Schwerpunkt
Neue Gentechnik
Neue Gentechnik unter der Lupe
Der Gentechnikindustrie waren die strengen Regeln in der EU für ihre Produkte immer eher schon ein Dorn im Auge. Nun ist sie auf gutem Wege, diese Regeln für neue Anwendungen in der Gentechnik umschiffen zu können. Ein Ende April von der Europäischen Kommission vorgestellter Bericht zu den „genomischen Techniken“ birgt einiges an Sprengkraft: Die Kommission schlägt vor, die bisher strengen Regelungen bei der Gentechnik für bestimmte Methoden aufzuweichen. Aber, der Reihe nach.
Es gibt heute einige gentechnisch veränderte Pflanzen, die als Futtermittel oder industrielle Rohstoffe fast ausschließlich außerhalb der EU angebaut werden. Die gentechnische Veränderung macht Mais, Sojabohnen oder Baumwolle zum Beispiel gegen bestimmte Schädlinge widerstandsfähiger, indem artfremde Gene in die Pflanze eingeschleust werden. Seit Anfang der 2000er Jahre wird in der Gentechnik an neuen Methoden geforscht mit dem Ziel, das Erbgut in der Pflanze noch schneller und präziser zu verändern. Dies ist der Industrie und Wissenschaft auch gelungen. Die bisher neueste Anwendung dabei ist die Genschere CRISPR/Cas, welche punktuelle Veränderungen des Erbgutes an einer vorbestimmten Stelle ermöglicht. Die beiden Entdeckerinnen Emmanuelle Charpentier und Jennifer Doudna erhielten dafür im letzten Jahr den Nobelpreis für Chemie. An dieser Methode wird derzeit in der Wissenschaft und Industrie am intensivsten geforscht.
Die neuen Gentechniken werden unter Begriffen wie „Genome Editing“ oder „neue genomische Techniken“ zusammengefasst. Im Grunde sind es präzisere gentechnische Methoden, weshalb der Begriff „Neue Gentechnik“ bevorzugt werden sollte. Die Industrie hingegen wählt lieber den Begriff „neue Züchtungstechniken“, da sie jede Assoziation mit dem Wort Gentechnik vermeiden will. Der Europäische Gerichtshof hat in dieser Frage im Juli 2018 ein ganz klares Urteil gefällt. „Durch Mutagenese gewonnene Organismen sind genetisch veränderte Organismen (GVO) und unterliegen grundsätzlich den in der GVO-Richtlinie vorgesehenen Verpflichtungen.“ Begründet wurde dies damit, dass sich die mit dem Einsatz dieser neuen Mutagenese-Verfahren verbundenen Risiken als vergleichbar mit den bei der Erzeugung und Verbreitung von GVO im Wege der Transgenese auftretenden Risiken erweisen könnten. Das Vorsorgeprinzip, das helfen soll, Schäden an Gesundheit und Umwelt zu vermeiden, wurde dabei in den Mittelpunkt gerückt. Industrie und Wissenschaft waren von dieser Entscheidung nicht begeistert und lobbyierten erfolgreich. So beauftragen die EU-Mitgliedstaaten die Kommission mit einer Studie, um die Auswirkungen des EuGH-Urteils auf Wirtschaft zu beurteilen.
Hintergründe und Ergebnisse des EU-Berichts
Die EU Kommission befragte für diese Studie die Mitgliedstaaten und 107 ausgewählte Interessensgruppen die in Brüssel eine Vertretung haben. Dabei ist auffällig, dass zum Beispiel sowohl der Dachverband für die Landwirtschaft als auch die Mais-, Zucker-, Obst- und Weizenproduzent*innen befragt wurden. Zugleich findet sich aber nur eine Konsument*innenorganisation oder ein Dachverband für biologische Landwirtschaft unter den Befragten. Die Umweltorganisation GLOBAL 2000 hat gemeinsam mit ihrem Dachverband Friends of the Earth Europe daher einen kritischen Bericht zur Auswahl der eingebundenen Interessensgruppen in dieser EU-Studie herausgegeben. Ihre Analyse: zwei Drittel der Befragten sind industriefreundlich eingestellt. Dies ist insofern relevant, als die EU-Kommission ihre Schlussfolgerungen aus den eingereichten Antworten ableitet. Sie vertritt die Ansicht, dass die gültigen EU-Gentechnikregeln für Anwendungen der Neuen Gentechnik nicht mehr zeitgemäß („fit for purpose“) sind. Die Kommission schlägt vor, den derzeit notwendigen Risikocheck für Gesundheit und Umwelt, sowie die verpflichtende Kennzeichnung bei der Neuen Gentechnik anzupassen. Wie genau, das soll in den nächsten Monaten mit den Mitgliedstaaten und der allgemeinen Öffentlichkeit geklärt werden. Sie betont, dass die Gesundheit und Umwelt dabei nicht unter die Räder kommen sollen und die Wahlfreiheit der Konsument*innen nicht gefährdet werden darf. Aber wie sollen Konsument*innen frei wählen können, ob GVO-Lebensmittel auf ihrem Teller landen oder nicht, wenn Produkte der Neuen Gentechnik von der EU-Gentechnikgestzgebung ausgenommen werden soll? Denn die Kommission beruft sich im gleichen Atemzug auf die Ergebnisse der Europäischen Lebensmittelbehörde (EFSA). Diese kommt zu dem Schluss, dass Methoden der Neuen Gentechnik (zielgerichtete Mutagenese, Cisgenese) genauso sicher sind wie herkömmliche Züchtung. Die Begründung: Auch bei herkömmlicher Züchtung werden Mutationen durch chemische Stoffe oder Bestrahlungen am Erbgut verursacht. Daher braucht es keine Sicherheitsüberprüfungen und auch keine Kennzeichnung bei Anwendungen der Neuen Gentechnik. Alles gut?
Mitnichten. Bisher gibt es kaum Sicherheitsforschung zur Neuen Gentechnik. Der EU-Bericht führt aus, dass die Mitgliedstaaten gerade mal 1,6 Prozent ihrer Forschungsgelder für Gentechnik für Risikoforschung, Monitoring und Nachweismethoden bei der Neuen Gentechnik ausgeben. Also kaum Gelder für Forschung und trotzdem sollen diese Anwendungen sicher sein? Und auch genmanipulierte Pflanzen sind sicher? Klingt eher nach einem Paradoxon.
Was unterscheidet nun die neuen Methoden der Gentechnik von den alten?
Bei der klassischen (alten) Methode der Gentechnik werden mit Hilfe von gentechnischen Verfahren Gene bzw. Genkonstrukte von artfremden Organismen in das Erbgut einer Pflanze, eines Tieres oder eines Mikroorganismus eingeschleust. Bei der Neuen Gentechnik kann auch nur das vorhandene Erbgut im Organismus gezielt geändert werden. So können einzelne Gene abgeschaltet, ausgeschnitten, neu kombiniert oder auch neues Erbgut eingebracht werden. Die möglichen Anwendungen sind um einiges vielfältiger als die der herkömmlichen Gentechnik – dafür arbeiten sie aber auch zielgerichteter. Das heißt nicht, dass es keine negativen Effekte geben kann. Einige Wissenschafter*innen haben sogenannte „On-Target“ und „Off-Target-Effekte“ beschrieben. Das bedeutet, dass sich das Erbgut nicht nur am gewünschten Ziel, sondern auch an anderen Stellen ungewollt verändert. Diese nicht beabsichtigten Veränderungen können Auswirkungen haben wie z.B. den Verlust einer Genfunktion, die Änderung der Genexpression oder die Veränderung von Proteinfunktionen. Daher wäre eine Prüfung dieser neuen Pflanzen, Tiere und Mikroorganismen hinsichtlich ihrer Sicherheit für Gesundheit und Umwelt notwendig. Damit werden mögliche Risiken für Gesundheit und Umwelt umfassend bewertet.
Hoffnung auf klimaangepasste Pflanzen und nachhaltige Lebensmittel
Die Kommission erwartet sich von der Neuen Gentechnik klimaangepasste Pflanzen. Mit ihrer Hilfe sollten Pflanzen entwickelt werden, die zukünftig weniger Pestizide benötigen oder hitzeresistenter sind und daher auch nachhaltiger. Die Wissenschafterin Katharina Kawall untersuchte, wieviele klimaangepasste Pflanzen erforscht werden. Sie fand 5 von 231 Studien, die dies erforschen (siehe auch Artikel Reisenberger). In der EU wurde der erste Antrag auf Zulassung für eine CRISPR/Cas Maispflanze gestellt, die resistent gegen bestimmte Pestizide ist. In den USA und Kanada gibt es den CIBUS Raps, der resistent gegen bestimmte Pestizide ist. Nun gab es bereits bei der „alten“ Gentechnik die Erwartung mit Hilfe dieser Technik weniger Pestizide einzusetzen, die letztendlich nicht erfüllt wurde. Denn die Schädlinge entwickelten Resistenzen und am Ende des Tages wurden mehr Pestizide verwendet.
Was ist derzeit noch am Markt? In den USA und Kanada ist eine Sojapflanze am Acker, die einen höheren Anteil an Ölsäure enthält. In Japan wurde vor kurzem eine gentechnisch veränderte Tomate mit sechs Mal so viel Gamma-Aminobuttersäure (GABA) wie normale Tomaten auf den Markt gebracht. Im Körper soll GABA den Blutdruck senken und den Schlaf fördern. Diese Veränderungen ermöglichte die Genschere CRISPR/Cas – denn mit herkömmlicher Züchtung durch chemische Stoffe trat die induzierte Mutation nicht an der erwünschten Stelle auf.
Was wollen die Konsument*innen?
In der EU sind die Gesetze bei gentechnisch veränderten Lebensmitteln und Futtermitteln genau geregelt. Gentechnisch veränderte Organismen (GVO) müssen ein Zulassungssystem durchlaufen, vom „Feld bis zum Teller“ rückverfolgbar und klar als GVO gekennzeichnet sein. In Österreich gibt es zudem strenge Regeln für die gentechnikfreie Produktion in der konventionellen Landwirtschaft. Die biologische Landwirtschaft wirtschaftet per Gesetz gentechnikfrei.
In Österreich werden jährlich geschätzt rund 400.000 Tonnen GVO an Tiere verfüttert. Lebensmittel von Tieren, die mit GVO gefüttert wurden, sind nicht kennzeichnungspflichtig (zB Fleisch, Wurst, Milch, Eier, …). Um diese Kennzeichnungslücke zu schließen, gibt es mittlerweile in zehn europäischen Ländern ein Gütezeichen für gentechnikfreie Produktion, die auf GVO-Futtermittel verzichten. In Österreich sind diese mit dem Zeichen „ohne Gentechnik hergestellt“ ausgelobt. Seit einigen Jahren verzichtet die gesamte konventionelle Milch-, Eier- und Geflügelproduktion in Österreich auf Gentechnik-Futtermittel.
Die Konsument*innen lehnen GVO in Lebensmitteln mehrheitlich ab und wünschen sich sowohl bei der „alten“ als auch bei der „neuen“ Gentechnik eine klare Kennzeichnung. Dies zeigen die Reaktionen auf die Präsentation des EU-Berichts Ende Mai, sowie eine europaweite Umfrage der Grünen. Über 80 Prozent der europäischen Konsument*innen wollen, dass gentechnisch veränderte Nutzpflanzen und Lebensmittel, die aus damit gefütterten Tieren hergestellt werden, als GVO gekennzeichnet werden. Befragt zur Neuen Gentechnik, hatten 37 Prozent der Befragten von Genome Editing gehört und 68 Prozent von ihnen wollen, dass die Produkte, die mit diesen Techniken hergestellt werden, auch entsprechend als GVO gekennzeichnet werden. Nur drei Prozent der Befragten wollen, dass diese Produkte von den GVO-Sicherheitstests und der Kennzeichnung ausgenommen werden. Diese Zahl schließt auch Personen ein, die „nichts“ oder „ein wenig“ über Genome Editing wissen.
Die Coronakrise zeigt, dass immer mehr Österreicher*innen zu biologischen Lebensmitteln greifen. Der Anteil der Bioprodukte im Einkaufswagen liegt bereits bei 11,5 Prozent. Im ersten Halbjahr 2021 wurden durchschittlich 113 Euro pro Haushalt für Biolebensmittel im Supermarkt ausgegeben. Fast ein Viertel der österreichischen Bäuer*innen wirtschaftet biologisch. Auch europaweit soll der Anteil an biologischer Landwirtschaft ansteigen. So wird bis 2030 ein EU-weiter Anteil von 25 Prozent biologischer und damit gentechnikfreier Landwirtschaft angestrebt. Die Kommission möchte für die Zukunft auf mehr nachhaltige Lebensmittel setzen. Wäre es da nicht eine grobe Täuschung der Konsument*innen, wenn Lebensmittel, die mit Hilfe neuer Gentechnik hergestellt ohne Sicherheitscheck und GVO-Kennzeichnung in den Supermarktregalen angeboten werden? Was würde dies für die erfolgreiche Bio- und gentechnikfreie Produktion bedeuten? Vertreter*innen der Biobranche und der gentechnikfreien Produktion haben sich dazu ganz klar positioniert. Sie lehnen die Neue Gentechnik ab. Sie setzen sich für eine umfassende Risikoabschätzung, Rückverfolgbarkeit und klare Kennzeichnung bei Produkten der Neuen Gentechnik ein. Es soll zu keiner Abschwächung der strengen EU-Gentechnikregeln kommen. Diese Meinung vertritt auch die Arbeiterkammer in Österreich und in Brüssel.