Interview: Zeitenwende für den Kapitalismus?

Ihr neues Buch wirkt kämpferischer. Warum?  

Im Jahr 2017 haben wir den Begriff der „imperialen Lebensweise“ entwickelt, um Produktions- und Konsummuster zu benennen, die auf einer ungleichen Aneignung von Natur und Arbeitskraft innerhalb unserer Gesellschaften und im globalen Maßstab beruhen. Die imperiale Lebensweise prägt den Alltag sowohl in den Gesellschaften des globalen Nordens als auch in den Mittel- und Oberklassen des globalen Südens und ist keine Frage individueller Konsumentscheidungen, sondern eine tief verankerte Struktur, die historisch gewachsen ist. Jetzt nehmen wir eine Zeitdiagnose vor, was im (Arbeits-)Alltag der Menschen ganz praktisch gelebt wird. Tatsächlich sind wir skeptischer als vor sieben Jahren, was die Bewältigung der Klimakrise angeht.

Kann es einen „grünen Kapitalismus“ geben?  

Die Klimakrise ist ein Top-Thema. Staatliche Politik und Unternehmen kommen unter Druck zu dekarbonisieren. Wir sehen die Zunahme der Produktion und des Verbrauchs erneuerbarer Energien, der Elektroautos oder der Versuche Stahl künftig mit Wasserstoff zu produzieren. Diese „grüne Ökonomie“ oder dieses „grüne Wachstum“ bleibt aber innerhalb der kapitalistischen Macht- und Vermögensverhältnisse und der Wettbewerbslogik. Globale Ausbeutung wird nicht hinterfragt und der Kolonialismus nur um grüne Elemente ergänzt. So werden „grüne“ Ziele nicht erreicht. Denn die Wachstumslogik bleibt und gleichzeitig zur Zunahme von erneuerbarer, „grüner“ Energie kommt es zur Zunahme der fossilen Energieerzeugung.

Das Leben im globalen Norden ist eng mit dem Kapitalismus verwoben, wie kann glaubhaft eine solidarische Zukunft ohne Flugreisen und eigenem Pkw vermittelt werden?

Das ist so und darin liegt unser zentrales Argument. Die kapitalistische Wachstumsmaschinerie bietet vielen Menschen gute Arbeits- und Einkommensverhältnisse. Die imperiale Lebensweise ist auch ein mehr oder weniger attraktives Versprechen für eine bessere Zukunft. Und sie wird von den meisten als alternativlos empfunden. In anderen Weltregionen aber auch hierzulande herrschen Prekarität und Armut, Leiden an den Verhältnissen durch Dauerstress und Konkurrenz und nicht zuletzt ruinieren wir unsere biophysischen Lebensgrundlagen. Zu den Alternativen: Gute Lebensbedingungen müssen gesellschaftlich geschaffen werden, und zwar gegen mächtige fossile Interessen. Etwa ein gut ausgebautes öffentliches Verkehrsnetz, inklusive attraktiver Sammeltaxis auf dem Land, oder eine weitgehend saisonale, ökologische und regionale Landwirtschaft. Der gesellschaftliche Umbau muss glaubwürdig sein, mit Privatjets und immer größeren Autos geht das nicht. 

Halten Sie es für möglich, dass die Erfahrung aktueller Extremwetterereignisse zu mehr Zusammenarbeit führt?  

Tatsächlich werden die Auswirkungen der Klimakrise immer stärker in den kapitalistischen Zentren bemerkbar. Wie Krisen interpretiert werden, ist jedoch offen und da stehen uns noch heftige Auseinandersetzungen bevor. Wir sehen weiterhin die Leugnung des Klimawandels. Es nehmen Positionen zu, die sagen, der Klimawandel sei ein Problem, aber wir können uns die hohen Kosten nicht leisten, weil die Wettbewerbsfähigkeit gefährdet ist. Außerdem sehen wir in vielen Metropolen des Globalen Südens, wie katastrophal die Luftqualität sein kann und das Automobil dennoch unhinterfragt Symbol des Fortschritts ist. Die Politiken für den notwendigen sozialen und ökologischen Umbau müssen politisch erkämpft werden. Entscheidend sind hierbei die Auseinandersetzungen innerhalb des Staates, in den Unternehmen oder in den Verbänden, wie der Arbeiterkammer oder der Wirtschaftskammer. Am Ende unseres Buches schlagen wir den Begriff der „transformativen Zellen“ vor, um diese Auseinandersetzungen innerhalb der Institutionen in den Blick zu nehmen. 

FJ