Schwerpunkt

Neue Gentechnik

Mit der Gen-Schere für eine zukunftsfähige Landwirtschaft?

Langanhaltende Dürreperioden, extreme Hitze, direkt gefolgt von Starkregen und Überschwemmungen mit Wassermengen, die der Boden nicht mehr aufnehmen kann. Neue Schädlinge, Pilze und Krankheiten durch mildere Winter mit weniger Frosttagen. Die Landwirtschaft steht mit der Klimakrise vor gewaltigen Herausforderungen und die dramatischen Auswirkungen spüren die Bäuerinnen und Bauern direkt. Die Entwickler und Profiteure der Neuen Gentechnik verkaufen ihre „Technofixes“ gerne als die Alleskönner zur Bewältigung der Klimakrise. Dazu sollen CRISPR/Cas & Co. dabei helfen, dass weniger Pestizide eingesetzt werden. Denn Konsens ist: Pestizide und synthetischen Düngemittel müssen reduziert werden und die Landwirtschaft insgesamt muss ökologischer werden, da die Umweltschäden ein massives Ausmaß erreicht haben. Aber, lässt sich dieses Ziel mit Hilfe der Neuen Gentechnik erreichen?

Alte Versprechen in neuem Gewand

Das Versprechen der „alten“ Gentechnik den Welthunger zu lösen hat sich als leere Behauptung erwiesen. Die Annahme, dass wir gentechnisch verändertes Saatgut brauchen, um mehr Erträge zu erzielen und so den Welthunger beseitigen können, hält einer näheren Prüfung – z.B. durch den Weltagrarbericht (IAASTD) nicht stand. Im Kampf gegen den Hunger sind hochgezüchtete, empfindliche GVO-Pflanzen für die Industrie-Landwirtschaft nicht geeignet. Sie orientieren sich nicht an den regionalen Bedürfnissen und kleinbäuerlichen Strukturen ärmerer Länder. Die globale Landwirtschaft erzeugt bereits jetzt ausreichend Nahrungsmittel, um zumindest rechnerisch alle Menschen zu ernähren. Trotz steigender Produktion erreichen die Lebensmittel nicht die Teller der Ärmsten, das liegt an ungerechter Verteilung oder uneffektivem Einsatz z.B. als Futtermittel. Hunger ist oftmals das Ergebnis gesellschaftlicher und politischer Missstände und kann kaum bloß durch neue Technologien beseitigt werden.

Schon seit über 20 Jahren werben Biotech-Konzerne damit, dass ihre Produkte zu einem geringeren Einsatz von Pestiziden beitragen, auch bei der Neuen Gentechnik ist das nicht anders. Die mit CRISPR/Cas & Co. verbundenen Versprechen fokussieren – stärker als zuvor – auf die Klimakrise und sie nutzen den Green Deal der Europäischen Kommission mit seinem erklärten Pestizidreduktionsziel.

Ein Blick auf die Entwicklungspipeline der Unternehmen zeigt jedoch, dass ein maßgeblicher Teil der Entwicklung  auch bei der Neuen Gentechnik auf Eigenschaften wie Herbizidresistenzen hinausläuft. Das Versprechen „weniger Pestizide dank neuer Gentechnik“ lässt sich damit wohl kaum erreichen. Auch werden Probleme der alten Gentechnik, wie der Entwicklung von Resistenzen bei Beikräutern und der mittelfristig höhere Pestizideinsatz, nicht adressiert. Bei herbizidtoleranten GVO-Sojasorten stiegen die eingesetzten Herbizidmengen über die Jahre, bestätigt eine aktuelle Studie der Universität Koblenz-Landau, die im April in der US-Fachzeitschrift Science erschien. Der Einsatz der Neuen Gentechnik würde die EU-Ziele der Pestizidminderung um 50 Prozent bis 2030 konterkarieren.

Neue Gentechnik ist keine Lösung 

Die Biotechindustrie suggeriert, dass „klimafitte“ Sorten unmittelbar vor der Marktreife stünden. Sie behauptet, dass sich Pflanzen  entwickeln lassen, die besser mit Trockenheit zurechtkommen, die gesünder sind und widerstandsfähiger gegen Krankheiten und Schädlinge – und das alles viel schneller als mit konventionellen Züchtungsmethoden. Dabei verkennen die Hersteller einmal mehr die Komplexität von Pflanzen im Zusammenspiel mit ihrer Umwelt. Stressbedingungen (Hitze, Dürre, Schädlinge etc.) treten in Kombination auf und es gibt nicht das eine „Stressgen“ in einer Pflanze oder die eine genetische Eigenschaft „Salz-“ oder „Hitzeresistenz“, die in eine Pflanze eingebaut werden könnte. Pflanzen reagieren z. B vielfältig auf Wassermangel und wurzeln tiefer oder breiter oder feiner oder verändern Form oder Oberfläche ihrer Blätter.  Auch versteht man noch  nicht, welche Gene genau welche Funktion in einer Pflanze erfüllen. Daher werden Verfahren wie CRISPR/Cas bislang vorwiegend in der Grundlagenforschung eingesetzt, um  zunächst die Regulation von Genen zu untersuchen, die unter bestimmten Stressbedingungen an der Reaktion von Pflanzen beteiligt sind.  Forschungsvorhaben der Neuen Gentechnik basieren meist auf stark vereinfachten Modellen und standardisierten Laborbedingungen. Die Variabilität und zunehmende Unberechenbarkeit des Wetters lässt sich auf diese Weise nicht mit einbeziehen. Zum Verhalten der Pflanzen im landwirtschaftlichen System gibt es, auch weil erst wenige „fertige“ neue Gentech-Sorten im Anbau sind, keine (Langzeit-)Studien.  „Klimaangepasste“ Sorten sind also eine extrem komplexe Angelegenheit, das zeigt auch eine Analyse von Dr. Katharina Kawall von der Fachstelle Gentechnik und Umwelt (FGU): Derzeit gibt es noch keine genomeditierte Pflanze, die besonders gut mit  abiotischen Stressfaktoren (z. B. Trockenheit, Hitze, Frost) umgehen kann. In der Kategorie der von ihr untersuchten marktorientierten Anwendungen gibt es erst wenige Studien (insgesamt konnte sie in 231 nur fünf relevante Studien identifizieren).

Nach zahlreichen Großfusionen – Bayer kaufte Monsanto, ChemChina übernahm Syngenta, Dow und DuPont fusionierten – hat die Konzentration im globalen Saatgut- und Agrarchemiesektor weiter zugenommen. Und die Konzentration wird weitergehen, genauso wie die Patentierung der genetischen Vielfalt.  Patentiert sind auch die Verfahren der Neuen Gentechnik. Das bedeutet, dass jedes große oder kleine Unternehmen, das die Technologien nutzen will,  zuerst mit dem bzw. den Patentinhaber*innen verhandeln und Lizenzen zahlen muss.  Patentiert sind auch die Pflanzen, die mit Hilfe der Neuen Gentechnik entwickelt werden: Testbiotech, das Institut für unabhängige Folgenabschätzung in der Biotechnologie, veröffentlichte im Juni 2021 einen Bericht, der eine wachsende Anzahl von beantragten und erteilten europäischen Patenten auf Anwendungen der Neuen Gentechnik bei Pflanzen zeigt. Corteva, der neue Agrarkonzern, der aus der Fusion von Dow AgroSciences und DuPont/Pioneer entstanden ist, dominiert hierbei die Entwicklung. Corteva ist es zudem gelungen, zusammen mit dem Broad Institute (einem der Entdecker der „Gen-Schere“ CRISPR/Cas), 48 Grundlagenpatente verschiedener Institutionen in einem Patent-Pool zu vereinen. Zentrale Patente verschiedener Erfinder*innen werden so zusammengefasst und von einer (oder mehreren) Institution(en) verwaltet. Um CRISPR/Cas-9 in der Pflanzenzucht nutzen zu können, müssen Unternehmen praktisch zu allen im Pool versammelten Patenten Zugang haben. Corteva erhält damit eine enorme Marktmacht. Das große Versprechen, CRISPR/Cas sei eine „demokratische“ Methode, die auch mittelständische oder kleine Züchter nutzen können, löst sich damit in Luft auf. Kleinere Unternehmen werden wohl bereits in einem frühen Stadium der Technologieentwicklung weitgehend abgehängt werden oder sich in neue Abhängigkeiten begeben. Problematisch ist auch, dass viele Patentanträge bewusst darauf abzielen, die biologischen und technischen Unterschiede zwischen Gentechnik und konventioneller Züchtung zu verwischen, um so Schritt für Schritt die Reichweite von Patenten auf traditionelle Züchtungsverfahren auszuweiten.

Die Neue Gentechnik bedient eine weitere Intensivierung der Landwirtschaft mit dem Ziel von Leistungs- und Ertragssteigerung in Monokulturen. Die bestehenden negativen Auswirkungen der industriellen Landwirtschaft auf Klima und Umwelt müssen massiv reduziert werden und die landwirtschaftliche Praxis muss sich an die bereits spürbaren Effekte der Klimakrise anpassen. Es gilt das Problem an der Wurzel, am System, anzupacken.

Klimaresilienz durch Vielfalt

Expert*innen aus dem Umfeld des Weltagrarberichts fordern schon lange, dass die Pflanzenzüchtung gemeinwohlorientiert organisiert werden soll, um die Anpassungsfähigkeit der Landwirtschaft angesichts der Klimakrise zu stärken. Es gibt zahlreiche Beispiele für erfolgreiche Pflanzenzüchtung, die durch Selektion am Feld robuste, geschmackvolle Sorten für den konventionellen, gentechnikfreien und biologischen Anbau hervorbringt. Innovative Sortenentwicklung braucht keine Gentechnik. Dazu ist die Ökologisierung der gesamten Landwirtschaft wirksam zu fördern. Die Bio-Landwirtschaft hat einen geringeren Energiebedarf, führt zu erhöhter Artenvielfalt, speichert mehr Kohlenstoff und kommt so dem Klimaschutz zugute. Um gemäß dem EU-Green Deal-Ziel den Anteil der biologisch bewirtschafteten Flächen bis 2030 von 8,5 Prozent auf 25 Prozent zu steigern, muss die Regulierung der neuen gentechnischen Verfahren unbedingt beibehalten werden. Um der Klimakrise in der Landwirtschaft zu begegnen, dürfen wir generell nicht nur auf Züchtung setzen, sondern auf einen grundlegenden systemischen Umbau. Es braucht bessere Bodenpflege und Humusaufbau, um die Wasserhalteeigenschaften des Bodens zu verbessern, die Diversifizierung der Produktionssysteme, angepasste Anbausysteme, wirtschaftliche Risikostreuung, breite Fruchtfolgen, die Regionalisierung der Lebensmittelerzeugung und nicht zuletzt eine Reduktion der Massentierhaltung. Anstatt auf „klimasmarte“ Superpflanzen zu hoffen, braucht es mehr Geld und mehr Stellen für eine praxisnahe, partizipative Forschung und eine gentechnikfreie konventionelle und biologische Züchtung.