Wissenschaft: Die Leistungsträger*innen des Alltags aufwerten

Gemeinsam mit der TU Wien und der Karl Polanyi Society haben  sich die Autor*innen im Auftrag von AK und Gewerkschaft younion angesehen, was die Daseinsvorsorge und Grundversorgung ausmacht und was es neben der ideellen Anerkennung tatsächlich braucht. Unter dem Titel „Leistungsträger*innen der Alltagsökonomie“ erfolgte eine wissenschaftliche Betrachtung der Daseinsvorsorgesektoren wie Gesundheit, Pflege, Elementarbildung, Energie und auch Nahversorgung. Die COVID-19-Pandemie stellt uns seit rund einem Jahr vor enorme Herausforderungen: persönlich, beruflich und gesellschaftlich. Die Arbeitslosenzahlen stiegen rapide an und viele Bereiche wie z.B. Kunst und Kultur, Gastronomie, Sport etc. haben einen bis heute noch nie dagewesenen Stillstand erlebt. Der Bericht bestätigt die Qualität der öffentlichen Leistungen der Alltagsökonomie und zeigt auf, wo die Probleme liegen und was nötig ist um die Leistungen, die in der Daseinsvorsorge erbracht werden, aufzuwerten. Diese Sektoren und ihre Beschäftigten sind in diesem Bericht die Leistungsträger*innen des Alltagslebens.

Notwendige Neubewertung

Die Pandemie hat dazu geführt, dass plötzlich die oft genannten „Held*innen“ des Alltags in den Vordergrund gerückt wurden. Mit Beifall und lobenden Worten wurden Leistungen im Bereich Gesundheit, Pflege, Elementarbildung, Energieversorgung, öffentlicher Verkehr und Infrastruktur etc., die tagtäglich erbracht, jedoch meist als selbstverständlich angesehen werden, sichtbar gemacht und wertgeschätzt. Langsam nähern wir uns wieder dem Vergessen. Daher ist es entscheidend jetzt eine leistungsgerechte
materielle Anerkennung dieser Leistungen zu erreichen.

Der Bericht bestätigt die notwendige Neubewertung von Arbeit, Wirtschaft und Leistung die durch die COVID-19 Pandemie offensichtlich wurde. Um diese Neubewertung durchzuführen, braucht es einen genauen Blick auf die einzelnen Wirtschaftsbereiche und deren unterschiedliche wirtschaftspolitische Logiken. So unterscheidet der Bericht im ersten Schritt die Alltagökonomie in Daseinsvorsorge (Gesundheitsversorgung, Energie etc.) und Grundversorgungsökonomie (Lebensmittelhandel). Im Detail wurde zusätzlich in die materielle Grundversorgung (technische Daseinsvorsorge, z.B. Wasser- und Energieversorgung) und die soziale Daseinsvorsorge (Pflege, Gesundheit, Bildung und Verwaltung) geteilt. 

Von den rund 4,3 Millionen unselbstständig und selbstständig Erwerbstätigen in Österreich sind knapp 1,9 Millionen Personen (44 Prozent der Erwerbstätigen) in der Grundversorgungsökonomie und sozialen Daseinsvorsorge beschäftigt. Zählt man die erweiterte Nahversorgung, d.h. weitere binnenwirtschaftliche Aktivitäten der Alltagsökonomie hinzu, sind es mit knapp 2,8 Millionen Personen fast zwei Drittel (65 Prozent) aller Erwerbstätigen. Dies unterstreicht das beschäftigungspolitische Gewicht der Alltagsökonomie in Österreich und auch die Notwendigkeit, einen genauen Blick auf die Arbeitsbedingungen und wirtschaftliche Einordnung dieses Sektors zu werfen. Die im Bericht aufgezeigten Beispiele von Leistung und gerechtem Einkommen machen das Ungleichgewicht in der monetären Wertschätzung sehr deutlich. So unterscheiden die Autoren zwischen den „Nehmer*innen“ (=valuetakers), die sich produzierten Reichtum aneignen und Einkommen ohne Gegenleistung aus der Rentenökonomie beziehen, und den „Macher*innen“ (=valuemakers), die Werte schaffen. 

Die „Macher*innen“ sind die Beschäftigten in der Daseinsvorsorge, sie schaffen einen enormen gesellschaftlichen Mehrwert. In wirtschaftlichen Zahlen ausgedrückt schaffen die Beschäftigten 43 Prozent der Wertschöpfung. Gemessen an den Brutto-Anlageinvestitionen, nimmt die Grundversorgungsökonomie mit rund 31 Prozent der gesamten Investitionen ebenfalls eine bedeutende Rolle ein. Hervorzuheben ist dabei auch, dass der Bereich der sozialen Daseinsvorsorge (u.a. Pflege, Gesundheit, Bildung) im Vergleich zu den übrigen Wirtschaftsbereichen mit 63 Prozent einen überdurchschnittlich hohen Anteil an erwerbstätigen Frauen aufweist (Gesamtwirtschaft: 47 Prozent). Obwohl dieser Bereich so essentiell für die Versorgung aller ist, spiegelt sich dies oft nicht in Entlohnung und Arbeitsbedingungen wider. Hinzu kommt, dass auch der gesamte unbezahlte Sektor, der zumeist von Frauen getragen wird, unsichtbar bleibt. 

Der Bericht macht deutlich, dass eine Aufwertung und eine Leistungsgerechtigkeit in der sozialen und materiellen Daseinsvorsorge dringend nötig sind. Dafür braucht es ausreichend finanzielle Mittel und Investitionen für die kommunale und regionale Grundversorgung sowie verbesserte Arbeitsbedingungen, kürzere Arbeitszeiten, bessere Bezahlung und mehr Entlastung durch Personalaufstockung. ¨

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Link zur Studie: https://publik.tuwien.ac.at/files/publik_291036.pdf