Politik
Klimafreundliche Arbeitswege in der Ostregion
Unter den rund 1,3 Mio. Mitgliedern der Arbeiterkammern in der Ostregion (Wien, NÖ, Bgld) haben nur 18 Prozent ihren Arbeitsplatz in der Wohngemeinde bzw. in ihrem Wiener Wohnbezirk. Aktuell pendeln etwa 180.000 Arbeitnehmer*innen aus dem Burgenland und aus Niederösterreich nach Wien ein und etwas mehr als 71.000 Wiener*innen ins Umland aus. Die Zahl der Einpendler*innen ist in den letzten fünf Jahren um 10 Prozent gestiegen, weitaus stärker mit 25 Prozent jedoch die Zahl der Auspendler*innen. Verkehrserhebungen der vergangenen Jahre zeigen, dass Einpendler*innen zu rd. 30 Prozent mit den Öffis und zu 70 Prozent mit dem Pkw nach Wien kommen. Bei den Auspendler*innen ist der Anteil mit 20:80 noch stärker auf den Pkw ausgerichtet. Aus Sicht der Klimapolitik ist der Verkehr das größte Sorgenkind, denn die Emissionen sind in Österreich in diesem Bereich seit 1990 um etwa 75 Prozent gestiegen. Gleichzeitig werden die Fragen nach einer Lösung im Verkehr immer drängender: Bis 2030 ist Österreich verpflichtet, 36 Prozent seiner Treibhausgas-Emissionen zu reduzieren. Mit den strengeren Klimazielen der EU, die 2020 beschlossen wurden, müssen die Emissionen noch weiter verringert werden. Bis 2040 beabsichtigt Österreich klimaneutral zu sein.
Das Angebot bestimmt die Nachfrage
Bereits 2003 hat die Stadt Wien im Masterplan Verkehr das Ziel festgelegt, dass 45 Prozent der Einpendler*innen mit dem öffentlichen Verkehr in die Stadt pendeln sollen. Erreicht wurde es bislang nicht. Verkehrserhebungen aus dem Jahr 2014 – das sind die aktuellsten, die derzeit verfügbar sind – zeigen aber auch, dass es große Unterschiede in der Verkehrsmittelwahl gibt, je nachdem über welchen Korridor die Pendler*innen nach Wien kommen. Die klimafreundlichsten Pendler*innen kommen aus Klosterneuburg. Hier pendeln 52 Prozent mit dem öffentlichen Verkehr nach Wien, demgegenüber sind es bei Pendler*innen aus Gänserndorf nur 32 Prozent. Es hat sich gezeigt, dass der Bau der Nordautobahn zu einer Verlagerung auf den Pkw, der Ausbau der Westbahnstrecke hingegen zum ÖV geführt hat. Diese Beobachtungen legen zwei Schlüsse nahe: Das Ziel mindestens 45 Prozent ÖV Anteil zu erreichen ist an manchen Korridoren schon heute Realität und zum anderen zeigt sich ganz klar, dass das Angebot die Nachfrage bestimmt. Mehr Bahn-Angebot bringt mehr Bahn-Pendler*innen, mehr Straßen sind ein Ansporn, mit dem Auto zu fahren.
Der Ausbau von Eisenbahnstrecken und die Bestellung von mehr Angebot sind allerdings sehr zeit- und kostenintensiv. Daher könnte man meinen, dass es doch einfacher und schneller umsetzbar sei, die bestehenden Verbrenner-Fahrzeuge auf E-Autos umzustellen und etwa durch Förderungen die Neuanschaffung zu beschleunigen. Warum das nicht funktionieren kann, soll im nächsten Abschnitt erläutert werden.
Die Bahn: nicht nur klimafreundlich, sondern auch …
In der Diskussion um den Klimawandel wird viel darüber geredet, wie viele Millionen Tonnen CO2 eingespart werden müssen. Kaum jemand hat jedoch einen Begriff, wie viel ein Kilo CO2 überhaupt ist, darum ein Beispiel zur Veranschaulichung: Ein ausgewachsener Baum kann pro Jahr etwa 15 Kilogramm CO2 aus der Atmosphäre absorbieren und in Form von Holz abspeichern. Diese Menge produziert eine Person bei einer Autofahrt von 70 Kilometern. Mit dem E-Auto sind es, je nachdem wie der notwendige Strom erzeugt wird, 200 bis 300 Kilometer, mit der Bahn jedoch unschlagbare 1.200 Kilometer. Anders gesagt: jede Person, die vom Auto auf die Bahn umsteigt, spart bei ihren Wegen 94 Prozent CO2 ein! Für Pendelhaushalte gibt es aber noch ein anderes Argument für den öffentlichen Verkehr. So zeigt die Konsumerhebung der Statistik Austria, dass Haushalte im ländlichen Raum im Durchschnitt 200 Euro mehr pro Monat für ihre Mobilität ausgeben müssen, als jene im städtischen Bereich, wo die Öffis besser ausgebaut sind. Weitere Nachteile des Autoverkehrs in der Stadt sind außerdem Stau- und Platzprobleme, welche auch mit E-Pkw nicht gelöst werden können.
… kostengünstig und platzsparend
Aus dieser Sicht zeichnet sich klar ab, dass die großen Pendler*innenströme in die Stadt ein starkes Bahn-Angebot brauchen, da dies klimaschonender, platzsparender und kostengünstiger ist. Damit mehr Menschen den öffentlichen Verkehr nutzen können ist es aber notwendig, das Angebot im ländlichen Raum zu verbessern. Was getan werden muss, zeigen zwei AK Studien näher auf.
Mehr Öffis braucht das Land
In Niederösterreich haben mehr als ein Drittel der Arbeitnehmer*innen keinen Zugang zum öffentlichen Verkehr bzw. nur Zugang zu öffentlichen Verkehrsmitteln mit der geringsten Angebotsqualität. Deshalb untersuchte die Studie „ÖV Klimafit: Handlungsfelder für einen klimafitten öffentlichen Verkehr in Niederösterreich“ die notwendigen Investitionskosten in Infrastrukturen und Verkehrsservices für eine flächendeckende Verbesserung des öffentlichen Verkehrsangebots, damit mehr Arbeitnehmer*innen ihren Arbeitsplatz ohne Auto gut erreichen können.
Mithilfe der sogenannten „ÖV-Güteklassen“ (siehe Kasten rechts) wird aufgezeigt, wo genau das Angebot fehlt und ein Ausbau der Verkehrsinfrastruktur notwendig ist. Dafür werden zwei Szenarien entwickelt. Im ersten sollen die Güteklassen um eine Stufe (Upgrade 1) und im zweiten um zwei Stufen (Upgrade 2) angehoben und damit die Qualität des Angebots verbessert werden. Für die Upgrades wurde konkret untersucht, wo es Kurs-Erhöhungen bei Bus und Bahn (mehr Verbindungen an einem Tag auf einer Strecke), einen Ausbau der Bahnstrecken und der Knotenpunkte braucht und auf welchen Strecken die Straßenbahn den Bus ersetzen könnte (z.B. in Baden oder in St. Pölten). Dort, wo es auch nach den Upgrades noch keinen Zugang zum ÖV gibt, sollen bedarfsorientierte Angebote die Lücke schließen.
Die Grafik auf Seite 29 zeigt, wie sich die Anteile in den ÖV-Güteklassen im Zuge der Upgrades verschieben. Bereits mit Upgrade 1 kann die Zahl der Arbeitnehmer*innen außerhalb einer Güteklasse von 90.000 auf 46.000 fast halbiert und in den vier besten Güteklassen um über 50 Prozent auf rund 260.000 erhöht werden. Ein Upgrade entspricht ungefähr einer Verdoppelung des aktuellen Angebots und erfordert dementsprechend hohe Investitionskosten. Alleine der Ausbau der Bahnstrecken und der Stationen für Upgrade 1 benötigt Investitionen in der Höhe von 14,4 Mrd. € und für den jährlichen Betrieb weitere 729,4 Mio. €. Die Kosten für die bedarfsorientierten Angebote werden auf knapp 100 Mio. € im Jahr geschätzt.
Für das Erreichen der Klimaziele sind diese Investitionen für ein flächendeckendes ÖV-Netz dringend notwendig, wenn man sich die hohe Anzahl an Arbeitnehmer*innen, die mit dem Auto pendeln, nochmal vor Augen führt.
Die Studie „Pendler*innenverflechtung in der Ostregion“ der drei Länder-Kammern konzentriert sich auf Maßnahmen für die Bahnachsen in den Einfahrtskorridoren von Niederösterreich und dem Burgenland nach Wien.
Sie leitet aus der bestehenden Auslastung des Bahn-Angebots Prognosen für das Jahr 2030 ab. In diese Prognosen fließen das Bevölkerungswachstum und das oben genannte Ziel von 45 Prozent Bahnanteil bei den Einpendler*innen ein. Neben den aktuell geplanten Ausbaumaßnahmen und den damit möglichen zusätzlichen Zügen wurde in den Prognosen der künftigen Auslastung auch ein optimierter Fahrzeugeinsatz mit mehr Platzkapazitäten hinterlegt. Das Ergebnis zeigt ganz klar, dass das mit heutigem Stand geplante Bahnangebot nicht ausreichen wird, um das Bevölkerungswachstum UND eine Erhöhung des Bahnanteils von 30 auf 45 Prozent zu bewältigen. Als Hauptziel formuliert die Studie unter anderem vier S-Bahnen und vier REX pro Stunde auf den stark nachgefragten Ästen wie etwa bei den Verbindungen Wien – Bruck a.d. Leitha, Floridsdorf – Gänserndorf, Wien – Wolkersdorf. Zusätzlich müssen die Kapazitäten auf der Wiener Stammstrecke zwischen Floridsdorf und Meidling von 20 auf 24 Züge pro Stunde ausgebaut werden. Neben der Ausweitung des Angebots braucht es aber auch einen Ausbau der Infrastruktur, der über den bestehenden Rahmenplan hinausgeht, wie etwa einen zweigleisigen Ausbau der Strecke Stockerau – Absdorf-Hippersdorf und einige weitere Kapazitätsausweitungen.
Wenn man bedenkt, wie lange es in der Regel von der Diskussion über Ausbaumaßnahmen bis hin zu konkreten Planungen und der Umsetzung dauert und welche enormen Kosten damit verbunden sind, ist klar, dass der Zeithorizont der Klimaziele mit 2030 und 2040 ein recht kurzer ist. Aus diesem Grund werden in der Publikation auch Möglichkeiten vorgestellt, wie die Nachfragespitzen abgeflacht werden können, um die bestehenden Infrastrukturen besser auszulasten. Denn die Engpässe treffen oft nur auf kleine Zeitfenster und wenige Züge in den Hauptverkehrszeiten am Morgen und am Abend zu. Das bedeutet unter anderem auch, dass Unternehmen gefordert sind, endlich betriebliches Mobilitätsmanagement umzusetzen und sich zu überlegen wie die Beschäftigten ihren Arbeitsort erreichen können.
Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass die derzeit vorliegenden unverbindlichen Konzepte, wie etwa das zehn Jahre alte Zielnetz 2025+, den konkreten und gesetzlich bindenden Klimazielen nicht gerecht werden. Ein positives Signal ist sicherlich der vom BMK im Juli veröffentlichte Mobilitätsmasterplan 2030. Allerdings ist dieser nur eine erste Absichtsbekundung, welche eine Fülle von Fragen aufwirft. Allen voran jene nach der Einbeziehung der Interessen der Arbeitnehmer*innen und Konsument*innen wenn etwa mehr Homeoffice oder Veränderungen im Pendelverhalten durchgesetzt und neue Mobilitätsservices etabliert werden sollen. Aus Sicht der Arbeiterkammern Burgenland, Niederösterreich und Wien ist es daher dringend notwendig für die nächsten Jahrzehnte konkrete und verbindliche verkehrspolitische Planungen und Maßnahmen auf Schiene zu bringen, damit die Klimaziele erreicht werden.