wir Zahlen, Risiken und komplexere Zusammenhänge in der Regel nicht objektiv bewerten. Stattdessen fließt die Wahrnehmung der subjektiven Betroffenheit ein.
In der Bewältigung der Klimakrise sind ähnliche Muster zu beobachten. Auch wenn die überwiegende Mehrheit der Menschen von der Existenz des Klimawandels überzeugt ist, hat dies nicht zu einer Änderung unseres Mobilitätsverhaltens geführt.
Die Mobilitätswende
Grundlage einer echten Mobilitätswende, wäre Verkehrsvermeidung. Wenn wir tatsächlich nur kurze Wege zurücklegen müssen, können wir das weitgehend klimaneutral zu Fuß oder mit dem Rad tun. Um die CO2-Reduktionsziele einzuhalten, wird es sicher nicht reichen, bei den Autos den Diesel- durch einen Elektromotor auszutauschen. Was Klimafreundlichkeit und Energieeffizienz – aber auch Flächenverbrauch – betrifft, ist und bleibt die Bahn unübertroffen. Sie kann als taugliche Alternative zum Pkw, zum Sattelschlepper, sowie zum Kurz- und Mittelstreckenflug dienen und dabei auch noch tausende Arbeitsplätze schaffen. Öffentliche Verkehrsmittel müssten also zum Rückgrat des zukünftigen Verkehrssystems werden, sind aber derzeit ein Minderheitenprogramm: Laut Statistik geben nur 40 Prozent der österreichischen Haushalte an, Geld für Öffis auszugeben. Hingegen werden hierzulande 70 Prozent aller Personen-Kilometer mit dem Pkw zurückgelegt. Dieses Verhältnis muss sich umkehren!
Was braucht es also?
Die Fachwelt diskutiert derzeit, ob und wie sich unser Mobilitätsverhalten durch die Pandemie dauerhaft verändern wird. Was unabhängig davon aber auf jeden Fall gilt: Mobilitätsentscheidungen werden aus dem Bauch heraus getroffen und laufen meist unüberlegt in Routinen ab. Wirklich nachgedacht und neue Entscheidungen werden erst getroffen, wenn sich die Rahmenbedingungen ändern und die alten Muster nicht mehr funktionieren, also etwa beim Wechsel des Arbeitsplatzes, bei Übersiedlungen, der Geburt eines Kindes, aber eben auch in der derzeitigen Gesamtsituation. Gerade deshalb ist jetzt ein guter Zeitpunkt mit geeigneten Angeboten und Botschaften auf die Informationssuchenden zuzugehen und zu reagieren. Es braucht auch Konfliktfähigkeit und Diskussionsräume, wo Menschen mitreden und neue Möglichkeiten ausprobieren können. So soll noch heuer das sogenannte Klimaticket – also eine österreichweite Netzkarte um 1.095 Euro – eingeführt werden. Wird dies die Öffi-Nutzung radikal ändern? Eine aktuelle Online-Umfrage der AK (rund 770 Teilnehmende) zeigt ein differenziertes Bild: Wo das Öffi-Angebot gut ist und auch angenommen wird, hat das Klimaticket eine hohe Attraktivität und wird sich wohl auch das Öffi-Fahren steigern. Bei jenen, die gewohnheitsmäßig mit dem Auto fahren – einerlei, ob erzwungen oder aus Überzeugung – ist der Effekt denkbar gering. Generell wünscht sich gut ein Drittel eine Netzkarte für den eigenen Verkehrsverbund.
Was sollte man also tun, damit das Klimaticket seine volle Wirkung entfalten kann? Einerseits müsste der Öffentliche Verkehr flächendeckend ausgebaut werden. Schließlich ist gut ein Fünftel der österreichischen Bevölkerung von jeder Öffi-Grundversorgung abgeschnitten. Basierend auf den Geschäftsdaten des Postbusses, lässt sich abschätzen, welchen Nutzen zusätzliche Busdienste in diesen schlecht erschlossenen Regionen hätten: Pro Million Euro an öffentlichem Zuschuss könnten drei Millionen Euro an Pkw-Fahrtkosten und mehr als 1.000 Tonnen an CO2 eingespart werden. Gleichzeitig würden damit 13 Arbeitsplätze geschaffen und rund 500.000 Bus-Kilometer gefahren werden, mit denen – bei durchschnittlicher Auslastung – 670.000 Fahrgäste jährlich ca. neun Millionen Personen-Kilometer zurücklegen würden.
Viel mehr Menschen leben allerdings in Regionen, in denen sie sehr wohl mit Öffis fahren könnten, es aber nicht tun. Hier helfen wohl nur „Push“-Maßnahmen, wie Parkraumbewirtschaftung, autofreie Innenstädte, Rückbau von Fahrbahnen usw. Das ist aber – trotz der Dringlichkeit – immer noch nicht sehr populär und wir deshalb tunlichst vermieden.
Die Wirkung von dauerhaftem Homeoffice wurde vom Umweltbundesamt berechnet: Wenn ein Viertel der Erwerbstätigen an zwei Tagen pro Woche daheimbleiben, ergibt dies eine Ersparnis von 300.000 Tonnen an Treibhausgasen. Klingt imposant, sind aber gerade einmal 1,2 Prozent der Treibhausgase des Verkehrssektors in Österreich. Im Jahr 2019 betrug der Ausstoß 24,1 Millionen Tonnen. Immerhin 700.000 Tonnen könnten vermieden werden, wenn ein Drittel aller Geschäftsreisen in den virtuellen Raum verlagert würden.
Verkehrspolitik im Sinne der Bewältigung der Klimakrise ist also weit mehr als über Infrastrukturen oder den Pfad der Technik zu diskutieren. Verkehrspolitik muss über den Tellerrand schauen und erkennen, wo es Handlungsfelder gibt, die auf ihre Belange Einfluss nehmen. Beispielsweise darüber wie sehr die Verfügbarkeit von Breitband-Internet zu veränderten Arbeits- und damit Pendelvarianten beiträgt. Oder aber auch, wie man Betriebe dazu bringt, die nachhaltige Mobilität ihrer Beschäftigten und Kunden sicherzustellen oder etwa totes Recht wie die Verkehrserregerabgabe endlich umzusetzen. Und sie braucht auf jeden Fall die Kompetenz, Veränderungsprozesse zu initiieren und zu begleiten; also auch Menschen dazu zu motivieren, mitzumachen.