Schwerpunkt

Umwelt und Gesundheit

So dient Umweltpolitik der Gesundheit

Die Umweltpolitik in Europa hat in den letzten Jahren zweifellos Fortschritte gemacht. Standen früher rauchende Schlote sinnbildlich für einen prekären Umweltzustand, so sind viele Belastungen (z.B. Feinstaub) heute weniger greifbar. Trotzdem liefern anerkannte Bestandsaufnahmen erstaunliche Befunde. So ist in Europa jeder achte Todesfall auf die Folgen von Umwelt-und insbesondere auf Luftverschmutzung zurückzuführen. In Österreich sterben rund 7.300 Menschen vorzeitig an den Folgen der Luftverschmutzung bei Umgebungslärm sind dies rund 460 Menschen (Europäische Umweltagentur EUA). Umweltbelastungen sind für unsere Gesundheit ein größeres Risiko als allgemein angenommen wird.

Die Umwelt als Krankheitslast

Für die Berechnung der gesundheitlichen Auswirkungen wurden in den letzten Jahren Methoden entwickelt, die robuste Schätzungen über umweltbedingte Risikofaktoren und einen Vergleich zwischen Ländern und verschiedenen Umweltbelastungen erlauben. Ausgangspunkt war hier der „Global Burden of Disease“ der WHO, der Gesundheitsrisiken quantifizierte und später mit dem „Environmental Burden of Disease“ weiterentwickelt wurde. Maßeinheit für die Bevölkerungsgesundheit sind ersten die Lebensjahre, die Menschen verlieren, wenn sie vor Erreichen der statistischen Lebenserwartung versterben (Years of Life Lost due to premature mortality – YLL), und zweitens die Lebensjahre, die Menschen aufgrund von Erkrankungen mit eingeschränkter Gesundheit leben (Years Lived with Disability – YLD). Die Summe von YLLs und YLDs sind die sogenannten „verlorenen gesunden Lebensjahre“ (Disability-Adjusted Life Years oder auch Disease-Adjusted Life Years; DALYs), die alle pro Jahr angegeben werden.

Luftverschmutzung ist laut Weltgesundheitsorganisation (WHO) eine anerkannte Ursache für Herz-Kreislauf-und Atemwegserkrankungen. Die internationale Krebsagentur (IARC) in Lyon hat 2013 Luftverschmutzung sogar als Krebsverursacher eingestuft. Der Kampf gegen Luftverschmutzung ist seit kurzem auch Bestandteil des EU-Aktionsplans gegen Krebs. Darüber hinaus werden erhöhte Luftschadstoffkonzentrationen immer mehr mit anderen Krankheiten (z.B. Diabetes, vermindertes Organwachstum usw.) in Zusammenhang gebracht.

Luft ist also ein „Lebensmittel“, ihre Verschmutzung hat daher negative Folgen für die Gesundheit und die Lebensqualität von Menschen. Kurzfristige Belastungsspitzen bei erhöhten Konzentrationen von Luftschadstoffen verschärfen bereits bestehende Krankheiten, lang andauernde Belastungen erhöhen das Risiko einer Erkrankung. Besonders betroffen von Luftverschmutzung sind Kinder, ältere Menschen und – v. a. in Schwellen- und Entwicklungsstaaten, aber auch Osteuropa – Menschen aus Haushalten mit einem niedrigen Einkommen.  

Wie hält es die Politik mit gesunder Luft?

Der rechtsverbindliche Maßstab für eine gesunde Umgebungsluft in der EU ist eigentlich vor rund zwei Jahrzehnten gelegt und seitdem nur geringfügig (2008) geändert worden. Trotzdem haben bis heute fast zwei Drittel aller EU-Mitgliedsstaaten Schwierigkeiten mit der Einhaltung von Grenzwerten. Ursachen hierfür waren bei der Luftreinhaltung viel zu laxe Aufnahmemodalitäten für die Mitgliedsstaaten im Zuge der EU-Erweiterung sowie unzureichende Emissionsvorschriften für einzelne Anwendungsbereiche.

Im Gefolge des Green Deals und des EU-Aktionsplans für eine schadstofffreie Umwelt will die EU-Kommission auch einen neuen Anlauf bei der Umgebungsluft bis 2022 versuchen. Im Fokus stehen dabei ein Heranführen der Grenzwerte an die Empfehlungen der WHO und ein strengeres Monitoring der Umgebungsluft, das ein effektiveres Handeln nach sich ziehen soll. Die EU hat hier vor allem bei Feinstaub (PM2,5) im Vergleich zu den USA und Japan einen Nachholbedarf bei den Grenzwerten.

Die WHO-Leitlinien für die Luftqualität 2005 legen strenge Richtwerte für eine gesunde Luft fest, die sicherstellen, dass es bei einem einzelnen Schadstoff (vor allem Feinstaub, Stickstoffdioxid und Ozon) zu keiner signifikanten Gesundheitsbelastung kommt. Noch in diesem Jahr sollen die neuen WHO-Leitlinien vorgestellt werden. Voraussichtlich werden nicht nur neue Richtwerte, sondern auch erstmals „gute Praktiken“ beschlossen werden. Letztere sollen bei besonders gefährlichen Feinstaub-Fraktionen (z.B. Ultrafeine-Feinstaub-Partikel/UFP) prioritär von Behörden angewandt werden.

Das Monitoring für gesunde Umgebungsluft erfolgt derzeit im Wesentlichen über eine Anzahl von festen Messstationen. Die so gesammelten Wertesollen repräsentative Aussagen über die Luftqualität 
im gesamten Gebiet eines Mitgliedsstaat. Es ermöglichen und die Basis für behördliche Sanierungsmaßnahmen (z.B. Fahr- und Verwendungsverbote) bei Grenzwertüberschreitungen bilden. Leider erlaubt der rechtliche Interpretationsspielraum beim Standort von Messstationen eine Schönung der Ergebnisse. Wegweisend könnte hier ein EuGH-Urteil sein, das sinngemäß die Messung an dem Ort vorsieht, wo der schlechteste mögliche Luftzustand anzunehmen ist.  Betroffene Bürger*innen  können dies bei der Behörde überprüfen lassen. 

Wenn Lärm den Schlaf raubt

„Übermäßiger Lärm bringt Millionen Europäer um den Schlaf“ titelten die Medien beim Bericht „Lärm in Europa 2020“der EUA. Tatsächlich wurde mit der strategischen Lärmkartierung ermittelt, dass in Europa geschätzte 113 Mio. Menschen einem Tag-Abend-Nachtlärmpegel von 55 dB oder mehr ausgesetzt sind. 22 Mio. sind von Lärm hoch belästigt und 6,5 Mio. in ihrem Schlaf hoch gestört. Ständiger Lärm ist jährlich für 48.000 neue Herzerkrankungen und 12.000 vorzeitige Todesfälle verantwortlich. Hauptquelle ist der Straßenverkehr. Eine kurzfristige Verbesserung der Situation ist nicht zu erwarten. In den nächsten zehn Jahren rechnet die EUA aufgrund des urbanen Wachstums und des gestiegenen Mobilitätsbedarfs mit einem Anstieg des Lärmpegels sowohl in städtischen wie auch in ländlichen Gebieten. Weitere Hauptquellen für die Lärmbelastung sind der Bahn- und Flugverkehr.

Lärm ist unerwünschter, störender, belästigender Schall. Ruheschutz und akustische Umgebungsqualität entscheiden über die Erholungsmöglichkeiten und Wohlfühlen beim Wohnen. Verkehrslärm ist laut der WHO in der EU nach der Luftverschmutzung das zweitgrößte Umweltproblem mit Auswirkungen auf die Gesundheit. Anders als die oben beschriebene Luftverschmutzung, die wir im Allgemeinen nicht riechen können, nehmen wir den Lärm sinnlich wahr. Deswegen stehen die „starke Belästigungswirkung“ (Highly Annoyed – HA) und die „starke Schlafstörung“ (Highly Sleep Disturbed – HSD) als unmittelbare Wirkungen im Vordergrund. Zu tatsächlichen Erkrankungen kommt es dann nach einer ausreichend langen Einwirkungszeit.

Lärmschutzpolitik „auf der Bremse“

Anders als bei Luftverschmutzungen hat die EU bisher keine konkreten Verkehrslärmgrenzwerte festgelegt. Die EU-Umgebungslärmrichtlinie aus 2002 (END) verpflichtet die Mitgliedstaaten nur dazu, Lärmkarten und Aktionspläne für hochrangige Verkehrsstrecken und Ballungsräume auszuarbeiten. Das hat zwar erstmals die objektive Lärmbelastung in Österreich sichtbar gemacht, was ein großer Fortschritt ist. Grenzwerte und Maßnahmen sind aber den Mitgliedstaaten überlassen. Österreich hat da bewiesen, dass man die Richtlinie umsetzen kann, ohne in der praktischen Politik irgendetwas zu ändern. 2017 wohnten in Österreich in Summe fast 2 Mio. Menschen über dem österreichischen Tag-Abend-Nacht-Schwellenwert für Straßenlärm bzw. über 100.000 Menschen über dem Nacht-Schwellenwert für Schienenlärm. Dennoch sind die zugehörigen Aktionspläne nichtssagend geblieben (www.laerminfo.at ).

Bewegung in die Fachdebatten haben aber die WHO Leitlinien für Umgebungslärm 2018 (www.euro.who.int ) gebracht, die strengere Grenzwerte empfehlen als jetzt üblich. Im Kern zeigen sie das aktuelle Wissen zur Dosis-Wirkungsbeziehung zwischen Lärm und seinen Folgen. Neben der Belästigung und Schlafstörungen waren z.B. auch Herzerkrankungen, Bluthochdruck oder kognitive Entwicklungsstörungen von Kindern im Blick. Die empfohlenen Zumutbarkeitsgrenzen zeigen im Umkehrschluss, wie sehr Gesundheitswirkungen durch die in Österreich praktizierten Grenzwerte in Kauf genommen werden.

Was muss in Österreich getan werden?

Bei Lärm hat die EU-Kommission die END an den wissenschaftlichen und technischen Fortschritt angepasst. Hier ist Österreich gefordert. Die Mitgliedsstaaten müssen dann mit Hilfe der WHO-Leitlinien die Gesundheitswirkungen bewerten, was ab 1.1.2022 stattfinden soll. Bleibt zu hoffen, dass für Österreich diese Wirkungen nicht nur errechnet und dann schubladisiert werden. Insbesondere die veralteten Lärmgrenzwerte für Eisenbahn- und Fluglärm müssen dringend überarbeitet werden.

Bei der Luftreinhaltung steht Österreich im EU-Kontext nicht schlecht da. Spätestens im Jahr 2022 sollte es die Grenzwerte bei Stickstoffdioxid (NO2) auch ohne vorrübergehende Pandemie-Effekte erfüllen. Bei Feinstaub erfüllt Österreich ohnehin die EU-Grenzwerte seit geraumer Zeit und ist auf Tuchfühlung mit den derzeitigen WHO-Leitlinien. Schwere Defizite bestehen aber bei Ammoniak Emissionen, die fast ausschließlich in der Landwirtschaft verursacht werden und zur Bildung von Feinstaub führen. Weitere Verbesserungen bei der Umgebungsluft werden von der Ausgestaltung einer neuen EU-Richtlinie für Luftqualität abhängen.

Für Luft und Lärm gilt aber: Ohne zwingende EU-Vorgaben gibt es keine weiteren Minderungen bei Gesundheitsbeeinträchtigungen in Österreich.