Schwerpunkt
Jugend und Klima
Berechtigter Frust? So sehen Jugendliche den Mobilitätswandel
Das von BMK und FFG geförderte Forschungsprojekt youth codes (www.youthcodes.at) verfolgt das Ziel, Tools, Anreize und Kommunikationsstrategien aufzuzeigen, um Jugendliche aus unterschiedlichen sozialen Milieus emotional zu aktivieren, sich mit den Herausforderungen und den notwendigen Verhaltensänderungen im Mobilitätsbereich auseinanderzusetzen. Hierfür wurden Repräsentativbefragungen durchgeführt, um Einstellung und Stimmung zu dokumentieren und konkret erprobt, mit welchen Impulsen sich die Zielgruppe aktivieren lässt.
Es ist sehr erfreulich, dass von den insgesamt rund 937.000 österreichischen Jugendlichen in der Altersgruppe 15 bis 24 Jahre (lt. Stat. Austria), 757.000 (das sind 81 Prozent) glauben, viel bzw. etwas zum Klimaschutz beitragen zu können. Junge Personen haben somit die „kritische Masse“ erreicht, auch wenn sie im Verhältnis zur Gesamtbevölkerung derzeit eine Minderheit darstellen. Sie fordern Veränderungen, denn es geht um ihre Zukunft. Diese Bereitschaft der Jungen etwas zum Klimaschutz beizutragen, ruft nach einer generationenübergreifenden Klimaschutzallianz: Alle müssen – am besten gemeinsam – aktiv werden! Auch wenn die Methoden der Jungen polarisieren: Die CO2 Einsparziele liegen klar auf dem Tisch und hier ist der Beitrag von jeder Seite gefordert.
Weitgehend Einigkeit herrscht unter den Jungen darüber, dass die Verantwortung bei der Politik liegt. Die Forderung lautet, dass die Politik endlich handeln soll. Bei manchen Aktivist:innen steigt die Ungeduld , wenn kaum Gegenmaßnahmen zur Eindämmung der CO2 Emissionen – etwa im Verkehrsbereich stattfinden. Aus der Sicht der Jungen werden sie diejenigen sein, die die Klimarechnung der Alten begleichen müssen.
Wie ticken unterschiedliche Jungendmilieus?
Eines ist klar: „Die Jugendlichen“ gibt es so nicht, sie sind keine homogene Gruppe. INTEGRAL wies 2020/2021 sechs verschiedene Sinus Jugendmilieus aus, die jeweils unterschiedlichen sozialen Hintergrund haben. Sie unterscheiden sich deutlich in ihren Einstellungen und Meinungen und ihnen sind ganz verschiedene Dinge besonders wichtig. Die Milieus sind über unterschiedliche Schwerpunktsetzungen und Social-Media-Kanäle zu erreichen und zu aktivieren.
Am stärksten umweltfreundlich motiviert sind: Postmaterielle, Performer und Teile der Hedonisten. Während Postmaterielle den Kern der Klimaaktivist:innen bilden, sind Performer besonders an effizienten Lösungen interessiert, die auch umweltverträglich sind. Teile der Hedonisten sind oft aus Kostengründen umweltschonend unterwegs und zeigen Interesse für Sharing, Mitfahren und gemeinsame Fahrten. Petra Schiesser von INTEGRAL Marktforschung findet: „Das Jugendmilieu der Postmateriellen hat Klima- und Umweltbewusstsein praktisch in seiner DNA verankert. Klimafreundliches Verhalten entspricht daher den zentralen milieuspezifischen Werthaltungen. Man ist offen für alternative Mobilitätsformen und bereit, einen aktiven Beitrag zum Klimaschutz zu leisten (…).“
Die sechs Jungendmilieus sind an unterschiedlichen Informationen interessiert und haben verschiedene Vorstellungen über Mobilität. Jede Gruppe braucht einen anderen Zugang zu Verhaltensänderungen und jedes Jugendmilieu hat gemäß seinem Mobilitätsmotto eine Schnittstelle zu umweltfreundlicher Mobilität, die es aufzufinden gilt.
Gesamt gesehen ist es sinnvoller, bereits sehr junge Personen an Öffis und aktive (gesunde) Mobilitätsformen zu binden, als später gegen die bequeme Nutzung von motorisierten Fahrzeugen anzukämpfen. Zwei Beispiele: Hedonisten sind nicht im eigenen Fahrzeug unterwegs, weil sie sich keines leisten können und Personen aus dem Milieu der Konservativ-Bürgerlichen unternehmen keine Fernflugreisen, weil sie ohnehin nicht gerne verreisen. Solche Verhaltensweisen müssen bestärkt und gewürdigt werden (eventuell peer-to-peer).
Was wissen die Jungen und was interessiert sie?
Es gibt viele Wissensbereiche rund um die Erderhitzung, die (für die Zielgruppe der 15 bis 24-Jährigen) nicht ausreichend bekannt erscheinen.
Die Top 5 Themen mit hohem Infobedarf gemäß einer Repräsentativbefragung im März 2022, bei 520 Personen der österreichischen Wohnbevölkerung im Alter von 15-24 Jahren sind:
- Der Maßnahmenplan der Regierung zur Erreichung der CO2 Ziele
- Die 17 Nachhaltigkeitsziele (SDGs)
- Die Auswirkungen der Bodenversiegelungen (Verbauungen)
- Der Gesamtbedarf von Energie für E-Mobilität
- Der Stand der Forschung zu umweltfreundlichen Fahrzeugen
Der Informationsbedarf ist vor allem bei der jüngeren Altersgruppe noch vielfach hoch. Hier steht etwa besonders der Maßnahmenplan der Regierung zur Erreichung der CO2 Ziele im Zentrum. Zwei von drei jungen Personen der Zielgruppe sehen sich hier nicht ausreichend informiert. Das hohe Interesse am Maßnahmenplan ist eine der ungenutzten Chancen: Hier könnten konkrete Verhaltensänderungen angeregt und die Wirksamkeit von Maßnahmen aufgezeigt werden.
Neben dem Informationsbedürfnis geht es auch darum, Inhalte zu verstehen und nachvollziehen zu können. So ist der Zusammenhang zwischen Geschwindigkeit und Spritverbrauch und die Sinnhaftigkeit von Geschwindigkeitsreduktionen für jeden/jede zweite/n Befragten unzureichend erklärt. Hier sind es überdurchschnittlich häufig jüngere Personen (14 bis 19 Jahre: 60 Prozent) und eher jüngere Frauen als junge Männer, die sich unzureichend informiert fühlen. Junge Männer im Alter von 20 bis 24 Jahren sehen sich dagegen eher ausreichend informiert (43 Prozent) bzw. geben keinen Infobedarf (20 Prozent) an, sodass sich hier nur 37 Prozent unzureichend informiert sehen. Hinzu kommt bei ihnen eine eindeutige Ablehnung von Infos zur Geschwindigkeitsreduktion.
Der Infobedarf unterscheidet sich nach der sozialen Lage und nach Bildung. Besser gebildete Jugendmilieus fühlen sich eher ausreichend informiert. Gerade deshalb ist es erfreulich, dass das eher bildungsferne Milieu der Hedonisten, hohen Informationsbedarf äußert, etwa bei Themen wie Auswirkung der Bodenversiegelung (71 Prozent), energieintensive Verhaltensweisen (67 Prozent), Einfluss klimaschädlicher Verhaltensweisen (59 Prozent), Auswirkung von Flugreisen auf die CO2 Bilanz (57 Prozent) oder Auswirkungen von Bahn gegenüber Pkw fahren (56 Prozent).
Es scheint, dass junge Personen zuerst ausloten, ob es wirklich in ihrem Verantwortungsbereich liegt, Maßnahmen setzen zu müssen. Solange nicht klar ist, ob es nicht andere Lösungen gibt, bzw. Entscheidungen gefällt sind, sehen sich viele Junge nicht angesprochen ihr Verhalten zu ändern.
Eine Änderung unserer Lebensgewohnheiten ist 8 von 10 Personen der 15- bis 24-Jährigen sehr bzw. eher wichtig. Dieser Wert ist auch im Zeitablauf zwischen 2020 und 2022 gestiegen. In Summe ist das eine hohe Bereitschaft einen eigenen Beitrag zu leisten. Doch fehlen die Empfehlungen der Politik wie die Erreichung der Klimaziele sinnvoll und effektiv gelingt. Viele Junge wünschen sich von der Politik einen transparenten „Gesamtaktionsplan“, der einen klaren Handlungsspielraum sowie konkrete Einsparziele vorgibt. Ebenso erachten 8 von 10 „Jungen“ Diskussionen zum Klimawandel für wichtig.
Alex Millonig vom AIT und Projektpartnerin in youth codes meint: „Für einen überwiegenden Anteil der Jugendlichen stellt der Klimawandel die größte Zukunftssorge dar. Sie sind auch bereit, zum Klimaschutz beizutragen, wissen aber nicht, wie sie das konkret tun können und wie viel ‚genug‘ wäre. Das daraus resultierende Gefühl der Ohnmacht und Unsicherheit führt sogar so weit, dass sie überlegen, selbst keine Kinder bekommen zu wollen. Deshalb fordert eine überwältigende Mehrheit von 85 Prozent der Jugendlichen, dass die Politik endlich handelt (…).“
Was motiviert zur Beteiligung am Klimadiskurs?
Im Rahmen des Projekts youth codes (www.youthcodes.at) wurden u.a. unterschiedliche Methoden, Maßnahmen und Aktivierungsstrategien mit der Zielgruppe erprobt. Nicht alle der Aktivitäten, die abgefragt wurden, konnten auch während der Pandemie erprobt werden. Es wurden interaktive Wege angestoßen, um unterschiedliche Lebenswelttypen einzuladen, sich mit dem Thema Erderwärmung und Mobilität auf ihre bevorzugte Art und Weise (z.B. Social-Media, Online-Challenges, Comics, T-Shirt Gestaltung) auseinanderzusetzen. Kurze Wissensimpulse (z.B. Videos, Bildmaterial, Textpassagen für Recherchen) und kreative Aufarbeitungsmethoden bildeten den Kern der Auseinandersetzung, die von Claudia Sempoch/tbw research gemeinsam mit den Projektpartner:innen erstellt wurden.
Wie reagiert die Politik?
Wenn sich die Klimaaktivist:innen zunehmend stärker in Szene setzen, ist das ein Schrei nach Aufmerksamkeit und Veränderung. Die deutsche Klimaschützerin Aimée van Baalen meint in einem Artikel der Zeit: „Es reicht nicht, die Politiker:innen zu konfrontieren. Wir brauchen die Unterbrechung der Normalität, sonst passiert nichts.“ Daraus leitet sich die Frage ab, wie können Erkenntnisse aus youth codes genutzt werden, um eine kreative, künstlerische Auseinandersetzung mit Klimafakten zu befeuern, sodass Veränderungen auf der Verhaltensebene und parallel dazu auf der politischen Ebene passieren. Wie kann Druck auf die Politik aufgebaut werden, anstatt eine Marginalisierung der Idealisten zuzulassen? Wie schaut der breite Klimaaufschrei aus, der uns Menschen und damit die Politik aufrüttelt, schneller und transparenter zu handeln? Die Bereitschaft der Jungen ist da! Sie muss abgeholt, verstärkt und genutzt werden!