Interview: Gestaltung des Umbaus der Industrie

Welche Risiken sind mit der 
Dekarbonisierung für die 
Industrie verbunden? 


In wirtschaftlicher Hinsicht kann die Dekarbonisierung den Verlust von industriellen Produktionskapazitäten bedeuten, wenn der globale Wettbewerbsvorteil wichtiger Industriezweige, z.B. der (noch) vorrangig auf Verbrennungsmotoren spezialisierten europäischen Autoindustrie, verlorengeht. In sozialer Hinsicht besteht die Gefahr, dass die Kosten für den Umbau den Beschäftigten oder der breiteren Gesellschaft aufgebürdet werden, während die Gewinne in wenigen privaten Händen verbleiben. In ökologischer Hinsicht ist ein Risiko, dass die Dekarbonisierung zu schleppend vorangeht und der Klimawandel nicht mehr zu begrenzen ist.

Welcher Logik folgt aktuell der Umbau der Industrie? 

Zum Umbau der Industrie kommt 
es ohnehin laufend. Die Industrie zeichnet sich durch eine ständige Weiterentwicklung ihrer Produkte aus und ist in vielen Feldern Innovationstreiber. In Bezug auf die Dekarbonisierung ist die wichtigste Frage, ob – wie aktuell vorgesehen – Marktanreize den Umbau anleiten sollen oder ob es stärkere staatliche Eingriffe benötigt, um Richtung 
und Geschwindigkeit des Umbaus zu lenken. Im ersten Fall entscheiden private Profitinteressen über 
Investitionen. Im zweiten Fall nimmt der Staat eine aktivere Rolle ein 
und kann auch soziale und ökologische Ziele vorgeben, die nicht 
zwingend höhere Gewinne versprechen. 

Wo sehen Sie konkrete Handlungsmöglichkeiten für die Politik? 


Der Erwerb von Staatsanteilen an Unternehmen und öffentliche Beschaffung können als wichtige Hebel für nachfrageorientierte Industriepolitik dienen. Allerdings kann sich staatliches Handeln auch darauf beschränken, die Gewinne privater Unternehmen abzusichern. Deshalb müssen staatliche Aktivitäten immer „von unten“, von den Gewerkschaften und anderen zivilgesellschaftlichen Verbänden begleitet und kritisch geprüft werden. Es ist nicht nur entscheidend, wie radikal der Umbau ist, sondern auch wer diesen (großteils) bezahlt und wie die Gewinne nach dem Umbau verteilt werden.

Wie lässt sich sicherstellen, dass die Beschäftigten beim erforderlichen Strukturwandel gut mitgenommen werden? 


Grundsätzlich besteht für die 
Organisationen der Arbeitnehmer*innenvertretung ein Spannungsfeld zwischen der Notwendigkeit des raschen ökologischen Umbaus 
oder Rückbaus von Industriezweigen und einem (möglichen) Verlust von einer größeren Anzahl von – relativ gut abgesicherten – Arbeitsplätzen. Dieser potenzielle Konflikt muss aufgelöst werden, indem fortschrittliche Industriepolitik mit Sozial- und Umverteilungspolitik abgestimmt wird. Konzepte für einen gerechten Übergang („Just Transition“) wurden von der Gewerkschaftsbewegung bereits erarbeitet und werden laufend weiterentwickelt. Die Akzeptanz des Umbaus wird nur gegeben sein, wenn – neben den Betriebsrät*innen – auch die Belegschaften selbst in die Transformationspläne einbezogen werden.