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Klimakrise: Sind Technologien die Lösung oder das Problem?

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Technologien sind nicht neutral. Das hat schon Karl Marx erkannt: Wie und mit welchen Technologien gearbeitet wird, ist in erster Linie eine Aussage über die gesellschaftlichen Verhältnisse. Umso ärgerlicher ist es, dass die Gestaltung von Technologien derart entpolitisiert wird. Rechte Akteur:innen trommeln „Innovation statt Verbote“ zur Eindämmung der Klimakrise und meinen damit mehr E-Fuel-Autos, mehr Rechenleistung, mehr emissionsarme Flüge, mehr Industrie 4.0. 

Dazu müssen progressive Kräfte, wie die Gewerkschaftsbewegung, Stellung beziehen, denn sie wollen weder bei der Eindämmung der Klimakrise noch bei neuen Technologien als Blockierer:innen hingestellt werden. Damit dies gelingt, können Lehren aus den Erfahrungen der Digitalisierung gezogen werden. Neue Technologien können die Qualität der Arbeit für die Beschäftigten erhöhen, aber auch zu vermehrter Überwachung, Kontrolle und zu prekären Arbeitsverhältnissen führen, wie zum Beispiel  bei den Zusteller:innen von Amazon. Der Tenor der Unternehmen ist stets: Die Technologien „kommen sowieso“, quasi per Naturgesetz. Erst wenn sie bereits im Einsatz sind, werden die Technologien bewertet, reguliert und Arbeitnehmer:innen-Vertretungen müssen in hochkomplexen technischen Angelegenheiten für die Wahrung der Beschäftigtenrechte kämpfen. 

Dass Technologie und Innovation im Vorhinein undifferenziert für gut befunden und lediglich im Nachhinein durch Anreize und Regulierung gesteuert werden, ist eine Machtschieflage. Deshalb ist es zentral, rechte Framings wie „Technologieoffenheit“ abzulehnen. Sie gaukeln vor, man müsse sich zwischen zwei Optionen entscheiden: Entweder Innovation, die undemokratisch und von Profitlogik getrieben Technologien auf den Markt bringt, oder keine Innovation und damit Rückschritt. Dabei können fortschrittliche Kräfte wie Arbeiter:innenbewegung und Klimabewegung eine dritte Option vorschlagen: Technologie und Innovation für die Vielen, ausgerichtet nach sozialen und ökologischen Zielen und nicht an Profiten. Wie wichtig dieser Deutungskampf ist, zeigt die UN-Klimakonferenz 2023 COP28 in Dubai, die vom 30. 11. bis 12. 12. 2023 stattfindet. 

Die Weltklimakonferenz im Zeichen der fossilen Industrie

Die COP28 verliert bereits im Vorfeld an Glaubwürdigkeit. 130 Politiker:innen aus den USA und Europa protestierten in einem offenen Brief gegen die Benennung von Sultan Ahmed Al Jaber, CEO des Ölkonzerns ADNOC, zum Vorsitzenden der Konferenz. Der fühlt sich hingegen bestgeeignet, denn seine Linie sei – nicht unpassend zum Motto der COP28 – ein „pragmatischer, realistischer und lösungsorientierter Ansatz, der kohlenstoffarmes Wirtschaftswachstum ermöglicht“. Dieser Ansatz fußt auf Technologie und Innovation und soll Regierungen, Unternehmen, Wissenschaft, Investor:innen und Startups mobilisieren, um Entwicklung und Einsatz von Klimatechnologien voranzutreiben. Technische Lösungen die „kohlenstoffarm“, aber nicht kohlenstofffrei sind.

Dass Al Jaber ein Interesse daran hat die Diskussion über die Energiewende auf der COP28 zu beeinflussen, lässt sich aufgrund der verbleibenden, großen Öl- und Gasvorkommen in den Vereinigten Arabischen Emiraten (111 Milliarden Barrel Öl und 8200 Milliarden m3 Erdgas) vermuten. Bereits im Vorfeld wurden die Vortragenden der Konferenz angehalten, keine Unternehmen der VAE zu kritisieren. Was ist das unverhohlene Ziel dieser Unternehmen? „Saubere und erneuerbare Energien als eine natürliche und logische Erweiterung der Rolle der Vereinigten Arabischen Emirate als weltweiter Vorreiter im Energiebereich“ zu positionieren. Erweiterung als und, nicht als statt. Dabei bedeutet Innovation eigentlich „schöpferische Zerstörung“, also nicht nur Neues einzuführen, sondern auch Altes zu beenden. Zweifelsohne würde sich ein Öl-Industriellen nicht an die Spitze einer Weltklimakonferenz setzen, die einen Ausstieg aus fossilen Energien als unumgänglich ansieht. So hingegen kann Al Jaber seine Sichtbarkeit im Rahmen der Konferenz nutzen, um die Bekämpfung der Klimakrise für seine Interessen umzudeuten.

Technologie, Innovation und grünes Wachstum

Dieser „pragmatische, realistische und lösungs­orientierte Ansatz“ wird nicht nur von der fossilen Industrie verfolgt. Das Ziel, die Klimakrise einzudämmen, wird von vielen Akteur:innen vereinnahmt. Das gilt auch für grüne Modernisierungsprogramme, die nicht darauf ausgerichtet sind, Menschenleben auf dem Planeten zu retten, sondern politische Eingriffe zur Schaffung von Wettbewerbsvorteilen gegenüber anderen Wirtschaftsstandorten sind. Eindrücklich sieht man das auch am Inflation Reduction Act (IRA) der USA, dem 700 Milliarden Dollar schweren Paket für Energie- und Klimaschutztechnologien. Damit soll vor allem eines erreicht werden: „dass die USA weltweit führend in sauberer Energietechnologie, Produktion und Innovation bleiben“. Die EU bleibt davon nicht unberührt. So will zum Beispiel der neue Klimachef der Europäischen Kommission, Maroš Šefčovič, sicherstellen, „dass die EU für das Wirtschaftswachstum, die Sozialpolitik und natürlich die Auftrechterhaltung der Führungsrolle der EU in vollem Umfang von Klimagesetzen profitiert“.

Dementsprechend liest sich auch der EU Green Industrial Plan, der als Antwort auf den US-amerikanischen IRA gilt. Er ist ein Förderprogramm für die europäische Industrie und enthält unter anderem mehr und unkompliziertere Gelder für Unternehmen zur Entwicklung „klimaneutraler Technologien“, Freihandelsverträge für die Rohstoff-Sicherung aus Drittstaaten und handelspolitische Schutz­instrumente, damit Unternehmen der EU nicht im Wettbewerb zurückfallen. Der Plan will den ökologischen Wandel als Chance nutzen, um die Position Europas im globalen Wettbewerb zu sichern.Es geht dabei nicht darum, dass klimaneutrale Technologien produziert werden, sondern von wem sie produziert werden. Wettbewerb und Wachstum gehen Hand in Hand. Wachstum entsteht aber nicht aus dem Nichts, sondern braucht Energie und Material. Eine dekarbonisierte Wirtschaft würde beim derzeitigen Energieverbrauch in reichen Ländern ein enormes Ausmaß an Material für die gesamte Energieinfrastruktur und Batterien benötigen. Insbesondere beim Abbau der sogenannten Konfliktmineralien Zinn, Wolfram, Tantal und Gold werden im Globalen Süden schwere Menschenrechtsverletzungen in Kauf genommen, um diese Rohstoffe in den Globalen Norden exportieren zu können. 

Die Befürworter:innen grüner Wachstumsprogram­­me gehen davon aus, dass das 1,5-Grad-Ziel des Pariser Abkommens jetzt überschritten werden kann, weil sich später „negative Emissionen“ werden erzielen lassen, basierend auf Spekulationen über neue Technologien wie Carbon Capture (siehe Schwerpunktartikel "Kohlendioxid verschwinden lassen"). Sollte sich allerdings herausstellen, dass diese Technologien nicht die notwendigen Reduktionen ermöglichen, ist die Erdüberhitzung bereits unumkehrbar. Darüber hinaus werden andere planetare Grenzen, insbesondere Schäden an Ökosystemen, völlig ignoriert, was nicht zuletzt unsere Lebensmittelversorgung unmittelbar gefährdet. 

Was ist dran an „klimaneutralen Technologien“? 

Wie unverschämt das Greenwashing von technologischen Innovationen ist, zeigen mehrere Beispiele, entlang derer in der jüngeren Vergangenheit Deutungskämpfe geführt wurden. Da ist zum Beispiel die E-Fuels-Debatte, in der das Framing „Technologieoffenheit“ von der Automobillobby gesetzt wurde. Keine Form der Mobilität, seien es Wasserstoff-Autos oder selbstfahrende E-Autos, ist „emissionsfrei“. Selbst wenn der Betrieb eines Autos keine Treibhausgase freisetzt, müssen für die Produktion der Fahrzeuge, die Errichtung der Ladeinfrastruktur, die Wartung und die Entsorgung sehr wohl Energie und Material verwendet werden. 

Auch beim Flugverkehr wurde dieses Framing gesetzt. Die Fluglobby spricht von einem Pfad zu „dekarbonisierten“ Flügen mit alternativen Treibstoffen wie Wasserstoff oder Bio-Kraftstoffen. Flugunternehmen nennen auch Flüge „klimaneutral“, bei denen sie lediglich das ausgestoßene CO2 kompensieren (siehe „Leben“). Diese Green­washing-Praxis ist in Österreich nicht erlaubt, wie eine Klage gegen die Austrian Airlines zeigt. Jedenfalls scheint niemand zu beabsichtigen, den Flugverkehr auf das Niveau zu senken, mit dem das globale CO2 Budget eingehalten werden kann. Dabei ist dieses Festhalten am Flugverkehr eklatant ungerecht: Auf der einen Seite profitieren nur ganz wenige: nur circa ein Zehntel der Weltbevölkerung ist überhaupt schon einmal in ihrem Leben geflogen. Auf der anderen Seite leiden die Vielen, so führt etwa die Herstellung von Bio-Ethanol in Staaten wie Sierra Leone zu Landgrabbing, Verarmung und verseuchtem Trinkwasser in ganzen Dörfern. 

Effizienz und Überwachung 

Auch Effizienzsteigerungen durch Software-Innovationen, wie künstliche Intelligenz und vernetzte Maschinen, sind ein falsches Versprechen. Empirisch betrachtet führen technische Fortschritte nicht zur tatsächlichen Einsparung von Energie und Material. Mit zunehmender Effizienz steigt der Einsatz. Je intelligenter die Anwendung, desto höher die Rechenleistung, desto höher auch der Energieverbrauch. Technologien, die optimieren und automatisieren sollen, werden von Unternehmen entwickelt, die damit ihre Kapitalerträge erhöhen und (Personal-)Kosten einsparen wollen. Sie forcieren diese Effizienzsteigerungen nicht, um damit die Gesellschaft voranzubringen (siehe Schwerpunktartikel "Damit auch morgen noch Öl fließt"). Dass Technologieentwicklung von Geschäftsmodellen angetrieben wird, zeigt sich beispielsweise an der Innovation „geplante Obsoleszenz durch Software“, die dafür sorgt, dass eigentlich intakte Hardware, wie etwa Geschirrspüler, entsorgt werden müssen, weil ihr Betriebssystem abläuft. 

Technologien sind auch nicht sozial neutral: Digitale Kommunikationsmittel könnten nützlich sein, um sich entlang internationaler Lieferketten zu vernetzen. Das wäre notwendig, um internationale Gerechtigkeit in der Dekarbonisierung zu erkämpfen. Gewerkschaften verschiedener Länder könnten sich gemeinsam gegen die Ausbeutung von Arbeiter:innen des Globalen Südens beim Abbau seltener Rohstoffe solidarisieren. Doch auch die digitale Kommunikation wird von Profitlogik geprägt. So entwickelte etwa ein Wiener Startup mit Hilfe öffentlicher Förderungen eine KI, die Streiks auf Basis von Social-Media-Bewegungen vorhersagen kann. Ziel dieser KI ist es, internationale Lieferketten flexibel umstellen zu können, sollte bei einem Lieferanten ein Streik ausbrechen. Globale Arbeitskämpfe könnten auf diese Weise schnell ausgehebelt werden. Auch die Klimabewegung ist von Überwachung betroffen. Nicht zuletzt konnte der Ölkonzern ADNOC bei der Vorbereitung der COP28 die E-Mails des UN-Klimagipfelbüros mitlesen, weil diese über dieselben Server liefen. 

Technologien für den sozialen und ökologischen Umbau

Gegen das Motto „Technologie und Innovation“ ist grundsätzlich nichts einzuwenden. Das Problem sind nicht die Technologien selbst. Vielmehr sind es die Verhältnisse, in denen Technologien ausgesucht, entwickelt, eingesetzt und entsorgt werden. Was wäre, wenn wir nicht auf profit­orientierte Innovation setzen würden? Wenn wir uns im Vorhinein fragen würden, welche Technologien wir brauchen, welche sozialen und ökologischen Kriterien sie erfüllen müssen und was durch sie ersetzt werden kann? Wenn die Entscheidung demokratisch gefällt würde, welche Technologien wir entwickeln und welche wir beenden? Was wäre, wenn wir uns auf Technologien fokussieren würden, die wir wirklich brauchen, statt Schadensbegrenzung für eine nicht nachhaltige Wirtschafts- und Produktionsweise zu betreiben?

Das wären Innovationen, die Institutionen umwandeln, unterdrückerische Machstrukturen bekämpfen, kollektives Handeln fördern, demokratische Ressourcenplanung und -verteilung unterstützen, soziale Beziehungen von unten nach oben aufbauen und bestehende Bedürfnisse besser erfüllen. Technologie und Innovation im Rahmen grüner Modernisierungsprogramme, die nicht aus der Profitlogik befreit werden, sind nicht geeignet, um ein gutes Leben für alle innerhalb der planetaren Grenzen zu erreichen. Technologie-Entwicklung sollte für die Menschen da sein und nicht die Menschen für die Technologie-Entwicklung. Wir brauchen einen Umbau unserer Wirtschaftsweise, der mit sozialen und ökologischen Innovationen Hand in Hand geht.