Betrieb

MAN-Steyr – ein Sittenbild

Schon der Einstieg von MAN in den Traditionsbetrieb des ehemals verstaatlichten Steyr-Puch-Konzerns (SDP) in Oberösterreich verlief holprig. 1990 verkaufte der Konzern die Lkw-Fertigung an MAN. Dies führte zu Kündigungslisten und der Befürchtung, dass wichtiges Know-How verloren gehen könnte. Ein einwöchiger Streik, an dem 1.500 Beschäftigte teilnahmen war die Folge. Die Ängste der Mitarbeiter*innen waren nicht unberechtigt, denn aus einem Technologieführer in Sachen Lkw-Antriebe wurde im Lauf der Jahre ein reines Fertigungs- und Lackierwerk. 1998 kaufte übrigens Magna – unter der Regie von Siegfried Wolf – die verbliebenen Reste von SDP weit unter dem tatsächlichen Wert.

IMG_1167.JPG

Gebrochene Verträge und Versprechen 

Das MAN-Werk in Steyr war über viele Jahre durchaus erfolgreich und machte im Jahr 2019 einen Gewinn von immerhin 20 Millionen Euro. Das Management schloss mit dem Betriebsrat eine Standortgarantie für Steyr bis zum Jahr 2030 ab. Üblicherweise wird dies mit Zugeständnissen seitens der Belegschaft erkauft. Doch nur ein Jahr später war alles anders: Das Werk in Steyr sollte geschlossen und die Produktion nach Polen verlagert werden. Die Empörung war groß. Investor Siegfried Wolf trat – praktischerweise mit engen Verbindungen zum MAN-Mutterkonzern VW – auf den Plan, um den Standort zu übernehmen. Allerdings zu seinen Bedingungen: Er wollte sowohl die Belegschaft, als auch deren Gehälter drastisch reduzieren. Bei den Arbeiter*innen geht es um eine Lohnkürzung von 15 Prozent netto, bei den Angestellten um minus 10 Prozent brutto.

Bei einer Urabstimmung – die Wolf für bindend erklärte – lehnten zwei Drittel der Belegschaft sein Angebot dankend ab. Hinzu kam die Befürchtung, dass die geschäftliche Verbindung von Wolf zu dem Oligarchen Oleg Deripaska Sanktionen nach sich ziehen würde bzw. zum Waschen von Schwarzgeld genützt werden könnte. Nun verschärfte MAN den Ton: Trotz voller Auftragsbücher wurden Leiharbeitskräfte „abgebaut“. Zudem versuchte man, einen Keil zwischen Angestellte und Arbeiter*innen zu treiben. Dann, nach längerer Funkstille, erfolgte am 10. Juni 2021 die große Überraschung: Siegfried Wolf hatte nun doch das Werk in Steyr gekauft. Von den ursprünglich 2.300 Mitarbeiter*innen sollen 1.250 und sämtliche Lehrlinge weiter beschäftigt werden. Für 620 Menschen gibt es eine Arbeitsstiftung. Da Wolf das Werk mit allen Rechten und Pflichten übernommen hat, pochen die Betriebsrät*innen weiterhin auf die Standortgarantie.

Das Wolf´sche Geschäftsmodell

Im Herbst wird damit begonnen, mit jedem 
Beschäftigten neue und schlechter bezahlte Einzelverträge auszuhandeln. Eine Einmalzahlung 
von 10.000 Euro brutto soll die Verluste teilweise kompensieren. Schlüsselarbeitskräfte suchen das Weite oder, wie es Thomas Kutsam, Vorsitzender des Angestelltenbetriebsrates ausdrückt: „Es haben sich schon jede Menge Leute verändert“. Denn die Stimmung sei schlecht. Alois Stöger, leitender Sekretär für Sozialpolitik in der Produktionsgewerkschaft, erinnert daran, dass das Werk in Steyr kürzlich den VW-weiten Qualitätspreis gewonnen hätte, aber Wolf „aus einem Werk mit Facharbeitern eines mit Hilfsarbeitern machen möchte. Er setzt voll auf Automatisierung“.

Bis zum Mai 2023 wird MAN also dank des Wolf’schen Konzepts und der Lohnkürzungen die Lkw billiger als bisher fertigen lassen. 

Dann soll das Werk in Krakau umgestellt sein und die Erzeugung übernehmen. Kutsam weist darauf hin, dass die Produktpalette – leichte und mittlere Lkw – derzeit nur im Steyrer Werk gebaut werden können: „Das wäre ein Super-Druckpunkt gewesen“, stellt er retrospektiv fest. Für die weitere Zukunft ist er vorsichtig optimistisch. In der Lackieranlage werden mindestens bis 2025 die Kunststoffteile aller MAN-Lkw behandelt. Vor Kurzem wurde bekannt, dass ab Ende 2022 unter dem Namen „Steyr Automotive“ vollelektrische Lkw für das norwegische Start-Up Volta Trucks produziert werden sollen. 

Die europäische Kfz-Industrie hat absehbare Entwicklungen – Stichwort Elektrifizierung und Automatisierung – weder übersehen noch verschlafen, sondern bewusst ignoriert. So stellte das MAN-Werk in Steyr im Auftrag des Konzerns im Jahr 2020 gerade einmal fünfzig (!) E-Lkw her. Langsam schwenken die deutschen Autohersteller um, konzentrieren aber die Herstellung elektromobiler Komponenten (E-Motoren, Steuerungselektronik, Batterien) rund um ihre Stammwerke. Den Zweigwerken – einerlei, ob in Steyr oder Polen – bleibt dann nur die Aufgabe, die „fossilen Auslaufmodelle“ möglichst billig zu produzieren. Der internen Konzernlogik folgend, hat MAN wenig Interesse, dass in die Steyrer Werkshallen ein erfolgreicher potenzieller Konkurrent einziehen würde.

Auf der anderen Seite verfügt Österreich über eine leistungsfähige Maschinenbau-, Elektro- und Bahnindustrie. Das Know-how für eine längst fällige Mobilitätswende wäre also vorhanden. In seiner Funktion als PROGE Sprecher war Alois Stöger bei den Übernahmegesprächen stark involviert. Er forderte damals, dass die Republik eine aktive Rolle spielen sollte: „Die Frage muss gestellt werden: Wollen wir in Österreich eine Fahrzeugproduktion? Oder überlassen wir alles dem freien Markt?“ Er verweist auf die Marktmacht, die der Staat allein durch die öffentliche Beschaffung hätte. Innen-, Verteidigungs- und Finanzministerium haben gemeinsam mehr als 8.000 Fahrzeuge des VW-Konzerns im Einsatz; allein das Bundesheer verfügt über rund 800 MAN-Lkw. So aber blieb die zuständige Wirtschaftsministerin völlig passiv und beschränkte sich darauf, Wolf als Retter des Werks in Steyr zu feiern.