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Neue Gentechnik

Neue Gentechnik – Eine Risikotechnologie?

Unter „Neuer Gentechnik“ werden verschiedene Technologien und Anwendungen zusammengefasst. Im Vordergrund der Diskussion stehen Techniken der Genomeditierung. Damit können gezielte Änderungen im Erbgut von Mikroorganismen, Pflanzen und Tieren durchgeführt werden. Die Möglichkeiten der Veränderung sind vielfältig und reichen von der Veränderung eines einzigen Basenpaares in der DNA (Punktmutation) bis zum gleichzeitigen Einbringen mehrerer neuer Gene in das Erbgut. Dementsprechend können auch die möglichen neuen Eigenschaften des veränderten Organismus stark variieren: Vom Blockieren eines einzelnen Enzyms, um längere Haltbarkeit von Gemüse zu erzielen, bis zur Veränderung ganzer Stoffwechselwege, um die Ölzusammensetzung bei Ölsaaten zu verändern, oder Pflanzen besser an Trockenheit anzupassen.

Welche möglichen Risiken bestehen?

Ein wichtiger Faktor bei der Beurteilung von möglichen Risiken neuer Technologien für die Gesundheit und die Umwelt ist die Erfahrung mit deren Anwendung. Methoden zur Genomeditierung werden jedoch erst seit wenigen Jahren verwendet, CRISPR/Cas, die am weitesten verbreitete Methode, erstmals 2012. Die Forschung konzentriert sich bislang auf die Untersuchung der Anwendbarkeit dieser Methoden in verschiedenen Organismen oder die Entwicklung neuer Produkte. Nur ein Bruchteil des Forschungsbudgets wird für Sicherheitsforschung oder Nachweismethoden aufgewendet. Derzeit werden laut Europäischer Kommission weltweit eine Handvoll von Produkten vermarktet. In erster Linie sind dies Mikroorganismen für die Produktion von Chemikalien. Dadurch gibt es kaum Erfahrungen in der Anwendung in der Landwirtschaft oder für die Lebensmittelproduktion und auch das Wissen über mögliche unbeabsichtigte Effekte ist sehr eingeschränkt.

Genomeditierung ermöglicht prinzipiell sehr gezielte Veränderungen im Erbgut. Unbeabsichtigte Veränderungen im Erbgut sind aber, wie bei der „herkömmlichen“ Gentechnik, auch bei diesen Methoden möglich. Hinweise darauf wurden in wissenschaftlichen Studien bereits gefunden. Wichtig dabei ist, dass auch kleine Veränderungen im Erbgut, wie Punktmutationen, negative Auswirkungen (z.B. Krankheiten, Produktion von unerwünschten Inhaltsstoffen) im gesamten Organismus verursachen können.

Mögliche Risiken für Gesundheit und Umwelt ergeben sich aber nicht nur durch die angewandte Technik selbst. Entscheidend ist auch die neue Eigenschaft, die durch die Veränderung hervorgerufen wird. So können neue Stoffwechselprodukte, wie z.B. Öle aber auch Allergene in einer Pflanze erzeugt werden, oder durch Trocken- oder Frosttoleranz einer Ackerpflanze ihr Anwendungsgebiet stark vergrößert bzw. ihre Überlebensfähigkeit erhöht werden. Damit kann in weiterer Folge auch ein höheres Risiko für die Gesundheit (Allergien) oder die Umwelt, durch das Vordringen von Ackerpflanzen in natürliche Lebensräume, einhergehen. 

Eine spezielle Anwendung sind sogenannte „Gene-Drives“. Das sind genetische Systeme, die die normale Vererbung umgehen und bestimmte Eigenschaften, sehr rasch in Populationen verbreiten. Diese Systeme können durch Neue Gentechnik in das Erbgut von Pflanzen und Tieren eingebracht werden. Vor allem die Ausrottung von Stechmücken, die Krankheiten übertragen, oder von eingeschleppten Tieren, wie Mäusen auf tropischen Inseln, stehen dabei im Mittelpunkt der Forschung. Dabei werden Gene verwendet, die die Fortpflanzung verhindern. Diese Anwendungen sind aber besonders kritisch zu betrachten, da sie weitreichende Folgen für die Umwelt haben können, z.B. kann das Entfernen einer gesamten Mücken-Population aus dem Ökosystem schwerwiegende Auswirkungen auf das Nahrungsangebot für Vögel und andere ökologische Funktionen haben. Auch die Gefahr einer unkontrollierten Verbreitung der so veränderten Organismen ist ein noch nicht vollständig gelöstes Problem. 

Was leistet die Risikoabschätzung?

Mit all diesen neuen Eigenschaften und Anwendungen gibt es bisher wenig bis gar keine Erfahrung, da derartige Veränderungen durch „herkömmliche“ Gentechnik nicht möglich waren. Dieser Mangel an Erfahrung kann nur durch eine umfassende, gesetzlich vorgeschriebene Risikoabschätzung ausgeglichen werden. 

Eine Risikoabschätzung, wie sie derzeit in der EU für jeden gentechnisch veränderten Organismus (GVO) vor der Vermarktung vorgeschrieben ist, beruht auf einer Vielzahl von Untersuchungen und Daten. Diese müssen vom Entwickler des GVO erhoben und bereitgestellt werden, d.h. die Gesetzgebung gibt dem Entwickler vor, auch sicherheitsrelevante Forschung zu betreiben und nicht nur in Produktentwicklung zu investieren. Dies führt dazu, dass fehlerhafte Produkte, z.B. solche die Allergien auslösen, frühzeitig erkannt, ausgeschieden und gar nicht vermarktet werden. Gleichzeitig werden so auch Daten erhoben, die die Einschätzung von möglichen Auswirkungen auf die Gesundheit oder die Umwelt ermöglichen. 

Eine wichtige Grundlage der Risikoabschätzung ist das sogenannte Fall-zu-Fall Prinzip. Das heißt, dass jedes Produkt gesondert geprüft wird. Dabei wird nicht nur die gentechnische Veränderung selbst, sondern auch die angewandte Technik und die Biologie und neuen Eigenschaften des jeweiligen Organismus untersucht. Weder die gesetzlichen Grundlagen auf EU-Ebene noch die wissenschaftlichen Vorgaben für die Risikoabschätzung selbst, sehen eine Gesamt-Risikoabschätzung für eine bestimmte Technik oder eine bestimmte Anwendung vor. Dies ist besonders wichtig, da z.B. die Anwendung der Genomeditierung viele verschiedene Eigenschaften, bei den unterschiedlichsten Organismen hervorrufen kann. So können mithilfe einer einzigen Technik (z.B. CRISPR/Cas) Pflanzen so verändert werden, dass sie immun gegen bestimmte Pilzkrankheiten sind, eine veränderte Blütenfarbe haben, oder dass sie bestimmte Nährstoffe in höherer Konzentration produzieren. Jede dieser Eigenschaften kann verschiedene Wirkungen auf die Gesundheit oder die Umwelt haben. Eine Aussage welche Risiken damit verbunden sind, kann nicht durch eine Bewertung der verwendeten Technik allein getroffen werden. 

Nur auf Basis der Daten einer umfassenden, auf dem Fall-zu-Fall Prinzip basierenden Risikoabschätzung, können die Behörden die Sicherheit beurteilen und über eine Zulassung entscheiden. Da die Neue Gentechnik aber rasante Fortschritte macht und sich sowohl die Techniken als auch die Anwendungsgebiete schnell ändern können, ist eine Anpassung der bestehenden Vorgaben zu diskutieren. Bei einer möglichen Änderung müssen der Schutz der Gesundheit und der Umwelt im Mittelpunkt stehen, gleichzeitig ist aufgrund der mangelnden Erfahrung mit der Neuen Gentechnik auch das Vorsorgeprinzip zu beachten.

Ist die Neue Gentechnik genauso sicher wie die konventionelle Pflanzenzucht?

Die Europäische Lebensmittelbehörde (EFSA) stellte in einem Gutachten fest, dass für einige Verfahren der Neuen Gentechnik keine neuen Gefahren im Vergleich zu konventionellen Züchtungsgefahren bestehen. Bei diesen, von der EFSA identifizierten Techniken handelt es sich in erster Linie um Verfahren, die sehr kleine Änderungen im Genom bewirken. Eine zentrale Aussage der EFSA in diesem Gutachten ist, dass es auch bei konventioneller Züchtung zu unerwünschten und ungeplanten Veränderungen kommen kann, und diese bei Genomeditierung im Vergleich dazu seltener auftreten. Dazu ist festzuhalten, dass bei konventioneller Züchtung zwar unerwünschte Effekte auftreten können, diese jedoch in der Regel in aufwendigen, über mehrere Generationen laufenden, Ausleseverfahren erkannt werden. Entsprechende Pflanzen oder Tiere, die diese unerwünschten Eigenschaften tragen, werden nicht weiter gezüchtet, nicht vermarktet und auch nicht in der Lebensmittelproduktion eingesetzt. Bei Organismen, die mithilfe der Neuen Gentechnik verändert wurden, verläuft der Selektionsprozess wesentlich rascher, da die Veränderung ja gezielt herbeigeführt wurde, und sich Erfolge rascher zeigen. Allerdings besteht die Gefahr, dass so mögliche negative oder unerwünschte Effekte nicht erkannt werden.

Dazu kommt, dass es derzeit kaum Daten zu möglichen Risiken oder unerwünschten Effekten von Produkten der Neuen Gentechnik aus der unabhängigen Sicherheitsforschung gibt. Eine fundierte, datenbasierte Aussage dazu ist daher eigentlich nicht möglich. Um das Risiko der verschiedenen Techniken, Anwendungen und der damit hergestellten Produkte seriös beurteilen zu können, ist es notwendig, entsprechende Daten zu erheben und mehr Gelder für die Sicherheitsforschung zur Verfügung zu stellen.

Derzeit sind alle Produkte der Neuen Gentechnik als GVO klassifiziert. Dies garantiert, dass diese einem Zulassungsverfahren und damit einer umfassenden Risikoabschätzung und der Kennzeichnung unterliegen. Im Moment wird auf EU-Ebene diskutiert, ob man bestimmte Anwendungen der Neuen Gentechnik vom Zulassungsverfahren ausnehmen soll. Dagegen spricht, dass die schlechte Datenlage es nicht zulässt, diese Anwendungen grundsätzlich und ohne Einzelfallprüfung als sicher zu klassifizieren. Zudem bedeuten solche Ausnahmen auch eine Abkehr vom Fall-zu-Fall Prinzip und eine Aufweichung des Vorsorgeprinzips. Nur wenn eine Risikoprüfung von Produkten der Neuen Gentechnik durch unabhängige Stellen durchgeführt wird und auch die Kennzeichnung gewährleistet ist, ist ein ausreichender Schutz für die Gesundheit von Konsument*innen und die Sicherheit für die Umwelt auch tatsächlich gegeben.