Schwerpunkt
Extremereignis Wetter
Warum wir Arbeitnehmer:innen vor Extremwetter schützen müssen
Die hohen Temperaturen infolge des Klimawandels verschärfen extreme Wetterereignisse: Stürme, Überschwemmungen und Trockenperioden werden häufiger. Das Arbeitsrecht bietet den Beschäftigten aber keinen ausreichenden Schutz in solchen Krisen. Viele dieser Herausforderungen haben sich bereits in der Corona-Pandemie gestellt. Diese Erfahrungen gilt es zu nutzen.
Folgen des Klimawandels am Arbeitsplatz massiv spürbar
Beim Klima purzeln die Negativrekorde: Auf den wärmsten Winter der Messgeschichte folgte der wärmste März, gefolgt von Hitzerekorden im April. Dann der späte Wintereinbruch. Das Wetter wird immer heißer und unberechenbarer. Seit bald 40 Jahren gibt es keinen Sommer mehr, den man 1980 noch als kalt bezeichnet hätte. Von den zehn wärmsten Sommern der 256-jährigen Messgeschichte in Österreich fallen sieben (!) in die vergangenen 20 Jahre. Die hohen Temperaturen sorgen neben Hitzewellen und Dürreperioden auch immer häufiger für extremes Wetter in Form von Stürmen, Hochwasser und Hagel.
Das hat auch Auswirkungen am Arbeitsplatz. Pralle Sonne und tropische Temperaturen auf der Baustelle, 40 Grad Celsius in der Krankabine oder Schwitzen im Büro: Die Temperaturen haben schon jetzt immer öfter tödliche Folgen. 2022 gab es in Europa nach konservativen Schätzungen ca. 15.000 Hitzetote, mehrere hundert davon in Österreich. Aber auch Sturm und Hagel sind Gefahren auf dem Weg zur Arbeit und am Arbeitsplatz selbst. Das wirft zahlreiche Fragen auf: Wann darf ich meinen Arbeitsplatz verlassen? Kann ich heimfahren, um meine Kinder rechtzeitig vor dem Unwetter abzuholen oder mein Hab und Gut vor Unwetterschäden zu schützen? Was ist, wenn ich während der Arbeitszeit im Katastrophenschutz mithelfe? Diese Beispiele zeigen, dass an einem Arbeitsrecht, das sämtliche Folgen des Klimawandels abbildet und den Betroffenen die notwendige Rechtssicherheit gibt, kein Weg vorbeiführt.
Die Corona-Pandemie hat es gezeigt: Das Arbeitsrecht ist nicht krisenfest und damit auch nicht klimafit. Es wurde auf der Basis eines Regelbetriebs konzipiert, in dem Krisenereignisse die absolute Ausnahme darstellten, und es stammt aus einer Zeit, in der die Auswirkungen der Klimakrise noch nicht spürbar waren. Wir brauchen daher dringend Anpassungen. Denn inzwischen ändert sich das Klima schneller als das österreichische Recht zum Schutz der Arbeitnehmer:innen.
Hitze, Unwetter, Blackout – wer muss trotzdem arbeiten?
Der Klimawandel bringt neben Hitze auch Hochwasser und Waldbrände. So standen 2021 in Hallein (Salzburg) 300 Häuser unter Wasser, im niederösterreichischen Hirschwang wütete aufgrund von Dürre im selben Jahr bis dahin größte Waldbrand in der Geschichte Österreichs. Solche Extremwetter haben auch Folgen für knapp vier Millionen Arbeitnehmer:innen in Österreich. Doch wer in diesen Fällen tatsächlich arbeiten muss, entscheidet sich noch immer im Einzelfall.
Einige Beispiele für inzwischen gängige Anfragen in der arbeitsrechtlichen Beratung: Was tun, wenn durch ein Unwetter der Weg zum Arbeitsplatz versperrt ist? Was tun, wenn der Kindergarten wegen Unwetter geschlossen ist? Mangels eindeutiger Regelungen fallen diese mittlerweile im Jahresrhythmus wiederkehrenden Rechtsfragen unter das nur sehr vage formulierte „Dienstverhinderungsrecht“. Dieses erlaubt ein berechtigtes Fernbleiben von der Arbeit aus „wichtigen Gründen“. Wie unbefriedigend diese auf den Einzelfall bezogene Rechtslage für die mittlerweile zu einem Massenphänomen gewordenen Probleme ist, braucht an dieser Stelle nicht näher erläutert zu werden.
Erfahrungen aus der Corona-Pandemie für neue Antworten nutzen
Große Unsicherheit besteht auch, wenn sich Beschäftigte im Katastrophenfall für andere engagieren. Wenn ein:e Arbeitnehmer:in ausnahmsweise als Helfer:in bei der freiwilligen Feuerwehr im Zuge von Aufräumarbeiten nach Unwettern mitarbeitet, ist der Anspruch auf Fortzahlung des Entgelts nur für diesen speziellen Fall klar: Der/die Beschäftigte ist Mitglied der im Einsatz befindlichen Freiwilligen Feuerwehr, der Einsatz dauert mindestens durchgehend acht Stunden und an den Aufräumarbeiten sind mehr als 100 Personen beteiligt. Diese Voraussetzungen müssen natürlich alle gleichzeitig vorliegen, sonst gibt es keinen Lohn.
Viele dieser Fragen – insbesondere die Frage, was nun eine Dienstverhinderung ist, bei der ich weiter Lohn oder Gehalt bekomme – haben sich auch bei der Corona-Pandemie gestellt. Im Eiltempo konnten damals für viele der Fragestellungen klare Antworten in Gesetzes- oder Verordnungstexte gegossen werden. Die Beratungserfahrung der Sozialpartner, die im täglichen Kontakt mit ihren Mitgliedern stehen und so stets den Einblick haben, wo in der arbeitsrechtlichen Praxis der Schuh drückt, hat bei der Lösungsfindung eine wesentliche Rolle gespielt. Diese Erfahrungen gilt es nun auch für die noch gravierenderen Folgen des Klimawandels zu nutzen und Antworten darauf zu entwickeln.
Im Vordergrund muss dabei die Rechtssicherheit für alle Beteiligten stehen. Wenn ein bestimmtes Ereignis eintritt, müssen alle Betroffenen wissen, welche Ansprüche sie haben und unter welchen Voraussetzungen genau sie diese geltend machen können. Andernfalls könnte jeder Schadensfall langwierige juristische Verfahren nach sich ziehen, was angesichts der zunehmenden Häufung von Extremwetterereignissen wirtschaftlich und gesellschaftlich höchst destruktiv wäre und zudem auch nicht im Interesse der Betriebe sein kann, streben doch auch diese in Krisenzeiten nach größtmöglicher Schadensminimierung.
Der Weg zu einem klimafitten Arbeitsrecht
So sperrig die rechtliche Seite der Medaille auch wirken mag: Der Weg zu einem klimafitten Arbeitsrecht ist in manchen Bereichen weitaus kürzer, als er scheint. Das gilt jedenfalls für das Thema Hitze. Das zuständige Bundesministerium für Arbeit und Wirtschaft kann dabei nämlich auf die Expertise der Sozialpartner zurückgreifen, die vor dem Hintergrund ihrer Beratungserfahrungen über umfassende Kenntnis der anpassungsbedürftigen Regelungen verfügen. Hinzu kommt: Bei COVID-19 war das Ausmaß der Krise nicht absehbar, heute wissen wir aus Tausenden von wissenschaftlichen Analysen, was im Hinblick auf den Klimawandel auf uns zukommt.
Im Alleingang und ohne ein langwieriges Gesetzgebungsverfahren einleiten zu müssen, könnte der zuständige Minister in einem ersten Schritt die veraltete Arbeitsstätten-Verordnung novellieren. Diese müsste ab 25 Grad Celsius in Innenräumen Schutzmaßnahmen als zwingend vorsehen, um die Gesundheit der Arbeitnehmer:innen besser gegen die Auswirkungen von Hitze zu schützen. Das können beispielsweise Lüftungsmaßnahmen, Dämmungen oder Kühlanlagen sein. Reichen die getroffenen baulichen, organisatorischen und technischen Maßnahmen nicht aus, um die Hitzebelastung entsprechend zu senken, sollte der Maßnahmenkatalog Ersatzarbeitsplätze oder zusätzliche bezahlte Pausenregelungen vorsehen.
Einen entsprechenden Schutzkatalog benötigen auch alle Tätigkeiten, die an auswärtigen Arbeitsstellen erbracht werden (sog. „Outdoor-Arbeitsplätze“). Was der breiten Öffentlichkeit nämlich weitestgehend unbekannt ist: Diese Arbeitsstellen sind explizit vom Geltungsbereich der Arbeitsstättenverordnung ausgenommen. Personen, die beispielsweise an mobilen Arbeitsstellen oder in Gartenanlagen tätig sind, können sich gar nicht auf die Schutzbestimmungen der Arbeitsstättenverordnung berufen.
Rechtsanspruch auf Hitzefrei
In letzter Konsequenz müsste ein modernes Arbeitsrecht dort, wo keine kühlere Alternative angeboten wird, einen Rechtsanspruch auf Hitzefrei für alle Betroffenen vorsehen. In der österreichischen Rechtslage gibt es dazu nur eine Regelung für den Baubereich. Sie gilt grundsätzlich ab 32,5 Grad Celsius im Schatten, hat aber einen wesentlichen Haken: Rechtsanspruch darauf gibt es für betroffene Arbeitnehmer:innen keinen. Ob Hitzefrei gewährt wird, entscheidet weiterhin allein der Arbeitgeber:innen, meist nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten. Dabei wäre das Prozedere sehr einfach und die Kosten werden den Firmen sogar von der Bauarbeiter-Urlaubs- und Abfertigungskasse refundiert.
Leider nutzen immer noch zu wenige Betriebe diese Regelung und gefährden damit ihre Beschäftigten. Im ganzen Jahr 2022 gab es insgesamt für 38.842 Beschäftigte in 1.351 Betrieben an 24 Tagen hitzefrei – das heißt, nur jede:r vierte Bauarbeiter:in durfte bei großer Hitze die Arbeit niederlegen.
Bei der Gestaltung der Arbeitszeit ist zudem eine neue, gesunde Vollzeit der wichtigste Ansatzpunkt, um auch die Belastungen durch Hitze am Arbeitsplatz gering zu halten. Keine Lösung sind hingegen geteilte Dienste mit langen Pausen und ein deutlich verlängerter Arbeitstag, wie sie unter dem beschönigenden Titel „Siesta“ diskutiert werden. Sie erschweren die Vereinbarkeit von Beruf und Familie und sind keinesfalls ein probates Mittel, um klimabedingte Belastungen in der Arbeitswelt spürbar zu reduzieren.