Politik

Sozialpartner: Mehrweg und Wettbewerb

Die im Dezember 2010 von den Koalitionsparteien angenommene Entschließung „Nachhaltigkeit im Bereich Verpackung (1369/A(E))“ markiert einen gewissen Höhepunkt, weil sie Konsenspfade für Debatten vorgibt , die Jahre zuvor an Polarisierung kaum zu überbieten waren und 2010 in eine völlige Blockade mündeten (siehe Kasten). 

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Richtungsentscheidungen waren nötig. Die trafen die Koalitionsparteien, indem sie per Entschließung den Umweltminister ersuchten, „geeignete Maßnahmen und Regelungen vorzulegen, welche eine Öffnung des Marktes für einen fairen Wettbewerb von Sammel- und Verwertungssystemen gewährleisten und eine umweltfreundliche Entwicklung des Mehrweganteils an Getränkeverpackungen zu bewirken vermögen.“ Zu allem sollten die Sozialpartner bis Mitte 2011 Vorschläge vorlegen. Damit war entschieden, dass beides nun doch kommen musste: Die Öffnung der Haushaltssammlung für Wettbewerb sowie Maßnahmen zur Förderung von Mehrweg; letztere sollten aber doch weiter „freiwillige“ Maßnahmen sein – denn die Entschließung spricht bewusst nicht von gesetzlichen Maßnahmen. 

Die Gespräche zum „Positionspapier Wettbewerb“ gediehen schnell, weil Sondierungsgespräche ab 2009 zwischen AK und Altstoff Recycling Austria (ARA) gezeigt hatten, dass ein „Runder Tisch der Sammel- und Verwertungssysteme unter Moderation der Bundeswettbewerbsbehörde (BWB)“ wohl der zielführendste Weg ist. ARA und die MitbewerberInnen sollten dort – unter den kritischen Augen der WettbewerbshüterInnen – die Einzelheiten der Anpassung der Regionalpartnerverträge aushandeln, insoweit es hier nicht um abfallwirtschaftliche, sondern um wettbewerbliche Fragen geht. 

Die Herausforderung in den Gesprächen um das Thema „Mehrweg“ war, dass hier gleichsam ein Neuanfang, eine neue Gesprächsebene und eine gemeinsame Sichtweise zu entwickeln waren. Zudem wollten Getränkewirtschaft und Handel noch die Ergebnisse der vom Institut für Energie- und Umweltforschung (IFEU) durchgeführten Ökobilanz zu Mineralwasser- und Getränkeverpackungen abwarten. 

Zwischenbilanz

So sind schlussendlich zwei Dokumente entstanden, die sich gegenseitig ergänzen: Die „Sozialpartnerempfehlung Mehrweg“ enthält als Kern das Bekenntnis zur Stabilisierung der bestehenden Mehrwegsysteme auf dem Niveau von 2010 – bei rund 22 Prozent. Um die geschwundene Wertschätzung für den Gedanken der Wiederverwendung wiederherzustellen, empfiehlt sie dem Umweltminister eine Mehrwegkampagne zu starten und die beteiligten Kreise im Rahmen einer Plattform zum Mitmachen einzuladen. Den Konsens hat wohl erleichtert, dass das Nebeneinander von Einweg und Mehrweg akzeptiert war: Ziel war, Gesamtverbesserungen am Getränkesektor zu erzielen. Dazu dienen auch Maßnahmen für weniger Umweltbelastungen durch Einwegverpackungen, insbesondere die  Erhöhung des Bottle-to-Bottle-Recyclings bei PET-Flaschen und gegen das Wegwerfen von Müll (Littering) im öffentlichen Raum. Zur Verbesserung der Qualität der verwendeten Kunststoffverpackungen soll eine Plattform beim Gesundheitsminister beitragen, die sich mit der Migration von Stoffen aus und in Verpackungen beschäftigt. 

Das zweite Dokument – die „Selbstverpflichtung Mehrweg“ – sollte die seit 2000 bestehende „freiwillige Selbstverpflichtung“ der Arbeitsgemeinschaft Nachhaltigkeitsagenda (ARGE) ergänzen. Die ARGE ist eine Wirtschaftskammerplattform, in der fast alle namhaften Unternehmen in Getränkewirtschaft und Handel versammelt sind (www.nachhaltigkeitsagenda.at). Die „Selbstverpflichtung Mehrweg“ konkretisiert die Maßnahmen, die Mehrweg für KonsumentInnen wieder attraktiver machen sollen: Zum einem eine bessere Darbietung und Bewerbung im Handel gekoppelt mit Maßnahmen zur Steigerung der Convenience wie etwa Reduktionen des Flaschengewichts, leichtere Splitboxen etc. Nach heftigem Ringen hat die ARGE auch zugesagt, der 0,3-Liter-Biermehrwegglasflasche eine Chance zu geben. Dieses Umsatz-Hoffnungssegment wird ja bis dato von großen Abfüllern und vom Handel durchwegs in Glas-Einweg entwickelt, was die Bierökobilanz massiv verschlechtert. Die „Selbstverpflichtung“ sieht ein Monitoring und jährliche Berichte an die Öffentlichkeit vor. Die Sozialpartner sollen im Wege eines Stakeholderbeirats laufend über die Aktivitäten der ARGE informiert werden. Nach drei Jahren ist eine Gesamtevaluierung vorgesehen.

Fast fristgerecht sind im Juni 2011 die drei Empfehlungen an den Umwelt- und den Gesundheitsminister, die Bundeswettbewerbsbehörde und die im Parlament vertretenen politischen Parteien übermittelt worden. Was hat sich seither getan? Was dürfen wir für die Zukunft erwarten?

Am weitesten ist wohl die Umsetzung der Anti-Littering-Maßnahmen gediehen. Hier hat sich in der ARGE eine Plattform gebildet, die von den einweg-affinen Unternehmen aus Getränkewirtschaft und Handel getragen wird. Rund ein Drittel des jährlichen Budgets von einer Million Euro bringen hier allein die Diskonter (Hofer, Lidl, Penny) auf, der Rest kommt aus den ARA-Lizenzgebühren. Faktisch betreibt ARA die Kampagne (www.reinwerfen.at). 

Relativ fortgeschritten – und aus AK-Sicht sehr begrüßenswert – sind auch die Arbeiten des Umweltministeriums an der nötigen AWG-Novelle Verpackungen. Die Kooperation mit der BWB scheint bestens. Ein Arbeitsentwurf, der die Öffnung für Wettbewerb – so wie von der EU-Kommission gewollt – auf der Ebene der Regionalpartnerverträge umsetzt, sowie einer für die neue Verpackungsverordnung, sind schon vorgestellt worden. Es fehlt nur mehr die Feinabstimmung. Freilich können sich die hinter der ARA stehenden Unternehmen noch immer nicht damit abfinden und sammeln Unterschriften für eine „Petition an die Bundesregierung“. Bleibt abzuwarten, ob sich die EU-Kommission auch offiziell für den Entwurf einsetzt. Zudem steht die Entscheidung noch aus, ob sie das Marktmissbrauchsverfahren gegen die ARA nun tatsächlich einleitet.

Am schwierigsten vorherzusagen sind die Entwicklungen bei „Mehrweg“. Hier ist die Herausforderung, ein Pilotprojekt zum gerne gebrauchten Schlagwort „Nachhaltiger Konsum“ zu entwickeln, das auf Mehrweg fokussiert ist. Freilich: Von einem ähnlichen Budget  wie bei Anti-Littering kann man nur träumen. Erste Sondierungsgespräche mit den Nachhaltigkeitsabteilungen der großen Lebensmittelhandelsketten (nur Vollsortimenter) haben gezeigt, dass von einer systematischen Mehrweg-Förderung noch keine Rede sein kann. Offenkundig ist, dass ein wirkungsorientiertes externes Monitoring der Einzelmaßnahmen gemäß der Selbstverpflichtung sinnvoll kaum möglich ist. Flugblätter und Plakatständer zu zählen, sagt nur wenig über die tatsächlich gelebten Unternehmenspolitiken aus. So ist die Idee entstanden, die großen Handelsketten anzuregen, selbst eine interne Unternehmenspolitik mit dem Ziel der „Stabilisierung der betrieblichen Mehrwegquote am Level von 2010“ zu beschließen und umzusetzen. So wie bei anderen betrieblichen Umweltprojekten, etwa nach dem Ökoprofit-Ansatz, sollen die Ketten dann Kennzahlen zur internen Mehrwegpräsenz und den beobachteten Trends am Point-of-Sale erheben, Schwachstellen und Erfolg versprechende Segmente identifizieren, dazu Maßnahmen entwickeln, umsetzen, evaluieren usw. Die Gespräche dazu laufen noch. 

Ausblick

Vielleicht gibt der nahende Termin für den ersten Bericht an die Öffentlichkeit den nötigen Anstoß, dass die Ketten hier einen „mutigen Start“ wagen. Zu tun gäbe es genug: So ist eine bessere Kennzeichnung von Mehrweg – am Regal oder am Gebinde – für die KonsumentInnen dringend nötig. Manche Bierbrauer stehen schon bereit, um mit 0,3-Liter-Mehrweg-Glasflaschen in die Regale zu kommen. Rechtzeitig hat sich nun auch das Umweltministerium zur gewünschten Kampagne: „Sag’s am Mehrweg“ entschlossen. Die Vorbereitungen, auch für eine Relaunch von Mehrweg auf www.bewusstkaufen.at, laufen auf Hochtouren. Das wird auch dem Handel helfen. Die aktuellen Zahlen zur Mehrwegquote sind günstig: Denn der Rückgang soll nur 0,2 Prozentpunkte betragen. Die gewonnene Zeit sollte zum Durchstarten genutzt werden.