Schwerpunkt

Grüner Deal

Der europäische Grüne Deal – ausreichend ambitioniert?

Im Übereinkommen von Paris einigte sich die Weltgemeinschaft im Jahr 2015 darauf, die von Menschen verursachte, globale Erwärmung auf deutlich unter 2°C, ja möglichst auf 1,5°C zu begrenzen. Obwohl sich die USA bald darauf aus dieser Zusage wieder zurückzogen, kam die neue klimapolitische Dynamik nicht mehr zum Erliegen. Das galt umso mehr, nachdem der Weltklimarat (International Panel on Climate Change bzw. IPCC) in einem 2018 veröffentlichten Bericht bestätigte, dass das 1,5-Grad-Ziel nur zu erreichen ist, wenn die Treibhausgasemissionen weltweit bereits bis 2030 radikal reduziert werden, auf dem Weg dorthin aber durchaus Synergien mit anderen Zielen nachhaltiger Entwicklung möglich sind. Während in Anlehnung an US-Präsident Roosevelts „New Deal“, dem Reformpaket zur Überwindung der Weltwirtschaftskrise in den 1930er Jahren, bereits im Kontext der großen Finanz- und Wirtschaftskrise ab 2007 Forderungen nach einem Green New Deal lauter wurden, unterbreiteten nunmehr ua. unterschiedliche Netzwerke und Politiker*­innen ihre Vorschläge. Viel Beachtung bekam eine Resolution der US-Abgeordneten Alexandria Ocasio-Cortez aus dem progressiven Lager der Demokraten, die sich für die Verabschiedung eines Green New Deal auf US-Bundesebene einsetzte. In Europa entwickelte ua. die paneuropäische Bewegung DiEM 25 (Democracy in Europe Movement 2025) um den ehemaligen griechischen Finanzminister Yanis Varoufakis Ideen für einen Green New Deal für Europa. 

Ein europäisches Jahrhundertprojekt

Die Europäische Kommission hatte sich ihrerseits schon vor der neuen Legislaturperiode unter dem Vorsitz von Ursula von der Leyen mit den strategischen Herausforderungen des Übergangs in eine klimaneutrale Wirtschaft bis 2050 auseinandergesetzt. In ihrer Mitteilung „Ein sauberer Planet für alle“ aus dem Jahr 2018 wurde anhand unterschiedlicher Szenarien untersucht, wie die Vision einer klimafreundlichen europäischen Wirtschafts- und Lebensweise zu erreichen ist. Mit dem Amtsantritt der neuen Kommission bekamen diese Überlegungen schließlich einen weiteren entscheidenden Impuls. Knapp zehn Jahre nach dem Beschluss der Europa-2020-Strategie, mit der die EU schon einmal auf ein intelligentes, integratives und nachhaltiges Wachstumsparadigma eingeschworen werden sollte, rückt die neue Strategie nunmehr Klimaschutz und die nachhaltige Nutzung von Ressourcen ins Zentrum der politischen Aufmerksamkeit. Diese neue strategische Orientierung half der designierten Kommissionspräsidentin vermutlich auch dabei, sich im Europäischen Parlament die notwendigen Mehrheiten zu sichern. Noch vor den Weihnachtsferien 2019 legte die Kommission ihre erste Mitteilung zum europäischen Grünen Deal vor, im Kern ein Fahrplan für die weitere Vorgehensweise. Die Verschärfung der EU-Klimaziele bis 2030 (als Verhandlungsspielraum wurde eine Erhöhung der Reduktionsvorgabe auf 50 bis 55 Prozent gegenüber 1990 im Vergleich mit den damals gültigen 40 Prozent definiert), die gerechte Gestaltung des Übergangs (Just Transition) und die internationale Vorreiterrolle wurden darin bereits als zentrale Elemente der Strategie festgelegt.

Als „neue Wachstumsstrategie“ soll der europäische Grüne Deal die EU „zu einer fairen und wohlhabenden Gesellschaft mit einer modernen, ressourceneffizienten und wettbewerbsfähigen Wirtschaft“ machen, in der 2050 (netto) keine Treibhausgasemissionen mehr freigesetzt werden und das Wirtschaftswachstum von der Ressourcennutzung entkoppelt ist. Auch Umweltverschmutzung und Artensterben möchte man einbremsen. Angesichts der Mühen mit dem Brexit und der Herausforderung eines weiter aufkeimenden Nationalismus in vielen Mitgliedstaaten ging es der neuen Kommissionspräsidentin um nicht weniger als einen „europäischen Mann-auf-dem-Mond-Moment“, ein Projekt zur Einigung Europas. Zum Auftakt wurden damit starke Bilder entworfen. Für die Umsetzung des Grünen Deals bedarf es dennoch der zähen Aushandlungsprozesse der europäischen Politik. Die Vielzahl an Maßnahmen, die von der Kommission bereits in ihrer ersten Mitteilung vorgeschlagen wurden (siehe Kasten rechts), müssen schlussendlich auch in Gesetzesvorschlägen konkretisiert werden. Abgesehen von zentralen Versprechen wie der Einrichtung eines „Fonds für einen gerechten Übergang“ und der Verabschiedung eines europäischen Klimagesetzes (siehe 
Schwerpunkt-Artikel "EU-Klimaziele") liegt davon erst wenig auf dem Tisch. Fortschritte bei der Mobilisierung von Investitionsmitteln wurden nicht zuletzt vor dem Hintergrund der sozialen und wirtschaftlichen Herausforderungen, die die Corona-Pandemie mit sich gebracht hat, erzielt (siehe Schwerpunkt-Artikel "Die "Kohle" für den Grünen Deal").

Ohne Gerechtigkeit kein Übergang

In einer umfassenden Stellungnahme unterzog die Arbeiterkammer im Frühjahr 2020 die Vorhaben des Grünen Deals einer ersten interessenpolitischen Bewertung und würdigte dabei auch deren Potenziale. Schon zuvor wurde in diversen Positionen hervorgehoben, dass sich zwischen beschäftigungs-, verteilungs- und klimapolitischen Zielsetzungen durch geeignete Strategien jedenfalls Synergien heben lassen. Auch der Wiederaufbau der europäischen Wirtschaft nach der Corona-Pandemie muss sich daran orientieren. So kann im Sinne der vorgeschlagenen Strategie für eine Renovierungswelle eine Förderoffensive für thermische Sanierungen und die Umstellung auf klimafreundliche Heizsysteme dazu beitragen, die Konjunktur zu beleben, Emissionen zu senken – und bei einer adäquaten Ausgestaltung auch Energiearmut zu vermeiden. Ebenso muss die Dekarbonisierung des Verkehrs zur gerechteren Verteilung von Mobilitätschancen beitragen und die Arbeitsbedingungen im Mobilitätssektor verbessern. Und die Förderung und Verbreitung neuer Technologien – alternative Kraftstoffe, Energiespeicherung, CO2-freie Stahlerzeugung – muss neben der Wettbewerbsfähigkeit der Industrie auch die Interessen der Beschäftigten im Blick haben. Dafür wird es differenzierte Strategien brauchen, die nicht nur auf einzelnen politischen Instrumenten aufbauen können. Auch die wirtschaftlichen Beziehungen mit den EU-Handelspartnern sind betroffen: Um beispielsweise die Verlagerung emissionsintensiver Tätigkeiten in Drittstaaten (Carbon Leakage) zu verhindern, ist bereits ein CO2-Grenzausgleichssystem in Diskussion.

Im Kern bleibt der notwendige Übergang in eine klimaneutrale und ressourcenschonende Wirtschaft aber eine soziale Herausforderung. Die aktuelle Gesundheitskrise hat einmal mehr gezeigt, welche Potenziale in einem gut ausgebauten Sozialstaat, einem starken öffentlichen Dienstleistungssektor und der umfassenden Einbindung der Sozialpartner stecken, um große Umbrüche ohne massive soziale und politische Verwerfungen zu bewältigen. Auch das strategische Projekt der EU, Europa bis 2050 zum ersten klimaneutralen Kontinent umzubauen, wird durch den tiefgreifenden Wandel der europäischen Wirtschaft große soziale Herausforderungen mit sich bringen. Wird der Wandel nicht gerecht im Sinne der Arbeitnehmer*innen und Konsument*innen gestaltet, kann er nicht gelingen. Betroffene der Veränderungen werden nicht nur Arbeiter*innen im Kohlebergbau und in der emissionsintensiven Industrie sein. Fraglich ist daher nicht nur, ob der für den Zeitraum 2021–-2027 mit 17,5 Mrd. Euro dotierte Just Transition Fonds ausreichen wird, um in den vom Strukturwandel besonders betroffenen Regionen und Sektoren Maßnahmen zur Sicherung guter und zukunftsfähiger Beschäftigung zu entwickeln. Offen ist auch, wie Beschäftigte in verbundenen Bereichen, aber auch die europäischen Bürger*innen insgesamt auf dem Weg in eine weitgehend kohlenstofffreie Wirtschaft unterstützt werden können. Dafür ist ein gut abgestimmtes Zusammenspiel von industrie-, regional-, arbeitsmarkt-, sozial- und bildungspolitischen Maßnahmen notwendig. Die Grundfesten bleiben aber eine funktionierende öffentliche Daseinsvorsorge in zentralen Bereichen wie Verkehr, Bildung und Gesundheit sowie gut finanzierte soziale Sicherungssysteme. Das erfordert auch, dass Steuern nicht nur als Instrument zur Lenkung der Transformation (Stichwort CO2-Steuer), sondern als zentrales Element einer gerechten Verteilung ihrer Kosten gesehen werden – ua. durch eine adäquate Besteuerung von Konzernen, Vermögenden und Digitalisierungsgewinnern.

Skepsis angesichts der Herausforderungen

Darüber hinaus besteht aber vielfach Skepsis, ob die unterschiedlichen Positionen, die aktuell unter dem Schlagwort Green New Deal verhandelt werden, der Reichweite der globalen sozialen und ökologischen Herausforderungen überhaupt gerecht werden können. So problematisiert die Umweltökonomin und Geographin Tone Smith in einem jüngst in der sozialwissenschaftlichen Zeitschrift PROKLA veröffentlichten Beitrag, dass auch die progressiven Ansätze an dem Willen festhalten, mit grüneren Wachstumspfaden die ökologische Krise zu bewältigen. Das ist nicht überraschend, bezieht sich der Begriff doch auf das Programm der US-Regierung zur Bekämpfung der Großen Depression in den 1930er Jahren. Inspiriert von den volkswirtschaftlichen Lehren von John Maynard Keynes sollte die nachfrageseitige Stimulierung der US-Wirtschaft Arbeitsplätze schaffen und durch Einkommen und Konsum den materiellen Wohlstand steigern. Um eine massive Wirtschaftskrise zu überwinden, waren diese Maßnahmen überaus zielführend. Offen ist aber, ob sie die ökologischen Krisen unserer Zeit tatsächlich entschärfen können. Damit steht die Frage im Raum, ob an einer grundlegenden Reorganisation der Wirtschaft – im Sinne von Postwachstum – längerfristig ein Weg vorbeiführen kann. Der Hoffnung, in einer wachsenden grünen Wirtschaft neue „grüne“ Arbeitsplätze zu schaffen und durch die politische Gestaltung des Wandels diesen auch möglichst gerecht zu bewältigen, setzt die kritische Forschung und Zivilgesellschaft Überlegungen zur Bedürfnisbefriedigung abseits einer wachstumsorientierten Ökonomie und der Allgegenwart von Lohnarbeit („Post-Work“) gegenüber.

Auch die globalen Beziehungen zwischen Nord und Süd werden dabei in den Blick genommen. So konstatiert die Politikwissenschaftlerin Simone Claar in der gleichen Ausgabe der PROKLA, dass die Auswirkungen, die eine klimaneutrale Wirtschaft in Europa beispielsweise in afrikanischen Staaten mit sich bringen, im Europäischen Grünen Deal viel zu wenig berücksichtigt werden. Das reicht vom Abbau von Kobalt in der Demokratischen Republik Kongo für die Batterieherstellung bis zur Schaffung neuer Umweltnormen für den Import von Lebensmitteln. Nur wenn diese Aspekte in die Betrachtungen für die anstehende große Transformation einfließen, wäre diese letztendlich gerecht und innerhalb der ökologischen Grenzen zu gestalten.