Politik

Das Imperium schlägt zurück

In den Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg herrschte in der internationalen Politik der Konsens vor, dass die Kooperation der Staaten bessere Ergebnisse bringt als die Konkurrenz; und zwar für alle Beteiligten. Die Vereinten Nationen (UNO), 1945 gegründet, prägten die Zusammenarbeit zwischen den Staaten. Unter ihrer Führung wurden Verträge geschlossen und Teilorganisationen gegründet, die die internationale Ordnung lange Zeit bestimmten. Beispiele sind die Weltgesundheitsorganisation, die Internationale Arbeitsorganisation oder die Weltbank. Die UNO, ihre Teilorganisationen und die Verträge, die unter ihrer Führung ausgehandelt wurden, stehen allen Mitgliedstaaten offen. Sie sind damit im Wortsinn „international“, da fast alle Staaten der Welt Mitglied der UNO sind.

Schubumkehr

In den letzten Jahren zeigte sich aber mehr und mehr, dass die Zusammenarbeit der Staaten brüchiger wird. Immer offener verfolgen sie stattdessen einen neuen Protektionismus, der ganz unverhüllt ihre eigenen Interessen in den Mittelpunkt stellt. Die internationale Zusammenarbeit weicht zusehends einer einseitigen Politik, einem sogenannten „Unilateralismus“, einer Abschottung und vermeintlichen Absicherung des eigenen Staates auf Kosten anderer. Auch innerhalb der Staaten zeigen sich immer mehr Konfliktlinien, die einen gesellschaftlichen Grundkonsens in Frage stellen. Während früher ein gemeinsames Verständnis herrschte, dass Friede, gerechte Verteilung des Wohlstands sowie Demokratie und Gleichberechtigung die Basis einer lebenswerten Gesellschaft bilden, erodieren diese Werte heute oder sind massiv unter Beschuss geraten. Dabei geht es nicht nur um den Krieg in der Ukraine, der bis vor kurzem noch für unvorstellbar galt. 

Ein Beispiel für die neue Abschottung ist der Kampf um den Zugriff auf strategische Rohstoffe. Dazu gehört beispielweise das Metall Neodym, das für die Erzeugung von Hochleistungsmagneten benötigt wird. 85 Prozent dieser weltweit gehandelten Substanz kommen aus China, wodurch dieses Land ein wirtschaftliches Druckmittel in der Hand hat und über die Verfügbarkeit des Rohstoffs bestimmen kann. Die Staaten der Welt – auch die EU – befinden sich in einem Wettlauf, um sich den Zugang zu derartigen Rohstoffen zu sichern, statt auf eine kooperative Weise über die Verteilung knapper Ressourcen zu verhandeln. Damit erleben Formen des Kolonialismus eine Renaissance, die – vielleicht naiverweise – lange für überwunden gehalten wurden.

Ähnlich läuft es mit der Unterstützung der Industrie im eigenen Land. Mittlerweile gibt es eine wahre Hochrüstung an Steuervorteilen und Geschenken an Unternehmen, im „Standortwettbewerb“ ist gewissermaßen Doping zur Regel geworden. Während beispielsweise in der EU lange Zeit die Vorstellung herrschte, dass staatliche Unternehmensförderungen nur ausnahmsweise und befristet zulässig sein sollen, erlaubt die EU den Mitgliedstaaten, Unternehmen fast ohne irgendwelche Bedingungen zu fördern. Alle anderen tun es ja auch, wird als Grund angeführt. Damit wird eine Verteilung von Steuermitteln hin zu Unternehmensgewinnen möglich, die vor zehn Jahren völlig ausgeschlossen war. 

Bedrohliche Frontstellungen zeigen sich etwa auch bei der neuen Landwirtschaftsstrategie der EU „Vom Feld auf den Tisch“, die Teil des Grünen Deals ist: Einige Fraktionen im EU-Parlament stellten die Reduktion von Pestiziden in Frage. Es wird offen für den Einsatz dieser Gifte ohne Berücksichtigung von Biodiversität und Naturschutz argumentiert. Vergleichbares war vor zehn Jahren nur hinter vorgehaltener Hand zu hören.

Wo bleibt der Klimaschutz?

2015 wurde bei der Klimakonferenz in Paris das Ziel beschlossen, den Ausstoß an Treibhausgasen so zu reduzieren, dass die Erderwärmung „möglichst bei 1,5 Grad begrenzt werden kann“. Statt zu sinken sind die Emissionen aber seither weltweit weiter angestiegen. Vielen Staaten fehlt jegliche Motivation. Die USA hatten sich zeitweise von dem Abkommen zurückgezogen. Australien blieb untätig, um seine bedeutende Kohleindustrie nicht zu gefährden. 
Die Staaten des mittleren Ostens wollten nur Emissionsreduktionen zusagen, wenn der Export von Erdöl weiterhin uneingeschränkt möglich ist. 

Selbst in der EU ist die Unterstützung für die Klimaziele brüchig. Wo rechtspopulistische Parteien an der Macht sind, kommt die ambitionierte Klimapolitik unter die Räder. Das wird sichtbar, wenn die Staaten im Rat der EU abstimmen, wo beispielsweise Polen gegen mehrere Klimaschutzgesetze stimmte. Auch in Österreich ist keine ernsthafte Trendwende zu beobachten. 

Die Wissenschaft zeigt klar auf, dass die Erde ohne strenge Klimaschutzmaßnahmen kein sonderlich lebenswerter Planet mehr sein wird. Die meisten Menschen sehen im Klimawandel ein ernstes Problem und wünschen sich entsprechende Gegenmaßnahmen. Da stellt sich schon die Frage, wieso es nicht einmal demokratische Staaten schaffen, eine Wirtschafts- und Umweltpolitik zu verfolgen, die den objektiven Interessen der übergroßen Mehrheit entspricht. Warum kommt es also zu diesem eklatanten Demokratieversagen?

Eine Erklärung liegt in der Verteilungswirkung, die hinter dem Treibhauseffekt steht: So verschuldet das reichste Zehntel der Weltbevölkerung ungefähr die Hälfte der globalen Emissionen, während die ärmere Hälfte nur für rund zehn Prozent verantwortlich ist. Dieses reichste Zehntel stellt die globale Elite dar. Sie hält die wirtschaftliche und politische Macht in Händen und hat keinerlei Veranlassung, auf ihren Reichtum und ihren Lebensstil zu verzichten. Eine weitere Ursache ist darin zu finden, dass es im Kapitalismus um die Maximierung von Gewinnen geht und diese nur mit der stetigen Ausweitung der Produktion zu erreichen sind, die wiederum einen immer größeren Rohstoff- und Umweltverbrauch nach sich zieht.

Die Repression steigt

Je offensichtlicher die Klimakrise wird, desto mehr setzen auch demokratische Staaten auf folgende zwei Strategien: Prügel und Placebo. Einerseits nehmen Repressionen zu, andererseits werden gern Scheinlösungen angeboten, die dann mit Steuergeldern großzügig gefördert werden. In vielen Ländern und Regionen sind rechtspopulistische, aber auch neofaschistische Parteien im Vormarsch. Sie leugnen oder verharmlosen den Klimawandel und versprechen damit ihren Wähler:innen, dass diese ihren Lebensstil ungestört fortsetzen können – eine willkommene Illusion. Man wendet sich gegen eine „Untergangsapokalyse“ und Verbote (z.B. Temporeduktionen). 

Diese Abneigung gegen Verbote beschränkt sich allerdings auf den Klimaschutz. Denn wer stört – sei es die kritische Wissenschaft, seien es Klimaschützer:innen oder Flüchtlinge –, wird mit aller Härte bekämpft. So haben es die sogenannten „Klimakleber“ in das niederösterreichische Regierungsübereinkommen geschafft, wo festgelegt wurde, dass man gegen diese „entschlossen vorgehen“ möchte. In England wurden zwei Aktivisten, die eine für den Straßenverkehr wichtige Themse-Brücke vorübergehend blockierten, zu mehrjährigen Gefängnisstrafen verurteilt. Im Gegensatz dazu können jene Audi-Manager, die durch ihren Beitrag zum Dieselbetrug und zu erhöhten Belastungen mit Stickoxiden zahlreiche Menschenleben auf dem Gewissen haben, im Fall von Geständnissen damit rechnen, dass ihre Haftstrafen bloß bedingt ausgesprochen werden.

Hochkonjunktur für Scheinlösungen

Aufsehen erregte auch, als Deutschland die Änderung eines EU-Gesetzes erwirkte, das eigentlich schon als ausverhandelt galt. Nach dem ursprünglichen Entwurf sollten ab 2035 nur mehr Autos neu für den Verkehr zugelassen werden, die elektrisch oder mit Wasserstoff fahren. Doch die Lobby der Hersteller von Verbrennungsmotoren konnte durchsetzen, dass unter bestimmten Voraussetzungen auch nach 2035 noch Benzin- bzw. Dieselautos verkauft werden dürfen. Österreich unterstützte Deutschland bei dieser Änderung. Das dabei geschaffene Schlupfloch für sogenannte E-Fuels kombiniert ineffiziente Verbrennungsmotoren mit der ebenfalls ineffizienten Erzeugung von synthetischen Treibstoffen. Aber auch bei E-Fahrzeugen kommt es zu Fehlentwicklungen. So setzt speziell die deutsche Kfz-Industrie ganz auf hochpreisige E-SUVs, weil mit ihnen einfach am meisten Gewinn gemacht werden kann. Gesellschaftlich nützliche E-Kfz, wie Motorroller, Klein-Lkws, aber auch E-Busse, werden in Europa hingegen kaum erzeugt.

Eine Renaissance versucht man auch bei der Atomkraft, die sich seit Jahrzehnten am absteigenden Ast befindet. Trotz des ungelösten Problems der Atommüll-Lagerung, trotz der Gefahr von Nuklearkatastrophen und trotz der enormen Kosten und langen Bauzeiten wittert die Atomlobby Morgenluft und hofft auf zusätzliche „grüne“ Fördergelder, weil Atomstrom ja vorgeblich CO2-neutral produziert wird. In Frankreich und Tschechien hat sie verlässliche Verbündete.

Ähnlich rückwärtsgewandt ist die Autolobby. Die österreichische Kfz-Industrie hat sich großes Know-how in der Verbrenner- und Allradtechnologie aufgebaut. Doch mit dem Vormarsch der E-Autos wird dies immer weniger wert. Für Forschung und Produktionsumstellung fließen reichlich öffentliche Fördermittel. Gewerkschaften und AK fordern, diese Gelder an die Einhaltung gewisser Bedingungen zu knüpfen; z.B. an Jobgarantien, Einbeziehung des Betriebsrates oder Maßnahmen zur Kreislaufwirtschaft. All das wird von der Branche vehement abgelehnt.

Diese Entwicklungen – auf internationaler, auf europäischer und auf innerstaatlicher Ebene – sind Grund zur Sorge. Für uns steht fest: Eine Rückkehr zu einer multilateralen Ordnung, zu einem Ausgleich der Interessen und zu einem ehrlichen Eintreten für die Schwächeren ist eine Grundvoraussetzung, um sich wieder schrittweise vom Abgrund des rücksichtslosen Populismus und des Faschismus zu entfernen.