Wissenschaft: Lkw auf Autobahnen: Geschwindigkeitsüberschreitungen, ein Kavaliersdelikt?

Geschwindigkeit ist ein wichtiger Faktor im Verkehr. Je höher sie ist, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit schwerer Unfälle, aber auch die CO2-Emissionen und die Lärmbelastung nehmen zu. Nicht umsonst gilt auf Autobahnen für Lkw von mehr als 3,5 Tonnen tagsüber eine Höchstgeschwindigkeit von Tempo 80 und ab 7,5 Tonnen nachts eine von Tempo 60. Außerdem müssen die Fahrzeuge mit Geschwindigkeitsbegrenzern ausgerüstet sein. 

Jährlich werden auf Österreichs Autobahnen vier Milliarden Kilometer von Lkw zurückgelegt. Zwei Drittel davon stammen von ausländischen Unternehmen, die Österreich im Transit durchqueren oder „steuerschonend“ nicht in Österreich zugelassen sind. Die Arbeiterkammer hat das Kuratorium für Verkehrssicherheit (KFV) beauftragt, mit freundlicher Unterstützung der für den Autobahnbetrieb zuständigen ASFINAG, an fünf Messstellen im Autobahnnetz die gefahrenen Geschwindigkeiten manuell mit Radarmessgeräten zu erheben. Zusätzlich wurde in Österreich die Geschwindigkeit aller Lkw-ähnlichen Fahrzeuge über 3,5 Tonnen mittels Überkopfdetektoren der ASFINAG erstmals in den Nachtstunden erfasst.

Lkw-Höchstgeschwindigkeiten: Überschreitungen sind die Regel

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Das Ergebnis spricht Bände: Im Durchschnitt überschreiten 93 % aller Lkw tagsüber Tempo 80. Sogar 85 % aller Lkw fahren bis zu 89 km/h. Durch das abweichende Gewichtslimit in den Nachtstunden und anderer Fahrzeugkategorien über 3,5 Tonnen, wie Kleintransporter oder Wohnmobile, können nächtliche Überschreitungen bei Lkw nicht so eindeutig festgestellt werden. Tendenziell ist aber davon auszugehen, dass nachts schneller gefahren wird als tagsüber. 

Trotzdem ist bis heute gesetzlich nicht festgelegt, ab welcher Geschwindigkeit die Behörde eine Geschwindigkeitsüberschreitung ahnden muss. In den behördlichen Dienstanweisungen haben sich neben technisch bedingten Toleranzen der Messgeräte auch „Toleranzen“ ohne Rechtsgrundlage eingeschlichen. Entsprechend „kulant“ fällt das Strafen aus: Erst ab 95 km/h wird geahndet!

„Gleiten statt Rasen“ gilt in Sachen Klima nicht nur für den Pkw, sondern auch für den Lkw. Für die Studie hat die Forschungsgesellschaft für Verbrennungskraftmaschinen und Thermodynamik (FVT) der TU Graz erstmals Emissionsberechnungen entwickelt, die zeigen, wie groß diese zusätzlichen Emissionen auf den Autobahnen sind. Würden sich alle Lkw tagsüber strikt an Tempo 80 und nachts an Tempo 60 halten, könnten rund 200.000 Tonnen CO2 eingespart werden. Das entspricht in etwa dem Jahresausstoß einer Kleinstadt wie Schwechat oder von rund 10.000 Pkw in Österreich mit einer Jahresfahrleistung von jeweils 12.500 Kilometern.

Überhöhte Lkw-Geschwindigkeit bedeutet erhöhte Lärmbelastung

Überhöhte Geschwindigkeiten sind auch für Lärm verantwortlich, der die Lebensqualität der Bürger:innen beeinträchtigt. Aus sozialer Sicht ist er besonders problematisch, weil eine Wohnumgebung, die Ruhe und Erholung ermöglicht, nicht für alle leistbar ist. Knapp 200.000 Menschen sind laut österreichischer Lärmkartierung entlang von Autobahnen rund um die Uhr gesundheitlich von Lärm betroffen. In der Nacht steigt die Zahl der Betroffenen sogar auf rund 260.000. 

Die AK-Studie zeigt auf: Beim Lärm ergäbe sich bei strikter Einhaltung von Tempo 80 eine Minderung von 0,7 dB(A). Diese Minderung des „Lärmpegels“ um 0,7 dB(A) entspricht lärmakustisch einer Reduktion des Fahrzeugaufkommens um 15 %. Bei strikter Einhaltung von Tempo 60 in der Nacht würde die Reduktion sogar 2,5 dB(A) betragen. Dies entspräche einer Reduktion des Fahrzeugaufkommens um 44 %.

Frächterlobby in die Pflicht nehmen

Geschwindigkeitsüberschreitungen sind auch eine Folge prekärer Arbeitsbedingungen. Zeitdruck durch die Frächter, niedrige Löhne und Bezahlung nach gefahrenen Kilometern treiben die Berufslenker:innen in die Gesetzesübertretung. Einen wirtschaftlichen Vorteil haben die Berufslenker:innen davon aber nicht. Würde die Frächterlobby die Geschwindigkeitsvorschriften ernst nehmen, hätte sie den Geschwindigkeitsbegrenzer im Lkw freiwillig auf 80 km/h eingestellt. Rechtlich hingegen werden die Berufslenker:innen bei Geschwindigkeitsüberschreitungen bestraft. Hier muss die soziale Schieflage in der Straßenverkehrsordnung beseitigt werden.

AK-Forderungen

Fairer und klimafitter Schwerverkehr auf Autobahnen

Aufgrund der beiden Studien (siehe Downloadhinweis unten) fordert die AK einen fairen und klimafitten Schwerverkehr auf Autobahnen. Deshalb: 

  • Gesetze zugunsten von Berufslenker:innen ändern: Bei Kraftfahrzeugen über 3,5 Tonnen Gesamtgewicht muss das Unternehmen und nicht der/die Berufslenker:in die Strafe für Geschwindigkeitsvergehen bezahlen. Dazu müssen das Kraftfahrgesetz (KFG) und die Kraftfahrgesetz-Durchführungsverordnung (KDV) geändert werden.
  • Toleranzen bei Geschwindigkeitsüberschreitungen von Lkw abschaffen, eine technische Messtoleranz von 3 km/h ist genug. 
  • Lkw-Kontrollen mit Biss: Vollzugsbehörden brauchen Ressourcen, klare Dienstvorschriften und geeignete Geräte. 
  • EU muss Geschwindigkeitsbegrenzer auf 80 km/h festlegen: 21 von 27 Mitgliedsstaaten haben eine Höchstgeschwindigkeit von  80 km/h vorgeschrieben. Eine Neuregelung der 2002 beschlossenen Richtlinie ist überfällig.

Studien Download: 

Lkw-Geschwindigkeiten auf Autobahnen