Politik
Neue Gentechnik – ein Patent gegen die Klimakrise?
Die EU-Gesundheitskommissarin Stella Kyriakides, pries in ihrer Präsentation des Verordnungsentwurfs zur Neuregelung von Neuer Gentechnik (NGT)-Pflanzen diese zum wiederholten Male als Wunderwaffe gegen die Klimakrise an. NGT-Pflanzen könnten Dürren und Unwettern besser widerstehen. Sie würden höhere Erträge liefern, verbrauchten weniger Dünger und Wasser und seien resistenter gegen Schädlinge, wodurch Pestizide eingespart werden könnten. Die europäische Lebensmittelbehörde EFSA könnte dies mit Fakten belegen. Aber stimmt diese Darstellung wirklich? Oder ist es nicht vielmehr ein Framing der Industrie und Teilen der Wissenschaft, um endlich Gentechnik in der EU salonfähig zu machen?
Was bewirkt die Neue Gentechnik?
Bei der bisherigen Gentechnik werden mit Hilfe von gentechnischen Verfahren Gene bzw. Genkonstrukte von artfremden Organismen in das Erbgut einer Pflanze eingeführt. Bei der neuen Gentechnik kann das Erbgut im Organismus gezielt geändert werden. So können einzelne Gene abgeschaltet, ausgeschnitten, neu kombiniert oder auch neues Erbgut eingebracht werden. Die möglichen Anwendungen sind um einiges vielfältiger und auch zielgerichteter. Das heißt nicht, dass es keine negativen Effekte geben kann. So verweist der Wissenschaftler Christoph Then von Testbiotech auf vielfältige Studien über unbeabsichtigte und unvorhergesehene Folgen bei der Verwendung der Genschere CRISPR/Cas. Kürzlich wurde beispielsweise ein Effekt von Doppelstrangbrüchen in Pflanzen beschrieben, der als „Chromothripsis“ bezeichnet wird. Weil beim Einsatz der Genschere CRISPR/Cas oft hunderte genetische Veränderungen auf einmal auftreten, können Abschnitte des Erbguts vertauscht, verdreht, neu kombiniert werden oder ganz verloren gehen. Die Auswirkungen auf die Pflanze sind noch unklar. Ohne umfassenden Risikocheck, der mögliche negative Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit und die Umwelt beurteilt, ist der Einsatz der Verfahren der neuen Gentechnik laut Then unverantwortlich.
Auch der Europäische Gerichtshof (EuGH) definierte in seinem Urteil vom 18. Juli 2018, Verfahren der Neuen Gentechnik als gentechnisch veränderte Organismen (GVO) nach EU-Gentechnikrecht. Er begründete dies mit der Neuheit der Verfahren, sowie möglicher Gefahren für die menschliche Gesundheit und Umwelt. Daher sollten im Sinne des Vorsorgeprinzips geltende EU-Gentechnikregeln auch für die Neue Gentechnik gelten.
Konsument:innen- und Umweltorganisationen begrüßten den vorsorgenden Ansatz, der Katzenjammer war hingegen bei Gentechnik-, Agrar- und Saatgutbranche nach diesem EuGH-Urteil groß. Sie setzten nun alles daran, die geltende Gentechnikregeln für NGTs aufzuweichen. Mit dem Vorschlag der Kommission sind sie nun fast am Ziel: Es werden fast alle Regeln für Lebens- und Futtermittel der neuen Gentechnik ausgehebelt, sofern diese im Endprodukt kein fremdes Erbgut enthalten. Dies bedeutet in der Praxis, dass es für fast alle NGT-Produkte künftig kein Zulassungssystem für diese Gentechnik nach definierten Kriterien des EU-Gentechnikrechts gibt und somit auch keine umfassende Risikobewertung, bevor Gentechniklebensmittel auf dem europäischen Markt landen.
Warum überhaupt die neue Gentechnik einsetzen?
Der Großteil der mit dieser Frage befassten Wissenschaftler:innen ist der Meinung, dass die Neue Gentechnik genauso sicher sei, wie die herkömmliche Pflanzenzüchtung, wenn nur kleine Veränderungen im Erbgut einer Pflanze vorgenommen werden. Es wurde wiederholt betont, dass die Methoden der neuen Gentechnik die gleichen Veränderungen im Erbgut hervorrufen, wie die herkömmliche Pflanzenzüchtung. Wenn dem tatsächlich so ist, dann stellt sich die Frage, warum eine in Japan auf dem Markt befindliche Tomate mit einem erhöhten Wert des Inhaltsstoffes GABA (γ-Aminobuttersäure) nur mit Hilfe der Genschere erreicht werden konnte? Die konventionelle Züchtung brachte hier keinen Erfolg. Der Grund mag darin liegen, dass die Genschere auch das Eindringen in Regionen des Erbgutes ermöglicht, die von Natur aus besonders gegen zufällige Mutationen geschützt sind.
Dies relativiert die Behauptung, dass gezielte Mutationen eigentlich nur das tut, was in der Natur ständig passiert. Nicht zuletzt ist der besondere Mechanismus von CRISPR-Cas, alle Stellen einer bestimmten DNA-Sequenz im Genom gleichzeitig zu verändern, ein Effekt, der bei natürlichen Mutationen mit ziemlicher Sicherheit ausgeschlossen werden kann. Darin liegt auch eine besondere Stärke der Technik: Es könnte möglich sein, die allergene Glutenproduktion im Weizen auszuschalten, wie Benedikt Härlin von der NGO „Save our Seeds“ beschreibt.
Mittlerweile werden die großen Hoffnungen relativiert, dass die Neue Gentechnik die Klimakrise aufhält. So gibt die Mikrobiologin und Befürworterin von NGTs Ortrun Mittelsten Scheid zu: „Trockenresistenz, Hitzeresistenz, Salzresistenz, die jetzt im Zuge des Klimawandels als Züchtungsziele besonders attraktiv sind, sind komplexe Eigenschaften, an denen in der Regel mehrere Gene, epigenetische Regulierungen und andere Faktoren beteiligt sind. Sie entscheiden zusammen darüber, ob Pflanzen mit bestimmten Bedingungen zurechtkommen“. Es gibt also kein „Hitze- oder Trockengen“. Daher stellt sich die Frage, ob NGTs die übersteigerte Erwartung einer besseren Anpassung an die Klimakrise tatsächlich erfüllen können.
Vorsorgeprinzip, Wahlfreiheit, Biolandbau und Patente – viele offene Fragen
Das europäische Wissenschaftsnetzwerk ENSSER kritisiert den Vorschlag der Kommission als wissenschaftlich inakzeptabel, er hebe die Bestimmungen des Vorsorgeprinzips auf und gefährde die Öffentlichkeit und die Umwelt. Die Gleichsetzung von Pflanzen, die mit Hilfe neuer gentechnischer Verfahren behandelt wurden mit jenen konventioneller Züchtung, sei laut ENSSER eine Rückkehr zum Konzept der „wesentlichen Gleichwertigkeit“, das in den ersten EU-Gentechnikvorschriften der 1990er Jahre verwendet und in den späteren, d. h. den aktuellen Rechtsvorschriften, als unwissenschaftliches und unzuverlässiges Konzept verworfen wurde. Dieser Mangel an wissenschaftlicher Grundlage und Beweisen zeigt sich vor allem in der Willkür bei der Anzahl der Veränderungen oder Basenpaar-Insertionen/Substitutionen, die als „gleichwertig“ gelten dürfen. Wobei die „Gleichwertigkeit“ eindeutig nicht gleichwertige Sicherheit bedeutet. Daher lehnt ENSSER den Vorschlag der Kommission auch ab und fordert mehr Wissenschaftlichkeit ein.
Für Konsument:innen bedeutet der Vorschlag nichts Gutes. Denn damit wird die Wahlfreiheit beim Großteil der NGT-Lebens- und Futtermittel ausgehebelt, weil diese nicht als GVO gekennzeichnet werden müssen. Aber auch das in der EU eigentlich verankerte Vorsorgeprinzip wird nicht mehr wahrgenommen. Und für die Biolandwirtschaft, die gentechnikfrei produziert sowie die gentechnikfreie konventionelle Land- und Lebenswirtschaft, stellt der Vorschlag vor große Herausforderungen.
Offen lässt der Vorschlag auch den Umgang mit Patenten der neuen Gentechnik. Die Zahl von Patentanmeldungen, um technische Innovationen mit Neuer Gentechnik wirtschaftlich profitabel zu nutzen, ist in den vergangenen Jahren erheblich gestiegen. So meldete die Firma Corteva weltweit bereits 1430 Patente auf neue Züchtungsverfahren und -produkte an. Die deutsche Firma Bayer, als zweitgrößter Player im „Patentwettlauf“, meldete immerhin 119 Patente am. Dabei geht es nicht nur um einzelne Pflanzen, sondern um breite Anwendungen wie z. B. Resistenzen gegen Krankheiten. Aber nicht nur das Saatgut, sondern auch die geernteten und verarbeiteten Produkte sind Teil des Patentantrags. So wären zukünftig für die Bäuerin, die eine Kartoffelsorte mit höherem Stärkegehalt anbaut, für den Bäcker, der aus dem Mehl dieser Kartoffeln Brot bäckt, für die Lebensmittelindustrie, die aus dieser Kartoffelsorte ihre Produkte herstellt, also folglich bis hin zu den Pommes Frites auf dem Teller, Lizenzgebühren zu bezahlen. Patente erhöhen die Marktmacht derjenigen, die Patente anmelden und führen zu einer größeren Abhängigkeit von internationalen Konzernen. Konkret bedeutet das, dass Konzerne Monopolrechte auf wichtige, natürliche Eigenschaften wie z. B. Hitzetoleranz oder die Resistenz gegen eine Krankheit bekommen und somit andere von ihrer Nutzung ausschließen können. Gerade in Zeiten der Klimakrise ist es aber umso wichtiger, ausreichend biologische Vielfalt zur Verfügung zu haben.
Die Klimakrise braucht eine andere Resilienz
Die österreichische Politik vertritt eine klare Haltung: Auch für Methoden der „Neuen Gentechnik” muss das bestehende Regelwerk der Gentechnik gelten. Die Menschen in Österreich wollen wissen, was sie essen. Transparenz am Teller kann nur durch verpflichtende Kennzeichnung garantiert werden”, wie die zuständigen Minister:innen betonen. Dies ist auch die Haltung von Konsument:innen-, Umweltschutzorganisationen, der Biolandwirtschaft und gentechnikfreien Lebensmittelwirtschaft in Österreich und ganz Europa. In den kommenden Monaten wird der Vorschlag der EU-Kommission intensiv vom Europäischen Rat und Europäischem Parlament diskutiert. Noch vor den Neuwahlen des EPs Juni 2024 könnte dieser beschlossen werden.
Gentechnikpflanzen werden wenig zu mehr Resilienz in der Landwirtschaft beizutragen. Was es vielmehr braucht, ist eine Veränderung des Landwirtschaftssystems. Wenn es weniger Wasser gibt, ist der Aufbau von Humus im Boden zielführend. Der kann auch bei Hochwässern helfen, weil er mehr Wasser im Boden speichert, und das führt zu weniger Überflutungen. Oder weniger Bodenversiegelung, um Flächen für die Ernährungssicherung zur Verfügung zu haben. Es braucht also vielmehr eine resiliente und nachhaltige europäische Landwirtschaft, mit funktionierenden Ökosystemen, im Interesse der Umwelt und der Gesellschaft.