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Kohlendioxid verschwinden lassen – Ein Zaubertrick
Kohlendioxid (CO2) entsteht in Kraftwerken bei der Stromerzeugung aus Kohle, in Haushalten beim Heizen mit Erdgas oder mit Holz sowie in Autos, Lastwagen, Flugzeugen und Schiffen beim Fahren mit Benzin oder Diesel. Darüber hinaus wird auch viel CO2 frei, wenn durch Brennen von Kalk mit Quarz Zement erzeugt wird und wenn in Stahlwerken Eisenerz und Koks zu Eisen und Stahl verarbeitet wird. Die Erfolge der Luftreinhaltung im ausgehenden 20. Jahrhundert regen die Phantasie an: Können wir nicht einfach auch den Schadstoff Kohlendioxid aus den Abgasen entfernen? Ja, sagen einige und behaupten, dies sei die Lösung aller künftigen Klimaprobleme. Andere meinen, dass dies nur eine Scheinlösung sei und dass viel grundlegendere Fragen der Verwendung von Energie in unserer Gesellschaft beantwortet werden müssen.
Dabei stehen sich sehr grundsätzliche Meinungen gegenüber. Vor diesem Hintergrund sollen die Argumente der Gegner und der Befürworter genauer betrachtet werden. Damit soll eine möglichst faktenbasierte Bewertung der technologischen Möglichkeiten zur Reduktion des Ausstoßes von Treibhausgasen ermöglicht werden.
Ein besonderes Gas: CO2
CO2 kann nicht mit Stickoxiden oder Schwefeldioxid verglichen werden. Denn CO2 ist nicht ein geringfügiger Begleitstoff im Abgas, sondern sein mengenmäßig wichtigster Bestandteil. Bei Verbrennungsprozessen ist CO2 das Produkt, um dessentwillen der Prozess überhaupt stattfindet. Dieser simple Sachverhalt wird häufig übersehen. Im Wesentlichen verbinden sich beim Verbrennungsvorgang zwei Sauerstoffatome (aus der Luft) mit einem Kohlenstoffatom, das in einer energiereichen Form im Energieträger vorliegt. In der Chemie wird Kohlenstoff mit dem Buchstaben C (wie Carbon) abgekürzt, Sauerstoff mit O (wie Oxygen). Die Abkürzung CO2 zeigt somit an, dass in einem Molekül Kohlendioxid ein Atom Kohlenstoff und zwei Atome Sauerstoff enthalten sind. Bei der Verbindung von Kohlenstoff mit dem Sauerstoff der Luft wird Wärme frei. Bei jedem Verbrennungsprozess geht es uns um genau diese Wärme. Sie wird in Kraftwerken, Autos oder Gasheizungen nutzbar gemacht. Wir können nicht das eine ohne das andere haben. Kurz gesagt: Es gibt keine Energie (aus der Verbrennung kohlenstoffhaltiger Energieträger) ohne die Freisetzung von CO2.
Weil Kohlendioxid normalerweise ein farb- und geruchloses Gas ist, nehmen wir nicht wahr, wie groß die Mengen sind, die bei Verbrennungsprozessen entstehen. So entstehen beispielsweise bei der Verbrennung von einem Liter Diesel rund zweieinhalb Kilogramm gasförmiges CO2. Im Vergleich dazu nehmen sich die anderen Luftschadstoffe zwergenhaft aus, denn sie fallen höchstens in Gramm-Mengen an.
Statt es als Abgas in die Atmosphäre zu blasen, könnte auch Kohlendioxid mit etwas Aufwand abgeschieden werden. Unter erhöhtem Druck wird Kohlendioxid flüssig und kann so gelagert werden. Solange es auf diese Weise nicht in die Atmosphäre gelangt, kann es seine Wirkung als Treibhausgas nicht entfalten.
Ab in die Tiefe
Aber die großen Mengen an CO2 machen seine Endlagerung in Tanks völlig unmöglich. Um sich ein Bild von der Menge zu machen: Im Jahr 2019 hat das Kraftwerk Simmering so viel CO2 ausgestoßen, dass es als Gas bei Umgebungstemperatur einen Ballon mit 1,15 Kilometer Durchmesser füllen würde. Auch verflüssigt wäre der Raumbedarf noch enorm – das Volumen entspricht dann einem Würfel von über 110m Seitenlänge.
Die einzige Möglichkeit, diese enorm großen Mengen zu lagern, ist der Untergrund. CO2 kann in unterirdische Lagerstätten in einigen hundert oder tausend Meter Tiefe gepresst werden. Wenn diese voll sind, werden sie verschlossen, so dass der Schadstoff für tausende Jahre nicht in die Atmosphäre gelangen kann.
Dies ist im Wesentlichen die Idee hinter der Technologie mit dem Kürzel CCS. Es steht für „Carbon Capture and Storage“, also Abscheidung und Speicherung von Kohlendioxid. Mit CCS scheint ein Ausweg gefunden zu sein, der es ermöglicht, fossile Energieträger bis zur völligen Erschöpfung aller Lagerstätten zu nutzen und gleichzeitig das Klima der Erde nicht mit Treibhausgasen zu belasten.
Manche, die nicht zufällig mit fossilen Energieträgern ihr Geld verdienen, träumen diesen Traum. Der Chef der staatlichen Ölgesellschaft der Vereinigten Arabischen Emirate, Sultan Al Jaber, übernahm den Vorsitz der COP 28, der diesjährigen Vertragsstaatenkonferenz der Klimarahmenkonvention, (siehe Beitrag S.10). Logisch, dass er, der sein Geld mit Öl und Gas verdient, fossile Energieträger auch in Zukunft als Teil des Energiesystems sieht – nur müssten deren Emissionen eben „vermindert“ werden. Diese Emissionsminderung soll durch die Abscheidung und Speicherung von CO2 erfolgen. Aus der Sicht der Vereinigten Arabischen Emirate trifft es sich gut, dass das CO2 in ehemalige Erdgaslagerstätten gepresst werden soll. So können die Emirate doppelt daran verdienen: zuerst durch den Verkauf des geförderten Erdgases, dann an der Einlagerung der Abgase aus aller Welt.
Wie realistisch ist die Anwendung von CCS?
Mehrere Gründe sprechen dagegen, dass dieser Traum bald Wirklichkeit wird. Erstens sind hohe Investitionen in die Anlagen zur Abscheidung und Verdichtung des CO2 nötig, etwa in die Pipelines für den Transport und in die Anlagen zum unterirdischen Einlagern. Diese Investitionen lohnen sich nur, wenn die Alternative – das Ausstoßen von CO2 in die Atmosphäre – nicht mehr möglich oder extrem teuer wäre. Die globalen Entwicklungen im internationalen Klimaschutz lassen dies derzeit nicht erwarten.
Damit hängt der zweite Grund zusammen: Es dauert zu lange. Bis die großen Kraftwerke und Produktionsanlagen mit der Technik für die Abscheidung von CO2 ausgerüstet sind, die Infrastruktur für die Tiefenlager errichtet ist und die noch offenen, technischen Fragen gelöst sind, vergehen viele Jahre, wenn nicht Jahrzehnte. Damit ist CCS keine Lösung für die Verringerung der Emissionen bis 2030 oder 2040.
Drittens ist unklar, wie viele unterirdische Lager sich für die Speicherung eignen. Die Internationale Energieagentur (IEA), die CCS sehr positiv sieht, geht davon aus, dass theoretisch genügend Kapazitäten für die nächsten Jahrzehnte vorhanden sind. Wieviel davon aber in der Praxis realisiert werden kann, ist unklar. Vor allem, wenn die Transportwege kurz gehalten werden sollen, ist weniger das globale Bild entscheidend, sondern wieviel Lagerkapazitäten lokal vorhanden sind.
Viertens erfordert CCS eine strenge Kontrolle. Der Energieaufwand für Abscheidung, Kompression, Transport und Einlagerung ist hoch. So sinkt der Wirkungsgrad eines fossilen Kraftwerks um zehn Prozentpunkte und mehr, wenn ein Teil des Stroms für die Abscheidung von CO2 verwendet wird. Dadurch wäre die Versuchung groß, das Abgas doch ungefiltert in die Atmosphäre zu entlassen und den Gewinn aus dem höheren Stromverkauf einzustreichen. Um dies zu verhindern, müsste streng überwacht werden, ob die geforderte Abscheidung auch realisiert wird. Aus diesen Gründen dürfte CCS allenfalls langfristig und nur in beschränktem Ausmaß eine Option für den Klimaschutz sein. Die Hoffnung, mit dieser Technologie schon in wenigen Jahren die Emissionen von CO2 ganz vermeiden zu können, ist völlig überzogen.
In Österreich ist die geologische Speicherung von CO2 derzeit verboten – ebenso wie in acht anderen Mitgliedstaaten. Das Verbot wurde im Jahr 2011 damit begründet, dass zu viele technische Fragen offen seien. Alle fünf Jahre ist jedoch eine Überprüfung vorgesehen. Ende 2023 ist wieder eine Überprüfung fällig. Das Finanzministerium (als das für Bergbau zuständige Ministerium) drängt auf eine Aufhebung des Verbots. CCS soll nach den Vorstellungen des Finanzministeriums Teil der österreichischen „Carbon Management Strategie“ werden.
Eine unsinnige Alternative
Oft wird in einem Atemzug mit CCS eine andere Technik genannt, die angeblich ebenfalls zu Emissionsreduktionen führen soll. Es handelt sich um die Wiederverwendung von CO2. Diese Technik wird wegen der englischen Bezeichnung „Carbon Capture and Utilization“ mit CCU abgekürzt. CCU wird mit dem Slogan beworben, dass Kohlendioxid ein wertvoller Rohstoff sei. Doch das ist eine Lüge. Im Gegensatz zu CCS reduziert CCU nicht die Menge an Treibhausgasen in der Atmosphäre. Bestenfalls werden die Emissionen für kurze Zeit verzögert.
Drei Szenarien sollen dies verdeutlich. Die Anwendung, in der schon heute CO2 in größerem Umfang technisch eingesetzt wird, ist die Erdölförderung. Dabei wird CO2 in bereits weitgehend ausgeförderte Lagerstätten gepresst, um die letzten Reste an Erdöl herauszudrücken. Verbleibt das CO2 danach in der Lagerstätte, dann handelt es sich um eine Form der bereits erläuterten CO2-Speicherung (CCS). Entweicht es hingegen, so belastet es die Atmosphäre genau so, als wäre es gleich freigesetzt worden.
Das zweite Szenario ist die Verwendung von CO2 als technisches Gas in Konsumprodukten – beispielsweise Erfrischungsgetränken. Das CO2 bleibt hierbei der Atmosphäre nur solange entzogen, bis das Produkt konsumiert wird. Mehr als diese Verzögerung der Emission ist nicht erreicht worden.
Im dritten Szenario wird CO2 mit Hilfe von Strom oder Wasserstoff chemisch wieder in eine Form umgewandelt, in der es als Energieträger dienen kann. Auf die komplexen, technischen Details dieser chemischen Reaktionen soll hier nicht eingegangen werden. Wichtig ist nur eines: Die Energiemenge, die benötigt wird, um aus CO2 wieder einen Energieträger – beispielsweise Methan oder Methanol – zu machen, ist größer als die, die bei der Verbrennung dieses Energieträgers zu CO2 wieder frei wird. Das ist ein Naturgesetz, an dem auch die raffinierteste Technik nichts ändern kann.
Wird der so erzeugte Energieträger später verbrannt, wird das CO2 wieder frei, ebenso wie ein Teil der Energie, die zu seiner Erzeugung eingesetzt wurde. Die Freisetzung von CO2 wird also auch hier bestenfalls verzögert. Insgesamt ist nutzbare Energie verloren gegangen, weil mehr davon in den Prozess hineingesteckt werden muss, als am Ende zurückgewonnen werden kann. Daher sollte bei CCU nicht davon gesprochen werden, dass CO2 als Rohstoff eingesetzt wird.
Fazit. CCU, die Abscheidung von CO2 und seine Nutzung als Rohstoff, ist ein leeres Versprechen, da diese Technik höchstens zu einer Verzögerung der Belastung der Atmosphäre führt. Im Gegensatz dazu hat CCS, also die Abscheidung von CO2 und dauerhafte Lagerung, in einem gewissen Ausmaß das Potenzial, Emissionen von Treibhausgasen zu vermindern. Dieses Potenzial sollte jedoch nicht überschätzt werden.