Wissenschaft: Lobautunnelstreit: Suche nach der besten Lösung für alle
Dass Bundesministerin Gewessler im Oktober 2022 die strategische Umweltprüfung (SUP) gemäß dem Bundesgesetz über die strategische Prüfung Verkehr (SP-V-Gesetz) eingeleitet hat, hat an der polarisierten Debatte seit Mitte 2021 nichts geändert. Die Projektbefürworter sprechen weiterhin von Verzögerungstaktik und Gesetzesbruch. Die Ministerin müsse den Tunnel endlich bauen lassen. Keine Rede soll davon sein, dass es zwingend sein könnte, sämtliche ASFINAG-Projekte unter Klimaschutzgründen zu überprüfen. Und die Ministerin hält an der Darstellung fest, dass das Projekt endgültig abgesagt sei. Nun sei nur mehr über die Konsequenzen daraus zu sprechen.
Darf sie oder darf sie nicht
So reden beide Seiten aneinander vorbei. Beide Erzählungen sind unrichtig. Die Projektbefürworter verkennen, dass das, was sie wollen, so nirgendwo verbindlich festgehalten ist. Die von der Wirtschaftskammer Wien vorgelegten Gutachten tragen die Behauptung nicht, dass die Ministerin bauen lassen müsse. Ebenso unrichtig ist aber auch die Darstellung, dass die Entscheidung zum Tunnel schon endgültig gefallen sei. In Wahrheit hat die Ministerin eine vorläufige Entscheidung getroffen. Die war legitim und geboten. Man stelle sich nur vor, eine Prüfung des Rechnungshofs ergibt, dass das Projekt tatsächlich unsinnig geworden war, und die ASFINAG hätte schon millionenschwere Bauaufträge vergeben. Denn Österreichs Klimaschutzstrategie steht immer noch am Anfang. Gerade im Mobilitätsbereich laufen wir unseren Zielen weit hinterher. Hier beim Tunnel wie den anderen im Rahmen des ASFINAG-Bauprogramms behandelten Projekten zu sagen, Klimaschutz ja, aber zuerst bauen wir fertig und reden dann weiter, wäre verantwortungslos gewesen. Aber die Letztentscheidung in Bezug auf das Tunnel-AUS liegt beim Nationalrat.
Das ist das Fazit des ersten Teils der Studie, was zur Forschungsfrage geführt hat, welchen Rahmen es braucht, damit die Streitbeteiligten in der Tunnelfrage gemeinsam zu einer guten Lösung kommen können. Denn das Aneinander-Vorbeireden hat strukturelle Gründe: Die Ministerin hat ja formal nichts falsch gemacht. Sie hat ihre Entscheidung auf der Basis des zwischen der ASFINAG und der Republik bestehenden Fruchtgenussvertrages getroffen, der eine Beteiligung der Bundesländer am ASFINAG-Bauprogramm nicht vorsieht. Umgekehrt ist aber auch der Wunsch der Bundesländer, an Entscheidungen von solcher Tragweite entsprechend beteiligt zu werden, genauso legitim. Dafür fehlt es nur an den nötigen rechtlichen Formaten.
Das weist auf die zweite Forschungsfrage, die in der Studie parallel vorangetrieben wird: Denn wenn es an tauglichen rechtlichen Formaten für verbindliche Infrastrukturplanung und Planungskoordination im Bundesstraßengesetz fehlt, dann ist zu fragen, wie man diese Rechtslücken alsbald gut füllen kann. Dabei zeigen sich die Niederungen der mobilitätsbezogenen Klimapolitik in Österreich. Denn es fehlt an einem Klimaschutzgesetz, das Ziele für den Mobilitätsbereich festlegt, um daraus ableiten zu können, was der Infrastruktursektor Autobahnen beitragen soll.
Prinzip Kooperation in der Infrastrukturplanung
Bei raumbezogenen Vorhaben sollte dann das Prinzip Kooperation im Vordergrund stehen, weil es gilt, Bundesplanungen mit denen der Länder abzustimmen. Natürlich muss jemand das letzte Wort haben. So wäre es auch in der Schweiz. Aber davor ist gegenseitige Abstimmung zwischen dem Bund und den Kantonen das oberste Gebot des Schweizer Raumplanungsgesetzes. Dass eine Ministerin eine Entscheidung von so großer Tragweite trifft, ohne davor die Abstimmung mit den Kantonen zu suchen, wäre in der Schweiz undenkbar. Erst wenn jegliche Bemühungen scheitern, hätte dort die Bundesregierung das letzte Wort.
Nichts davon gibt es in Österreich. Im Bundesstraßengesetz (BStG) wie im SP-V-Gesetz sucht man vergeblich nach zeitgemäßen Regelungen und Prinzipien. Für viele mit dem ASFINAG-Bauprogramm abgesagte Projekte ist keine gegenseitige Abstimmung vorgesehen. Nur zum S1-Lobautunnel gibt es mit der angestoßenen SUP die Chance, diese umfassende Abstimmung zwischen den klimapolitischen Zielen, den Zielen des Bodenschutzes mit den örtlichen und überörtlichen Raumentwicklungszielen und den einschlägigen verkehrspolitischen Zielen in Bezug auf die Projektregion konkret durchzuspielen. Da wäre übrigens miteinzubeziehen, dass das BStG im Osten Wiens zusätzlich zum S1-Lobautunnel noch eine zweite (!) neue Donauquerung vorsieht, wovon bis jetzt niemand spricht.
Ergebnisoffenes Vorgehen nötig
Klar ist, dass mit einer SUP, an der sich die betroffenen Länder nicht konstruktiv beteiligen, niemandem gedient wäre. Die Chancen für eine Regierungsvorlage, die das Tunnel-AUS besiegelt, stünden dann schlecht. Die Entscheidung über den S1-Lobautunnel bliebe damit in Schwebe, so wie jetzt. Deshalb schlägt die Studie vor, dass beide Seiten gegenseitig zugestehen sollten, dass ergebnisoffen geprüft wird. Varianten mit Tunnel werden genauso fair geprüft wie Varianten ohne. Und die Klimaschutzerfordernisse werden ebenso vollinhaltlich mitgenommen wie die regionalpolitischen, die Stadterweiterung Wiens betreffenden Bedürfnisse. Klar muss auch sein, dass am Schluss gemacht wird, was die Prüfung ergibt, auch wenn rauskommt, dass der Tunnel doch Sinn macht. Ziel sollte ein Ergebnis sein, das auch noch in zehn Jahren als wegweisend und zukunftsfähig anerkannt sein kann. So ein Prozess würde auch greifbar machen, wie die Lücken im BStG bzw. SP-V-Gesetz am besten zu schließen sein werden.