Betrieb
GKN in Florenz: Das Labor einer sozial-ökologischen Fabrik
„Wir wollen unsere Fabrik neu begrünen“, erzählt Dario Salvetti, Betriebsrat bei GKN, der den Betrieb gemeinsam mit hunderten Kolleg:innen seit Juli 2021 besetzt hält. Seine Vision: Wo früher Antriebswellen für schnelle Autos produziert wurden, sollen zukünftig Lastenräder und Photovoltaikanlagen, deren Produktion ohne Seltene Erden auskommt, hergestellt werden. Dafür wollen Salvetti und seine Mitstreiter:innen eine Kooperative gründen. Zwei Drittel des Firmeneigentums sollen zukünftig in den Händen der Arbeiter:innen liegen. Das restliche Drittel soll an neue Investor:innen überführt werden.
Doch wenn Salvetti von Investor:innen spricht, meint er nicht Großbanken, Hedgefonds oder ähnliche Finanzkonzerne, die mit dem Begriff oft assoziiert werden. „Wir wollen eine Bewegung solidarischer Investor:innen aus ganz Europa gründen. Mit deren Hilfe wollen wir eine Millionen Euro für die Neugründung unserer Fabrik sammeln.“ Diese Investor:innen, bestehend aus „Klimabewegung, Gewerkschafter:innen, anderen Arbeiter:innen und aus sozialen Initiativen der Zivilgesellschaft“, wie Salvetti weiter ausführt, sollen zukünftig bei GKN ein „sozial-ökologisches Korrektiv“ bilden. So soll gewährleistet werden, dass die neue Kooperative an ihren Idealen festhält und nicht in kapitalistische Verhaltensweisen abdriftet. „Wir brauchen ein Gegengewicht zu den unvermeidbaren kapitalistischen Tendenzen, die entstehen werden“, so Salvetti. „Wir sind eine Arbeiter:innenkooperative in einer kapitalistischen Gesellschaft. Da haben wir keine Illusionen.“
Wer investiert in eine gesellschaftlich nützliche und ökologische Produktion?
Allen Unwägbarkeiten zum Trotz erscheint die Gründung einer Kooperative den GKN-Arbeiter:innen als einzige Möglichkeit, ihren Kampf zu einem erfolgreichen Ende zu führen. „In den vergangenen Jahren mussten wir erleben, dass Regierung und Fabrikeigentümer alles unternommen haben, um uns fertig zu machen“, sagt Salvetti. „Seit Oktober 2022 haben wir keinerlei Löhne mehr erhalten. Immer mehr Leute geben den Kampf auf, einfach weil sie es sich nicht mehr leisten können. Trotz aller Massendemonstrationen mit zehntausenden Menschen, und der riesigen Unterstützung durch die Klimabewegung und andere soziale Bewegungen.“
Gemeinsam mit Wissenschaftler:innen hatten die GKN-Arbeiter:innen schon in der Frühphase der Besetzung einen Plan ausgearbeitet, ihre Fabrik umzurüsten auf die Produktion von Antriebswellen für Busse des öffentlichen Nahverkehrs. Doch dann mussten sie die Erfahrung machen, dass weder der italienische Staat, noch der sich zwischenzeitlich als rettender Investor gerierende Industrielle Francesco Borgomeo daran Interesse hatten. „Wir wollen, dass der Staat interveniert“, sagt Salvetti. „Aber nach Jahrzehnten des Neoliberalismus hat der Staat weder den Willen, noch die Strukturen, um eine Vergesellschaftung zu organisieren. Es fehlt an Know-how und an qualifizierten Leuten, die unsere Fabrik in eine gesellschaftlich nützliche Planung überführen könnten.“
Eine gesellschaftlich nützliche, und dabei gleichzeitig ökologische Produktion zu organisieren, ist jedoch das erklärte Ziel des Fabrikkollektivs, dem Salvetti als Betriebsrat angehört. Das Kollektiv entstand im Jahr 2019, um die Belegschaft politisch handlungsfähig zu machen. Zwar war und ist die große Mehrheit der GKN-Arbeiter:innen Mitglied bei der Industriegewerkschaft FIOM, die deren Arbeitskampf auch unterstützt. Aber es fehlte auf betrieblicher Ebene ein Forum für den unmittelbaren Austausch und die Aktivierung.Über das Kollektiv können sie in Nachbarschaften, Sportvereine, Kirchen und linke soziale Zentren hineinwirken. Seit seiner Gründung unterstützte das Fabrikkollektiv Bewegungen gegen die Abschiebung von Flüchtlingen, nahm an Großdemonstrationen der Fridays for Future Bewegung teil und greift sowohl in Italien, als auch international anderen streikenden Arbeiter:innen unter die Arme – so zum Beispiel den ebenfalls von der Schließung ihrer Fabrik betroffenen GKN-Arbeiter:innen in der ostdeutschen Stadt Zwickau. In einer Videobotschaft gab Salvetti seinen deutschen Kolleg:innen den Rat mit auf den Weg, den Kontakt zur Klimabewegung zu suchen.
Ein gemeinsamer Kampf für unsere Zukunft
Fabrikkollektive, wie jenes bei GKN, haben in Italien eine lange, aber verschüttete Tradition. Ihre Wurzeln liegen in den Fabrikkämpfen bei der norditalienischen Autoindustrie der 1960er Jahre. Damals organisierten sich die Arbeiter:innen, unter anderem beim FIAT-Konzern, um selbstbestimmt gegen Arbeitsdruck, schnelle Fließbandgeschwindigkeiten und gesundheitsschädliche Arbeitsbedingungen vorzugehen. Die Idee, dass Arbeiter:innen selbst über die Bedingungen ihrer Produktion entscheiden sollen, war von Beginn an Teil des Konzepts dieser Kollektive. Mit ihrem Motto „Insorgiamo“ – „Lasst uns aufstehen“, knüpfen die heutigen GKN-Arbeiter:innen wieder daran an. Auf die Zusammenarbeit mit der italienischen Klimabewegung angesprochen ist es Salvetti wichtig zu betonen, dass es für ihn hier nicht um zwei getrennte Kämpfe geht: „In Wirklichkeit gibt es nur den einen Kampf – den um unsere Zukunft. Und mit unserer sozial-ökologischen Fabrik wollen wir einen Beitrag dafür leisten.“
Der Weg dahin wird nicht leicht. In einem ersten Crowdfunder versuchten die GKN-Arbeiter:innen Anfang 2023 die gesellschaftliche Basis für ihr Projekt auszutesten. Innerhalb kürzester Zeit kamen 170.000 Euro zusammen – das selbst gesteckte Ziel lag bei 100.000 Euro. Im Herbst 2023 gehen Salvetti und Kolleg:innen auf Europatour. Sie wollen damit einerseits Menschen zum Zeichnen von Anteilen für ihre Kooperative bewegen. Außerdem wollen sie mit Gewerkschafter:innen und Klimabewegten ins Gespräch kommen, um den Gedanken einer alternativen, sozial-ökologischen Produktionsweise zu verbreiten.