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Nachhaltigkeit

Nachhaltigkeit auf österreichisch

Erst vor kurzem hat Thomas Ritt hier die Ausgangslage, Gründe und den Prozess erläutert, warum die bis heute geltende Nachhaltigkeitsstrategie des Bundes aus 2002 (NStratALT) überarbeitet werden muss (Wirtschaft & Umwelt 4/2011 – Nachhaltigkeit Reloaded). Er war auch vorsichtig optimistisch, dass es diesmal gelingen könnte. Doch es ist wieder anders gekommen. Der ursprüngliche Plan, die neue Nachhaltigkeitsstrategie des Bundes (NStratNEU) noch vor dem Sommer im Ministerrat zu beschließen, musste schon im Frühjahr 2012 fallen gelassen werden. Der Zeitplan für die zehn Workshops und das Zusammenführen der Texte in einem Gesamtdokument war einfach nicht zu halten. Daher wollte man dann die NStratNEU in Ruhe fertig verhandeln, um sie dann im Sommer vom Ministerrat beschließen zu lassen. 

Doch beschlossen ist sie immer noch nicht. Dem Vernehmen nach hat das Kabinett von Vizekanzler Spindelegger den Prozess vorerst gestoppt: Das zwischen Bundeskanzleramt  und dem Umweltministerium ausgehandelte Dokument sei zu „sozialistisch“ und außerdem zu lang. Mittlerweile sind auch alle Teilnehmer des Prozesses offiziell informiert worden, dass die Verhandlungen auf der Ebene der Ministerbüros keine Einigung gebracht haben. Mit September werde bekannt gegeben, wie es weitergehen soll. Einen neuen Endtermin für die Beschlussfassung im Ministerrat gebe es noch nicht. 

Kurzum: Die österreichische Delegation musste also Mitte Juni ohne NStratNEU zur UN-Nachhaltigkeitskonferenz nach Rio fahren. Rio+20 hat das sicher keinen Abbruch getan. Die kleine österreichische Peinlichkeit, dass wir immer noch nicht über eine anerkannte Strategie des Bundes verfügen, ist wohl hinter den durchwachsenen Ergebnissen von Rio+20 verblasst. Umweltminister Berlakovich hat auch nicht deswegen seine Teilnahme in Rio abgesagt. Dafür seien die aus österreichischer Sicht dürftigen Verhandlungsergebnisse im Vorfeld des Gipfels verantwortlich – so die offizielle Kommunikation.

Stillstand

Der Rechnungshof hat anlässlich seines Berichts „Nachhaltige Entwicklung in Österreich“ festgestellt, dass die NStrat­ALT schon ab 2007, dem Beginn der Arbeiten an der ÖStrat – der gemeinsamen Bund-Länder-Plattform mit gleichnamiger Strategie – nicht mehr ?weiterentwickelt worden ist. Die NStrat­ALT hat einfach niemand ernst genommen. Ihr fehlte von Anfang an die politische Legitimation: Eine von der WU-Wien 2002 erstellte Evaluation listet all die Änderungen auf, die am ExpertInnenentwurf für die NStratALT in letzter Minute – auf Drängen einer der beiden politischen Parteien in der schwarz-blauen Koalition – in der abschließenden politischen Koordination auf Kabinettsebene vorgenommen worden waren. Wichtige Ziele oder Maßnahmen fehlten plötzlich, stattdessen fanden sich gar Textpassagen aus der damaligen Koalitionsvereinbarung. Die Mitarbeiter der Redaktionsgruppe für den Expertenentwurf sahen darin einen Bruch der Arbeitsspielregeln, so die Evaluation höflich. 

Evaluierung

Insider sprechen unverblümt aus, dass der Entwurf eine „politische Totgeburt“ war. Die WU-Evaluation empfiehlt dann auch lakonisch: „Für künftige Projekte bleibt zu überlegen, wie der Übergang zwischen Entwurf und politischem Grundsatzpapier effizienter, transparenter und zielorientierter organisiert werden könnte.“ Sprich: Was die Ministerbüros schlussendlich als Text vereinbaren, soll für die Experten, die vorher dran gearbeitet haben, nachvollziehbar bleiben.

Eine NStratNEU ist also sicher nötig. Doch die aktuellen Entwicklungen werfen die Frage auf, ob man aus den damaligen Erfahrungen genug gelernt hat. Die Neuausarbeitung der NStrat ist im Regierungsprogramm fix vereinbart. Dafür hatte sich die AK sehr eingesetzt. Den förmlichen Auftrag erteilte der Ministerrat bereits im Sommer 2010, die konkreten Arbeiten (Kasten Seite 23) haben dann aber erst im November 2011 begonnen. An den zehn Workshops – einer je Handlungsfeld – haben insgesamt rund 100 ExpertInnen aus Ministerien und Sozialpartnerorganisationen teilgenommen. Ende Juni hat das „Komitee nachhaltiges Österreich“ (KNHÖ – Gremium zur Abstimmung zwischen allen Ministerien und Sozialpartnern) das Gesamtdokument abgesegnet. Die zehn Leitbilder und die zugehörigen Zielsetzungen waren praktisch ganz abgestimmt. Lediglich in einigen Handlungsansätzen – vornehmlich zu brisanten sozial- und wirtschaftspolitischen Themen wie z. B. Arbeitszeitverkürzung – wollte man die endgültige Formulierung der politischen Koordination auf Kabinettsebene überlassen. 

Doch die ist aus dem Ruder gelaufen. Offenkundig steht weit mehr als die zuletzt im Dissens verbliebenen Passagen, vielleicht sogar der Text als Ganzes, in Frage. Dem Vernehmen nach findet sich die Wirtschaftskammer im Text nun nicht ausreichend, obwohl ihre ExpertInnen immer beigezogen waren. Selbstverständlich haben auch wir aus AK-Sicht bis zuletzt Wünsche geäußert. Die im Dissens verbliebenen erwähnten Handlungsansätze gehören auch dazu. Aber diese Wünsche waren nicht mit der Vorstellung verbunden, dass sonst der Text als Ganzes abgelehnt werden müsste. Klar ist, dass solche Prozesse immer ein Zugehen auf einander brauchen. Wenn es nicht gelingt ein Ziel, z.B. in 20 Jahren, konkret zu vereinbaren, so sollte man wenigstens Vereinbarungen treffen, die ein Losstarten ermöglichen. Fachlich ist es ohnedies oft schwierig, Ziele weit im Voraus  zu bestimmen. Da macht es mehr Sinn, „sich auf den Weg zu machen“ im Vertrauen darauf, dass das Ziel dann unterwegs deutlicher wird. Das gilt sicher auch für die „Nachhaltigkeit“ und das Ringen um den Weg dorthin. So ist auch die Kritik zu sehen, die das Netzwerk Soziale Verantwortung (NeSoVe) am Textentwurf geäußert hat, vornehmlich die Forderung nach mehr Transparenz und Beteiligung der Zivilgesellschaft. Weniger wichtig scheint mir, ob die einzelnen Handlungsfelder „perfekt abgearbeitet“ sind.

Und wie schauen die Strukturen und Verbindlichkeiten für die künftige Zusammenarbeit aus? Schon der Ministerratsbeschluss vom August 2012 zeigt, dass nicht bloß eine Strategie, sondern auch ein Arbeitsprogramm erstellt werden sollen. Eine Strategie ohne Ziele, Umsetzung und Evaluation macht keinen Sinn. Auch der Rechnungshof ist 2010 davon ausgegangen, dass der Bund ein eigenes Arbeitsprogramm entwirft. 

Widerstände

Mit fortschreitender Arbeit an der Strategie hat sich aber gezeigt, dass ein solches gar nicht angepeilt wird. Vielmehr sollte das ÖStrat-Arbeitsprogramm auch der Umsetzung der NStratNEU dienen. Der Gedanke ist nicht abwegig, zumal die Vervielfachung der Strategien in einem kleinen Bundesstaat kaum einen Mehrwert bringt. Die ÖStrat als gemeinsame Nachhaltigkeitsplattform für Bund und Länder könnte unter bestimmten Voraussetzungen natürlich auch als Plattform für die Umsetzungsschritte auf Bundesseite dienen. Dies gilt umso mehr als das 2009 von der Landeshauptleutekonferenz bzw. 2010 vom Ministerrat beschlossene Strategiedokument der ÖStrat gar keine eigenen Ziele formuliert, sondern sich den Zielen der NStrat und der EU-Nachhaltigkeitsstrategie verpflichtet. Problematisch ist aber, dass in der Nachhaltigkeitskoordinationskonferenz (NHKK), dem Steuerungsgremium der ÖStrat, nur die Länder sowie Bundeskanzleramt und Umweltministerium vertreten sind, während die übrigen Ministerien wie die Sozialpartner sich nur im Wege des KNHÖ einbringen können. Die Forderung, den übrigen Ministerien und den Sozialpartnern auch hier einen, direkten Zugang zu verschaffen ist aber auf unerwarteten Widerstand im Umweltministerium gestoßen. Auch die Länder sollen dem reserviert gegenüberstehen. Dass die AK keine Möglichkeit haben soll, unmittelbar an der Umsetzung der NStratNEU mitzuwirken, ist aus unserer Sicht nicht anschlussfähig und kaum mit den hohen Ansprüchen an Partizipation und Transparenz bei Nachhaltigkeitsprozessen in Einklang zu bringen.

Außerdem beteiligen sich die Länder am derzeitigen NStrat-Prozess nur „zur Information“. Die Absicht von Bundeskanzleramt und Umweltministerium, die NStratNEU im Rahmen der ÖStrat-Arbeitsprogramme umzusetzen, ist mit den Ländern nicht abgestimmt. Es könnte auch sein, dass die Länder einer künftigen Ausweitung der ÖStrat-Themenfelder anhand der „umfänglicheren“ Handlungsfelder der NStratNEU nicht zustimmen. Wer klug ist, zieht nicht aus, bevor er nicht weiß, wo er hinziehen wird. Daher sollte man auch in all diesen Fragen eine Klärung mit den Ländern suchen, bevor eine endgültige Entscheidung erfolgt. 

Die Zeit drängt

Verständlich sind Befürchtungen, dass zusätzliche Akteure auch zusätzliche Abstimmungsprobleme bewirken. Wie zäh solche Nachhaltigkeitsprozesse ablaufen können, kann man gerade jetzt beobachten. Doch da hilft nicht Ausgrenzung, sondern nur die richtige Entscheidungsebene. Ministerien haben zu vielen Fragen, die in der NStratNEU angesprochen werden, gar nicht die Kompetenz. Viele der Vorschläge werden früher oder später gesetzlicher Maßnahmen bedürfen, damit sie auf Schiene kommen. Ministerrat und Landeshauptleutekonferenz sind sicher nicht die „höchsten politischen“ Gremien auf Bundes- bzw. Landesebene, wie dies der Rechnungshof 2010 empfohlen hat. Das ist vielmehr das Parlament! Warum spricht niemand darüber, dass das Parlament die NStratNEU beschließen und politisch weiter begleiten sollte? Dann könnte es auch gelingen, die Strategie mit konkreteren Zielen zu versehen, die bis jetzt fehlen. Spätestens wenn 2015 die UN-Nachhaltigkeitsziele die aktuellen Millennium-Entwicklungsziele ablösen, so wie dies in Rio+20 bekräftigt worden ist, werden wir Ähnliches auch in Österreich brauchen.