Politik
„Ökosoziale Steuerreform“: Wer gewinnt und wer verliert?
Alle Verteilungsanalysen zur CO2-Bepreisung kommen zum gleichen Ergebnis: Ökosteuern treffen kleine und mittlere Einkommen stärker als Besserverdiener-Haushalte. Zwar haben höhere Einkommen einen größeren ökologischen Fußabdruck. Ihr Einkommen ist aber so hoch, dass die Belastung für kleine und mittlere Einkommen letztlich doch höher liegt.
Eine aktuelle Studie des Inequality Instituts der WU Wien kommt zum Ergebnis, dass der Kostenanstieg fürs Autofahren und Heizen bei einem Preis von 50 €/t CO2 im einkommensschwächsten Zehntel mit 1,3 Prozent des verfügbaren Einkommens etwa 4-mal so stark ausfällt wie im einkommensstärksten Zehntel mit 0,33 Prozent. Das gilt nicht nur für die Bepreisung von fossilen Heizstoffen, sondern auch für die Bepreisung von Benzin und Diesel. Zwar ist der Anteil der Autobesitzer*innen in den unteren Einkommensgruppen niedriger, die, die ein Auto haben, sind aber umso stärker belastet.
Eine vierköpfige Familie ist im Durchschnitt mit 300 bis 400 Euro jährlich betroffen. Es gibt aber auch Fälle, in denen die Kosten praktisch bei null liegen oder aber 1.000 Euro und mehr betragen. Die Effekte hängen stark an den jeweiligen Verhältnissen. Wer mit Öl und Gas heizt, ist deutlich stärker belastet als jemand, der an die Fernwärme angeschlossen ist – unabhängig vom Einkommen. Auch das Stadt-Land-Gefälle z. B. beim Zugang zum öffentlichen Verkehr spielt eine große Rolle.
Zu den direkten Kosten kommen die indirekten Kosten, weil die Unternehmen den CO2-Preis an die Konsument*innen abwälzen. Eine IHS-Studie schätzt, dass sich die direkten Kosten der privaten Haushalte dadurch noch mal um bis zu 30 Prozent erhöhen könnten.
Belastung durch CO2-Preis nach Dezilen
Haushaltsbelastung durch CO2-Preis von 50€/t CO2 zzgl. Ust. in Prozent des verfügbaren Haushaltseinkommens, Durchschnitt je Dezil:
Entscheidend ist die Rückverteilung
Wer durch die „Ökosoziale Steuerreform“ letztlich gewinnt oder verliert hängt von der Rückerstattung der Einnahmen ab. Die Berechnungen der WU Wien zeigen, dass kleine und mittlere Einkommen von einer Senkung des Einkommensteuertarifs oder der Krankenversicherungsbeiträge nur mäßig profitieren. Bei den einkommensschwächsten 10 Prozent der Haushalte verlieren 70-80 Prozent trotz Rückerstattung. Bis zur Mitte der Verteilung sind es immer noch rund 50 Prozent. Nicht-Erwerbstätige wie z.B. Arbeitslose profitieren überhaupt nicht. Die großen Gewinner sind die einkommensstärksten Haushalte, deren ökologischer Fußabdruck am größten ist.
Die große Frage ist: Kann eine Steuerreform „ökosozial“ sein, wenn sie von oben nach unten umverteilt? Die Antwort wird und muss letztlich die Bevölkerung geben. Die Erfahrungen aus anderen Ländern (Stichwort „Gelbwesten“) zeigen aber, dass die soziale Abfederung kleiner und mittlerer Einkommen für die politische Durchsetzbarkeit der Ökologisierung sehr entscheidend ist.
Das effektivste Instrument zur sozialen Abfederung der CO2-Bepreisung ist der Ökobonus. Der Ökobonus ist keine Erfindung der AK, sondern eine Konstante der klimapolitischen Debatte seit vielen Jahren. Die Idee ist, dass die Einnahmen der CO2-Bepreisung als Pauschalbetrag auf die Köpfe der Steuerpflichtigen verteilt werden. Um die Zusatzlasten der Familien und Alleinerziehenden abzudecken, sollten nicht nur Erwachsene profitieren, sondern den Eltern für Kinder ein Kinderzuschlag zustehen.
Die Rechnungen der WU zeigen, dass ein solcher Ökobonus mit Kinderzuschlag kleine und mittlere Einkommen überdurchschnittlich stark entlastet. Der Verliereranteil in den einkommensschwächsten 30 Prozent der Haushalte liegt bei gut 30 Prozent und steigt dann bis zum einkommensstärksten Zehntel der Haushalte auf rund 50 Prozent an. Dadurch, dass die Rückerstattung unabhängig von den Emissionen des Haushalts für alle Köpfe gleich ist, also Haushalte mit hohen Emissionen netto verlieren, bleibt der Lenkungsanreiz der Bepreisung erhalten.
Die Administration eines Ökobonus ist einfach und könnte über einen (negativsteuerfähigen) Absetzbetrag im Steuersystem erfolgen, den auch die Nicht-Erwerbstätigen wie z.B. Arbeitslose beantragen können. Als echte Steuergutschrift ausgestaltet würde der Ökobonus die Abgabenquote reduzieren und den Faktor Arbeit entlasten.
Die INEQ-Studie zeigt aber auch, dass 30 bis 40 Prozent der Klein- und Mittelverdiener*innen trotz Ökobonus verlieren würden. Für 200.000 bis 300.000 Haushalte mit kleinen und mittleren Einkommen wären bei einem CO2-Preis von 50 Euro trotz Ökobonus deutliche Verluste von 250 Euro oder mehr zu erwarten. Das zeigt, dass die sozialen Probleme der „Ökosozialen Steuerreform“ vor allem am Schnittpunkt von horizontalen und vertikalen Verteilungseffekten liegen, also dort, wo ein geringes Einkommen mit hohen Emissionen zusammenfällt.
Verschärfend kommt hinzu, dass sich die sozialen Probleme der CO2-Bepreisung über die Zeit nicht verringern, sondern vergrößern könnten. Vor allem deshalb, weil sich die kleinen und mittleren Einkommen die Investitionen in die nachhaltigen Technologien schlechter leisten können. Teilweise haben sie überhaupt keine Gestaltungsmöglichkeiten wie z.B. die Mieterinnen und Mieter.
Sozial am ausgewogensten: Ökobonus PLUS
Wenn die Bundesregierung besonders betroffene Gruppen wie energiearme Haushalte oder Pendler*innen mit kleinen und mittleren Einkommen nicht zu den Verlierer*innen der ökosozialen Steuerreform machen will, dann muss sie vom Prinzip der Aufkommensneutralität abrücken und zusätzliches Geld für die Abfederung der CO2-Bepreisung bereitstellen.
Deutschland hat vorgemacht, wie es NICHT geht. Dort wurden die Einnahmen der CO2-Bepreisung teilweise für eine Art Ökobonus verwendet, teilweise für Klimaschutzinvestitionen und teilweise für spezifische Entlastungsmaßnahmen für besonders betroffene Gruppen. Im Ergebnis war für keinen der genannten Bereiche genug Geld da, und die Reform ging zulasten der kleinen und mittleren Einkommen.
Die einzig (halbwegs) soziale Lösung für die „ökosoziale Steuerreform“ der Bundesregierung sieht die AK in einem Ökobonus PLUS, der einen Ökobonus mit Kinderzuschlag um zusätzliche Mittel für besonders betroffene Gruppen ergänzt. Während der Ökobonus den privaten Haushalten die vollen direkten und indirekten Kosten durch die CO2-Bepreisung rückerstattet, stocken die PLUS-Elemente die Unterstützung für besonders betroffene Gruppen zusätzlich auf.
Für energiearme Haushalte braucht es einen bundesweiten Heizkostenzuschuss, der über die bestehenden Landesförderungen verteilt werden könnte. Mit einem Energiehilfsfonds könnte zudem sichergestellt werden, dass die einkommensschwachen Haushalte beim Heizungstausch oder anderen Energieeffizienzthemen bessere finanzielle sowie technisch/administrative Unterstützung erhalten.
Für Pendler*innen braucht es eine Reform des Pendlerpauschales, das Pendler*innen mit kleinen und mittleren Einkommen effektiv entlastet und den Werbungskostenabzug einfacher, sozialer und ökologischer gestaltet. Das zentrale Element der Reform wäre die Umstellung des bestehenden Freibetrags in einen Pendlerabsetzbetrag, damit die Besserverdiener*innen nicht mehr gegenüber kleinen und mittleren Einkommen bevorzugt werden.
Klarer Auftrag für die Politik
Zusätzlich notwendig sind investive Begleitmaßnahmen, wo die Bundesregierung mit dem Bahnausbau oder dem 1-2-3-Ticket schon Akzente gesetzt hat, aber noch viel mehr zu tun ist. Die Arbeiterkammer hat im Rahmen der #initiativeinvestieren auch hier Vorschläge gemacht.
Es ist die Aufgabe von AK und Gewerkschaften die soziale Frage ins Zentrum der Klimapolitik und der „Ökosozialen Steuerreform“ im Besonderen zu rücken. Manche Akteure würden die Verteilungsprobleme der CO2-Bepreisung nämlich am liebsten unter den Teppich kehren. Natürlich die Neoliberalen, weil sie lieber Standort-, als Verteilungspolitik machen. Aber auch Teile der Klimabewegung, die es schon „destruktiv“ finden, wenn man die sozialen Fragen überhaupt nur anspricht. Damit „schießen sie sich selbst ins Knie“, denn sie erschweren eine demokratische Diskussion über den notwendigen sozialen Ausgleich der Ökologisierung.
Die Bundesregierung scheint die Signale gehört zu haben, zumindest Vizekanzler Kogler. In einem Interview mit der Kronen Zeitung meinte er, dass die unteren 2/3 der Haushalte nach einer „Ökosozialen Steuerreform“ besser dastehen müssen als vorher. Das ist eine klare Messlatte, an der das Ergebnis zu messen ist.
Entscheidend wird sein, dass nicht statische und dynamische Verteilungsprobleme gegeneinander ausgespielt werden. Es braucht eine volle Rückvergütung der direkten und indirekten Kosten der CO2-Bepreisung als Ökobonus. Daneben braucht es zusätzliche finanzielle Mittel – nicht nur für energiearme Haushalte und Pendler*innen im Sinne eines Ökobonus PLUS, sondern auch für die ökologischen Alternativen, die Investitionen und Förderungen. Der Versuch alles über den CO2-Preis zu finanzieren, wird auf Kosten der kleinen und mittleren Einkommen gehen.