Wissenschaft: Abgasmanipulation und Mautbetrug mit Lkw
Moderne Lkw müssen Grenzwerte für Stickoxide nicht nur bei der Typenprüfung, sondern auch im realen Fahrbetrieb auf der Straße einhalten. Das funktioniert durch einen Katalysator, der mit einer flüssigen Harnstofflösung (AdBlue) Stickoxide reduziert. Ein computergesteuertes Diagnosesystem (OBD) im Lkw überwacht dabei den Grenzwert und schaltet den Motor automatisch auf 20 km/h herunter, wenn die Abgastechnik defekt ist. Konkret geht es hier um Lkw in den Schadstoffklassen EURO V und VI, die für knapp neunzig Prozent aller gefahrenen Kilometer auf österreichischen Autobahnen verantwortlich sind.
Trotzdem haben sich im Straßengüterverkehr besorgniserregende Geschäftspraktiken bei Abgasmanipulationen etabliert. Grund hierfür sind die Betriebskosten für AdBlue, die bei einer durchschnittlichen Lkw-Fahrleistung rund 2.000 Euro pro Jahr betragen. Durch Verschleiß an Teilen der Abgasvorrichtung, etwa Einspritzdüsen, können auch teure Reparaturkosten anfallen. Daher kommt illegale Software („Emulatoren“) zum Einsatz, die dem OBD einen ordnungsgemäßen Betrieb der Abgasvorrichtung vortäuscht.
Die AK-Studie „Abgasmanipulation und Mautbetrug durch Lkw – Wie sauber sind Lkw wirklich?“ führte Abgasmessungen auf Autobahnabschnitten der A 2 (Südautobahn), A 4 (Ostautobahn) und S 1 (Wiener Außenring-Schnellstraße) durch. In Zusammenarbeit mit der Wiener Polizei fuhr dabei ein Messwagen der Deutschen Umwelthilfe, mit einer Messsonde an der Fahrzeugfront, in der Abgasfahne von Lkw hinterher. Im Oktober 2020 wurden zur Absicherung der Messergebnisse auch Messungen auf deutschen und slowakischen Autobahnen unternommen.
Die Ergebnisse sind bedenklich: Ein Drittel aller Lkw mit Schadstoffnorm EURO VI überschritt den Grenzwert auch unter Berücksichtigung einer „Toleranzmarge“. Bei älteren Lkw der Schadstoffnorm EURO V waren es sogar die Hälfte. Werden diese Ergebnisse auf das Lkw-Aufkommen auf österreichischen Autobahnen hochgerechnet, ergeben sich folgende Konsequenzen:
- Schon relativ wenige abgasmanipulierte Lkw können die Gesamtemissionen auf Autobahnen drastisch erhöhen. Lkw der Schadstoffklassen EURO V und VI, die den NOx-Schwellenwert überschreiten, verursachen eine Verdopplung der NOx-Emissionen der gesamten Lkw-Flotte auf der Autobahn.
- Abgasmanipulation ist auch Mautbetrug in großem Ausmaß. Denn moderne Lkw der Schadstoffnormen EURO V und VI bekommen Mautvergünstigungen, weil sie die Umwelt und die Gesundheit der Menschen weniger belasten. Für das Mautaufkommen auf Autobahnen bedeutet das, dass im Jahr 2020 an 61,5 Millionen Euro an Mautgeldern geprellt wurden, weil die abgasmanipulierten Lkw die Emissionsgrenzwerte gemäß Schadstoffnorm nicht einhielten und damit eigentlich keinen Anspruch auf eine Mautminderung hätten.
- Lkw aus allen Ländern sind gleichermaßen abgasmanipuliert. Bei den Messungen in Deutschland, Österreich und der Slowakei konnten keine Unterschiede zwischen den Herkunftsländern der Lkw festgestellt werden.
Bei den Messungsfahrten wurden Kontrolldefizite in Österreich augenscheinlich. Sogenannte „Technische Unterwegskontrollen“ wären bestens geeignet, da sie für Fahrzeughalter völlig unberechenbar sind und Fahrzeuge mit ausländischem Kennzeichen, die zwei Drittel aller Lkw auf österreichischen Autobahnen ausmachen, nicht zu einer wiederkehrenden Überprüfung („§57a-Begutachtung“) vorgeladen werden können. Mangels fehlender Prüfgeräte und -Kenntnisse sowie klar definierter Abläufe sind die derzeitigen behördlichen Kontrollen bei abgasmanipulierten Lkw praktisch wirkungslos. Die AK-Studie empfiehlt das unmittelbare Messen in der Abgasfahne als taugliches Instrument zur Vorselektion von verdächtigen Lkw. Hierdurch können ausreichende Indizien erhoben werden, die ein Ausleiten eines Lkw zu einem Prüfzentrum oder einer Vertragswerkstätte rechtfertigen. Die Studie verweist auf die Polizeipraxis in Dänemark und Flandern. Dort werden mit speziellen Scangeräten die Daten der OBD eines Lkw abgerufen. Hierzu braucht es freilich Kenntnisse von Codes, Temperatur- und Grenzwerten sowie abgastechnischen Zusammenhängen und spezielle Schulungen zur Durchführung. Dieses Verfahren stellt überdies rechtlich einwandfreie Strafen durch Behörden sicher, die auch in einem gerichtlichem Berufungsverfahren Bestand haben.
Gemäß Typengenehmigung dürfen Lkw mit der Schadstoffnorm EURO VI nicht mehr als 460 mg NOx/kWh emittieren. Bei Abgasmessungen auf Autobahnen in Deutschland, Österreich und Slowakei wurde aber deutlich: Ein Drittel aller Lkw überschreitet den Grenzwert von 460 mg NOx/kWh auch unter Einrechnung einer Toleranzmarge bis 1000 mg NOx/kWh deutlich. Im Durchschnitt liegen sie bei 955 mg NOx/kWh. Trauriger „Spitzenreiter“ wurde ein Lkw mit über 8000 mg NOx/kWh. Österreichische Behörden können derzeit aber nicht einmal diesen Lkw aus dem Verkehr ziehen.
Die AK fordert
- Effektive Lkw-Kontrollen aus einer Hand (one-stop-shop). Aktuell sind die Zuständigkeiten zwischen zwei Ministerien und den Bundesländern aufgeteilt. Die ASFINAG darf derzeit diese Form von Mautbetrug weder kontrollieren noch ahnden.
- Abgasbetrug darf sich nicht rechnen. „Verhaltensauffällige“ Lkw müssen aus dem Verkehr gezogen und in Vertragswerkstätten überprüft und repariert werden. Die derzeitigen Strafen sind nicht abschreckend.
- Exekutivorgane brauchen Ausbildung und Kontrollinstrumente. Nur ausreichende und gut geschulte Polizist:innen können den Softwarebetrug im Lkw wirksam eindämmen. ¨
Tipps:
Friedrich, A.; Annan, S.; Helmerich, R. (2020): Abgasmanipulation und Mautbetrug durch Lkw – Wie sauber sind Lkw wirklich? (Informationen zur Umweltpolitik, 205) AK Wien
Die Studie kann bei uvsek@ak-wien.at bestellt oder hier abgerufen werden.