Schwerpunkt

Umbaukonflikte

Kfz-Industrie: Es brennt der Hut!

Um die Klimaziele zu erreichen, muss sich unser Mobilitätsverhalten drastisch ändern. Laut „Mobilitätsmasterplan“ des Klimaministeriums steht dem Verkehrssektor im Jahr 2040 nur mehr ein Drittel der derzeit verbrauchten Energie zur Verfügung und diese muss zur Gänze aus erneuerbaren (klimaneutralen) Quellen stammen. Elektroautos sind zwar viel energieeffizienter als Fahrzeuge mit Verbrennungsmotoren, trotzdem wird eine Antriebswende allein nicht reichen. Da auch andere Länder eine Mobilitätswende anstreben, ist die weitere Entwicklung klar: Es werden weniger Autos benötigt und diese auch seltener genützt. Sollte sich „Sharing statt Besitz“ durchsetzen, senkt das die Zahl der PKWs weiter. Deren Antrieb wird wohl batterieelektrisch erfolgen, was in der Produktion und Wartung weniger Aufwand bedeutet. Dafür wird der Anteil des Modal Split bei der Nutzung von öffentlichen Verkehrsmitteln und Rädern stark zunehmen. Auch im Güterverkehr muss der Trend Richtung Verlagerung zur Bahn und emissionsfreier LKW gehen.

Das wird einschneidende Folgen für die KFZ-Industrie haben. Allein in Österreich arbeiten laut WKÖ-Fachverband rund 75.000 Menschen in dieser Sparte. Die meisten Beschäftigten sind hoch qualifiziert, gewerkschaftlich gut organisiert und entsprechend gut bezahlt. Doch werden ihre Fähigkeiten und die Produkte, die sie erzeugen, in Zukunft überhaupt benötigt? Wo liegen die Entwicklungschancen, wo die Risken? 

Die österreichische Ausgangslage

In Österreich gibt es eine hohe Kompetenz bei Dieselmotoren und bei Allradantrieben. Dieses Wissen und die dahintersteckende Produktion haben allerdings ein Ablaufdatum. Unlängst hat die Europäische Kommission das Aus für den Verbrennungsmotor beschlossen. Ab 2035 dürfen keine neuen Diesel- oder Benzin-PKW mehr zugelassen werden. Die Folgen der Elektrifizierung des Antriebs zeigen sich im Opelwerk in Wien-Aspern. Dort ist die Belegschaft bereits vom ehemaligen Maximum von 1850 Beschäftigten auf ein Achtel geschrumpft. Demnächst soll nach den Motoren auch die Erzeugung von Getrieben eingestellt und das Werk geschlossen werden. Die weitgehend leere Produktionshalle gehört übrigens nicht dem Autokonzern, sondern der bundeseigenen BIG. Bisher hat der Staat aber keinerlei Initiative gezeigt, an diesem attraktiven Standort mit U-Bahnanschluss alternative Arbeitsplätze zu ermöglichen.

Generell hat die europäische KFZ-Industrie absehbare Entwicklungen ignoriert und versucht, möglichst lange am alten Geschäftsmodell festzuhalten. Das Motto hieß offenbar: Lieber heute maximale Profite mit SUV-Modellen einfahren, statt die Gewinne in zukunftsträchtige Technologien investieren. Daher liegen die Zentren der Batterieproduktion heute in Kalifornien und Ostasien. Bei Halbleitern sieht die Lage ähnlich aus, detto bei der Verfügbarkeit von unverzichtbaren Rohstoffen. Europa hinkt in all diesen Bereichen hinterher. Nun startet ein Aufholprozess, wobei die multinationalen Konzerne die Elektrotechnologien rund um die Konzernzentralen und Stammwerke konzentrieren. Für die österreichischen Zweigwerke dieser Großkonzerne sieht die Zukunft daher düster aus. Das mussten auch die Beschäftigten des MAN-LKW-Werkes in Steyr erfahren: Ihr Standort wurde an den Investor Siegfried Wolf verkauft. Dessen Aufgabe war es, MAN-LKWs möglichst billig so lange weiterzubauen, bis die Produktion ins noch billigere Polen verlagert werden konnte. Daher erzwang Wolf als erste Maßnahme einen Lohnverzicht der Belegschaft. Diesen September läuft in Steyr die MAN-Produktion aus und die Kündigungswelle an. 

Ein kleiner Lichtblick ist, dass im ehemaligen MAN-Werk im Auftrag des Start Ups „Volta“ nun Elektro-LKW gefertigt werden. Hier zeigt sich die Stärke der europäischen KFZ-Industrie: Man kann hohe Stückzahlen von sehr komplexen Fahrzeugen in toller Qualität erzeugen – und das zu konkurrenzfähigen Preisen. Woran es mangelt, ist der Wille zu tatsächlichen Innovationen. Warum wurde jahrzehntelang nicht in die Entwicklung leistungsfähiger Batterien investiert? Warum laufen immer noch Vespas und KTM-Motorräder mit Benzinmotoren vom Band? Dank der „Clean Vehicles“-Richtlinie müssen EU-weit nun tausende emissionsarme Linienbusse angeschafft werden. Die europäische Industrie ist offenbar unfähig, die benötigten Stückzahlen zu liefern. Also werden die meisten Busse „Made in China“ sein. Die Liste ließe sich beliebig fortsetzen.

Comeback der Konversion 

Die politische Debatte beschränkt sich derzeit vor allem darauf, wie sich die europäische KFZ- Industrie im Wettbewerb um die Vorherrschaft in der E-Mobilität behaupten kann. Aus strategischer Sicht könnte dies ein folgenschwerer Fehler sein. Zum einen deuten die aktuellen Entwicklungen darauf hin, dass der außereuropäische Vorsprung in der Entwicklung und Produktion von E-Autos nur noch schwer aufzuholen ist. Zum anderen wird dabei die Chance für ein radikales Umdenken unserer Mobilität verkannt. Anstatt dem unwahrscheinlichen Szenario einer erfolgreichen Aufholjagd hinterher zu träumen wäre es angebrachter, sich intensiv über alternative Produktionsmodelle Gedanken zu machen. Nicht ohne Grund erlebt die vergessen geglaubte Diskussion über Konversion in letzter Zeit wieder einen Aufschwung. Was ursprünglich die Umstellung der Produktion von Waffen auf zivile Güter bezeichnete, kann heute für die Dekarbonisierung der Industrie herangezogen werden. Die Idee vorhandene Kapazitäten und Knowhow zur Produktion von gesellschaftlich nachhaltigen Gütern zu verwenden, ist also nicht neu. Denkt man die Konsequenzen einer Mobilitätswende zu Ende, wird das Potenzial für eine Konversion der Autoindustrie zudem schnell erkennbar: Wenn das Schienennetz sowie der öffentliche Verkehr im notwendigen Ausmaß ausgebaut werden, macht der enorme Bedarf an Straßenbahnen, Bussen und Zügen einen Umbau der industriellen Produktion geradezu notwendig. 

Darüber hinaus steigt der Bedarf an sauberer Stromerzeugung und an Ladestationen. Außerdem ist die Bahnindustrie in Österreich mit rund 10.000 Beschäftigten stark vertreten. Die Nachfrage nach Schieneninfrastruktur (Weichen, Signaltechnik, Oberleitungen usw.) wird sich erhöhen. In der Zulieferung und dem Bau von Schienenfahrzeugen gibt es sicherlich ein hohes Potential und nicht zuletzt bieten österreichische Verkehrsunternehmen (ÖBB, Wiener Linien & Co) eine Vielzahl von technischen Berufen an. Das große Problem ist hierbei das sogenannte „Matching“: Wie können Arbeitnehmer:innen die neuen Fähigkeiten erwerben und ihr bisheriges Know-how bestmöglich nutzen? Wie passen die Wohnorte der Beschäftigten mit den neuen Arbeitsplätzen zusammen? Wie können Gehaltverluste und Abstiegsängste verhindert werden?

Industriepolitik ohne Plan

Der Produktionsumstieg auf rollendes Material wird selbstredend nicht ohne die aktive Steuerung aus der Politik gelingen. Die täte gut daran, sich lieber heute statt morgen mit dem sozialen und ökologischen Umbau der Autoindustrie zu beschäftigen. Schließlich steht angesichts der Entwicklungen in der Branche die Beschäftigungsperspektive für tausende Arbeitnehmer:innen auf dem Spiel. Die beiden Ökonomen Christian Berger und Michael Soder konstatieren in einem aktuellen „Standard“-Kommentar einen „Dornröschenschlaf“ Österreichs beim Umbau der Industrie, sowie ein eklatantes Politikversagen. Statt auf eine Strategie setze die Regierung darauf, „den Strukturwandel mit öffentlichem Geld zu erschlagen“. Die Industrie darf die Hand aufhalten, um möglichst viele Förderungen zu kassieren, ohne dass daran Bedingungen geknüpft werden. Bundesminister Kocher zahlt! Forderungen von AK und ÖGB, diese Zuschüsse an Beschäftigungsgarantien und Mitbestimmung – also Einbeziehung der Betriebsrät:innen – oder klare Dekarbonisierungspfade zu binden, wurden von Wirtschaftskammer und Industriellenvereinigung erfolgreich blockiert. Das ist sehr kurzsichtig, da dadurch viel „Schwarmintelligenz“ und informelles Wissen der Belegschaft ungenutzt bleibt. 

Es mangelt leider auch an attraktiven Umschulungsangeboten, die schon vor Verlust des Arbeitsplatzes ansetzen müssten. So sollte es möglich sein, dass Beschäftigte bei ihrer alten Firma in Teilzeit arbeiten und in der restlichen Zeit – bei vollem Gehalt – umgeschult werden. Zusätzlich sollten neue Arbeitsplätze gezielt in jenen Regionen geschaffen werden, wo die Menschen von Arbeitslosigkeit bedroht sind. Strauchelnde Firmen sollten von der öffentlichen Hand übernommen werden, um dann gesellschaftlich nützliche Produkte herzustellen. Regionale Transformationsräte, die alle Betroffenen repräsentieren, sollten dabei ein Mitspracherecht haben. Auch bei der öffentlichen Beschaffung sollte es möglich werden, regional erzeugte Fahrzeuge bevorzugen zu dürfen. Die vielen, über ganz Österreich verstreuten, Autohäuser und Werkstätten könnten zu „Mobility Hubs“ umgestaltet werden, wo elektrisch betriebene Leihfahrzeuge (zwei- bis vierrädrig) gewartet und vermietet werden. Denn speziell in ländlichen Gebieten bedarf es zur Überwindung der „letzten Meile“ attraktiver Alternativen zum eigenen Auto. 

Für zukunftsfähige Produktionsstandorte in den österreichischen Automobilclustern braucht es langfristig die Orientierung an ökologischen Geschäftsmodellen. Andernfalls droht die Deindustrialisierung gesamter Regionen. Die verheerenden Folgen lassen sich an Beispielen wie Detroit nur erahnen.