Schwerpunkt

Grüner Deal

Die „Kohle“ für den Grünen Deal

Die EU-Kommission geht von zusätzlich jährlich etwa 260 Mrd. Euro aus, die zur Erreichung der Klimaziele notwendig sind. Etwa die Hälfte entfällt auf Investitionen im Gebäudesektor, gefolgt vom Dienstleistungs-, Energie- und Transportsektor. Das dürfte allerdings eher eine Untergrenze sein. So gehen die Ökonomen Jakob Kapeller, Rafael Wildauer und Stuart Leitch sogar von 855 Mrd. Euro jährlich aus. Diese Summe entspricht etwa 6 Prozent der für heuer prognostizierten EU-Wirtschaftsleistung – eine herausfordernde Größe angesichts der durchschnittlichen gesamtwirtschaftlichen Investitionsquote von 21,5 Prozent im letzten Vierteljahrhundert. Bereits im Jänner 2020 legte die EU-Kommission ihre groben Vorstellungen zur Finanzierung des Grünen Deals vor. Mit diesem Plan sollen in diesem Jahrzehnt zusätzlich 100 Mrd. Euro jährlich investiert werden.

Fragen, woher genau dieses Geld kommen und an wen es gehen soll, blieben ebenso unbeantwortet, wie die Frage, wie die weiteren 160 Mrd. Euro jährlich finanziert werden sollen. Mit dem zwischenzeitlich beschlossenen EU-Finanzrahmen bis 2027 wurde die Antwort nur ein wenig konkreter, dafür allerdings widersprüchlicher. Ein Viertel der Summe soll aus den Landwirtschafts- und Strukturfonds kommen, was einen Widerspruch zum Kriterium der „zusätzlichen“ Ausgaben darstellt. Tatsächlich neue Mittel gibt es vor allem aus dem europäischen „Recovery Plan“ zur Abfederung der Corona-Krise: Etwa 40 Prozent der bis zu 750 Mrd. Euro sind für „grüne“ Maßnahmen vorgesehen. Allerdings ist auch hier davon auszugehen, dass die Mitgliedstaaten diese Mittel nur zu einem kleineren Teil für zusätzliche ökologische Investitionen verwenden werden. Relativ eindeutig ist lediglich die Mittelbindung des Just Transition Fund, der jedoch mit durchschnittlich 2,5 Mrd. Euro pro Jahr nur einen Bruchteil des Ziels abdeckt.

Private Finanzierung soll es richten

Wie viel Geld auch immer die EU letztlich direkt für den Grünen Deal zur Verfügung stellen wird, es ist klar, dass der Großteil der zusätzlichen Investitionen vom privaten Sektor getragen werden soll. Gefragt sind etwa Immobilien- und Transportwirtschaft, Stromversorger, Industrie (vor allem Stahl- und Zementproduktion) und Landwirtschaft. 

Öffentliche Finanzierungsinstitutionen wie insbesondere die Europäische Investitionsbank sollen dabei helfen. Hinzu kommt die private Finanzindustrie, die das Thema unter dem Schlagwort „Green Finance“ auch politisch vorantreibt. Mit Erfolg, wie diesbezügliche Initiativen der EU-Kommission zeigen. Grundidee ist, einen neuen präferenzierten Kanal für Investor*innen zu schaffen. Nicht nur aus Gründen des Klimaschutzes, sondern auch zwecks Vermarktung neuer „grüner“ Finanzprodukte und Imagepflege aller Beteiligter: große Fonds können ihre ökologische Verantwortung unterstreichen, finanzierte Unternehmen ihre Umweltverantwortung betonen und die regulierenden Politiker*innen auf zusätzlich mobilisierte Milliarden für den Klimaschutz verweisen. Problematisch an Green Finance ist aber nicht ihre – etwa von Johannes Jäger im A&W-Blog konstatierte – „weitgehende Wirkungslosigkeit“, sondern wenn echtes „Green-Washing“ hinzukommt oder das Instrument mit öffentlichen Förderungen bzw. Steuererleichterungen für Investor*innen einhergeht.

Green Finance suggeriert, dass es derzeit einen Mangel an Eigen- und Fremdkapital für private Klimaschutzmaßnahmen gäbe. Das Problem ist aber weniger deren Verfügbarkeit, sondern dass sich die Investitionen unmittelbar rechnen müssen. Ohne mittelfristige Kosteneinsparungen, die die Investitionen finanzieren oder ohne kalkulierbare zahlungskräftige Nachfrage für klimaverträgliche Produkte, werden die notwendigen Investitionen nicht getätigt. Kapitalistische Verwertungslogik bestimmt somit die Reichweite privat finanzierter Transformation.

Ein Teil dieses Problems kann zwar durch öffentliche Regulierung – insbesondere durch eine Veränderung der relativen Preise gelöst werden. So können klimafreundliche Produkte durch Förderungen günstiger, klimaschädliche Produkte durch handelbare Emissionsobergrenzen oder CO2-Steuern teurer werden. Dabei wird jedoch ein zweites Problem tendenziell noch größer: die soziale Verträglichkeit. Auch geförderte Alternativen (etwa Wohnraum mit Niedrigstenergiestandard und Fernwärme) können noch zu teuer sein, sodass sich dann weniger zahlungskräftige Haushalte weder die eine noch die andere Variante leisten können. Private Lösungen befeuern damit die ungleiche materielle Verteilung, da vermögende private Investor*innen durch die Förderungen gleichzeitig profitieren.

Öffentliche Hand zentral

Erfolgreiche soziale Klimapolitik muss deshalb nicht nur auf richtige Regulierung plus sozialen Ausgleich setzen, sondern auf für alle verfügbare nachhaltige Alternativen. Das erfordert entsprechende öffentliche Investitionen inklusive Grundlagenforschung, eine höhere standardsetzende öffentliche Nachfrage und die Abfederung von Härtefällen im Übergang, also etwa für arbeitslos gewordene Menschen in zu schrumpfenden Sektoren oder Mehrbelastungen armutsgefährdeter Haushalte. Die Finanzierungspläne der Europäischen Kommission tragen dem kaum Rechnung. Vor allem die Mitgliedstaaten sind deshalb gefordert, die öffentliche Hand diesbezüglich zu stärken – und entsprechend zu finanzieren.

Denn insbesondere klimafreundliche öffentliche Infrastruktur kostet sehr viel Geld. Selbst die im EU-Vergleich bereits gut ausgebaute Schieneninfrastruktur im relativ kleinen Österreich benötigt jährlich alleine zweistellige Milliardenbeträge in diesem Jahrzehnt. Kostspielig ist auch die Umstellung auf E-Busse im öffentlichen Verkehr sowie auf E-Nutzfahrzeuge im öffentlichen Sektor. Richtig teuer wird der klimaneutrale Gebäudesektor. Der Staat ist hier nicht nur bei Schulen, Ämtern und Co. gefordert, sondern auch punkto leistbarem klimaneutralem gemeinnützigem Wohnbau. Relevanten Investitionsbedarf gibt es zudem bei der Stromversorgung, die zumindest in Österreich mehrheitlich im öffentlichen Besitz steht und wo das auch in der EU gängige Modell der Finanzierung über die Stromrechnung an ihre sozialen Grenzen stößt.

Die öffentliche Hand sollte aber nicht nur investieren, sondern auch über das eigene Auftragsvolumen sowie eine langfristig planbare Regulierung grüne Investitionen im Privatsektor auslösen, die dann von selbst Finanzierung finden werden. Wenn etwa die EU-Mitgliedstaaten ihre Aufträge über 2.000 Mrd. Euro jährlich an hohe ökologische Standards knüpfen, sollte das Volumen attraktiv genug sein, dass die privaten Anbieter diese auch dann einhalten, wenn dies Investitionen in die eigene Produktion erfordert. 

Wer soll das bezahlen?

Gerade in Zeiten extrem niedriger Zinsen und großer Liquiditätsreserven ist die Frage der Finanzierung nur selten eine der Verfügbarkeit von Krediten, sondern letztlichen eine der Kostenverteilung. Beispiel Bahnausbau: Soll dieser in Form höherer Ticketpreise von den unmittelbaren Nutzer*innen bezahlt werden – oder von den Steuerzahler*innen? Wenn von letzteren, von wem genau? Wie von den Ökonomen Jakob Kapeller und Rafael Wildauer vorgeschlagen, europaweit von jenen, die überschüssiges Vermögen besitzen? Oder von jenen, die weiterhin auf individuelle fossil befeuerte Fortbewegung setzen (müssen)? Aktuell sind diese Fragen jedoch ohnehin weniger dringlich, nachdem die Finanzierung via Schuldenaufnahme sinnvollerweise auf viele Jahre verteilt wird und die Zinskosten gleich null sind. Gleichzeitig schafft der Ausbau zusätzliche Aufträge für Firmen und zusätzliche Beschäftigung, die zusätzliche Staatseinnahmen ermöglichen, die die effektiven Gesamtkosten weiter reduzieren.

Größtes Hindernis für die Finanzierung einer von der öffentlichen Hand geleiteten sozial-ökologischen Transformation ist ihre Selbstfesselung durch die Budgetregeln der EU sowie ferner innerhalb der Mitgliedstaaten selbst. Maßgebend ist vor allem der sogenannte Stabilitäts- und Wachstumspakt, der mittelfristig ausgeglichene Staatshaushalte vorsieht. Ausnahmen sind zwar für schwere Krisen wie die aktuelle Corona-Pandemie vorgesehen, nicht aber für die Finanzierung von Investitionen, selbst wenn sie langfristig nutzbar und sinnvoll sind. Zwar hat die amtierende EU-Kommission das ansatzweise bereits erkannt und hat parallel zum Grünen Deal einen Review-Prozess der Budgetregeln eingeleitet, doch gehen die darin zaghaft angedeuteten Reformideen nicht weit genug.

Unterm Strich ist damit klar: Wenn sich die öffentliche Hand nicht selbst aus ihren budgetpolitischen Fesseln befreit, wird die ökologische Transformation auf offene private Investor*innenhände angewiesen sein. Diese wollen jedoch in der Regel früher oder später wieder mehr zurückbekommen, als sie eingesetzt haben – die soziale Komponente ginge damit zwangsläufig verloren. Es ist daher an der Zeit, dass die EU-Kommission flankierend zum Grünen Deal eine – wie etwa in der AK-Stellungnahme zur „Economic Governance Review“ aus dem Vorjahr geforderte – umfassende Reform ihrer Budgetregeln samt breiterer wirtschaftspolitischer Steuerung in Angriff nimmt, um ihr Ziel eines „gerechten Übergangs“ erreichen zu können.