Politik

Ökologisierung der Lkw-Maut mit Fragezeichen

Besonders grün waren sich Österreich und die EU beim Thema Verkehr noch nie. Es begann 1992 mit dem Transitabkommen und den Ökopunkten, reichte über unzählige „Transitgipfel“ sowie Verfahren beim Europäischen Gerichtshof und wird bis heute über Tiroler Lkw-Fahrverbote fortgesetzt. Während Österreich auch auf Lkw-Beschränkungen und eine amtlich verordnete Verlagerung des Güterverkehrs auf die Schiene setzt, vertraut die EU auf den Markt und die Preisgestaltung zur Lösung von Umweltbelastungen.

Lkw-Maut kann künftig öffentlichen Verkehr mitfinanzieren

Im Februar 2022 kam ein neuer Meilenstein hinzu: Nach fünf Jahren Verhandlungen einigte man sich in der EU auf neue Mautvorschriften, die den Lkw-Verkehr klimafitter machen sollen. Zentrale Neuerung ist das CO2-Element: Wenn Mitgliedstaaten künftig Lkw-Maut einheben, muss dies nach CO2-Gesichtspunkten erfolgen. Batterie- oder Brennstoffzellen-Lkw müssen somit bei der Maut gegenüber Diesel-Lkw bessergestellt werden, indem sie entweder weniger Maut für die Infra­strukturbenützung bezahlen, oder niedrigere CO2-Aufschläge zusätzlich zu dieser Maut („100 Prozent + Zuschlag“) zu leisten haben. Letzteres hat den Vorteil, dass nicht nur klimafreundliche Lkw gefördert werden, sondern auch die gesamten Mauteinnahmen nicht sinken. 

Da die neuen Vorschriften das Verursacherprinzip stärker berücksichtigen sollen, müssen nicht verursachergerechte Zeitmauten (Vignetten) für Lkw spätestens bis zum Jahr 2030 in fahrleistungsabhängige Mauttarife umgewandelt werden. Das bedeutet für einige EU-Länder eine Zäsur. Darüber hinaus müssen die Mitgliedstaaten ab 2026 Zuschläge für die Folgekosten durch Lärm und Luftverschmutzung einheben, und deren bislang geltenden Maximalsätze werden angehoben. 

Da der Verkehr schneller wächst als er durch den Bau neuer Autobahnen gedeckt werden könnte, sieht die Richtlinie umfangreichere Möglichkeiten zur Querfinanzierung vor. Demnach können in Zukunft Mitgliedstaaten fünfzehn Prozent auf die Maut aufschlagen, wenn dieses Geld zur Verkehrsentlastung der Autobahn eingesetzt wird. Laut ersten Schätzungen kann dies für Österreich Mehreinnahmen von 200 Millionen Euro bedeuten, um damit umweltfreundliche Verkehrsmaßnahmen zu finanzieren, zum Beispiel den Ausbau und die Finanzierung des öffentlichen Verkehrs.

Geändert werden auch die Voraussetzungen für den „Bergzuschlag“, mit dem parallel verlaufende Verkehrsprojekte von europäischem Interesse querfinanziert werden können. Dieser beträgt derzeit 25 Prozent und wird bislang nur in Tirol eingehoben, um den Bau des Brennerbasistunnels mitzufinanzieren. Gemäß der neuen Richtlinie kann er zukünftig 50 Prozent betragen. Allerdings wird für diese Erhöhung den Nachbarländern ein Vetorecht eingeräumt, von welchem angesichts des Dauerstreits Österreichs mit Deutschland und Italien wohl auch Gebrauch gemacht werden wird.

Gleichzeitig finden sich in der neuen Richtlinie eine Reihe von Schlupflöchern für jene Mitgliedstaaten, die dem Lkw-Verkehr weiterhin günstige Rahmenbedingungen bieten wollen. Die Mitgliedstaaten sind weiterhin nicht verpflichtet, eine kostendeckende Maut überhaupt einzuheben. Private Autobahnbetreiber, wie wir sie in Südeuropa häufig vorfinden, müssen bei bestehenden Konzessionsverträgen keine Umweltanreize bei ihren Mauttarifen setzen.

Österreich gegen den Rest Europas

Warum blieben Österreich im EU-Rat sowie parteiübergreifend alle österreichischen Abgeordneten des EU-Parlaments in der überschaubaren Minderheit, als sie gegen die Richtlinie stimmten? Es ist das unbestrittene Ziel der österreichischen Verkehrspolitik, den Güterverkehr von der Straße auf die Schiene zu verlagern. Die Wegekostenrichtlinie setzt es sich allerdings nicht zum Ziel, den Lkw-Verkehr mengenmäßig zu beschränken oder zu einer Verkehrsverlagerung beizutragen. Vielmehr will sie Anreize für einen sauberen Straßengüterverkehr im Rahmen des freien Warenverkehrs setzen. Zentrale Bestimmung bleibt weiterhin, dass sich die Mauttarife an den Bau- und Betriebskosten zu orientieren haben. Mitgliedstaaten können die Mauthöhe somit nicht frei festlegen. Dies wäre jedoch notwendig, um sie als verkehrslenkendes Instrument einsetzen zu können. Es kann sogar dazu führen, dass Mitgliedstaaten die Maut senken müssten, wenn es zu einer Verkehrszunahme bei gleichbleibenden Kosten kommt.

Wenig hilfreich für die Verkehrsverlagerung ist es auch, wenn CO2-freie Lkw künftig eine reduzierte Maut für Infrastrukturkosten leisten müssen. Dieser zentrale Kritikpunkt Österreichs bei den Verhandlungen in Brüssel wurde jedoch zum Bumerang, da Österreich auf nationaler Ebene genau dieselbe Besserstellung CO2-freier Lkw in der Mauttarifverordnung vorsieht.

Was tun gegen die Transitbelastung in Tirol?

Die Daten der ASFINAG zeigen, dass die aktuellen Lkw-Zahlen auf der Brennerautobahn trotz Pandemie kaum niedriger sind als im Rekordjahr 2019. Eine aktuelle Analyse des Landes Tirol für 2019 belegt zudem, dass 32 Prozent der Lkw-Fahrten über den Brenner einen kürzeren Weg durch die Schweiz nehmen könnten. Die längere Strecke durch Tirol ist aber günstiger: Während ein 5-achsiger Diesel-Lkw der saubersten Kategorie durch Tirol im Durchschnitt etwa 77 Cent pro Kilometer zahlen muss, sind es in der Schweiz 91 Cent pro Kilometer. Da das Schweizer Teilstück bei der Route über den Gotthard jedenfalls knapp 300 km beträgt, das österreichische Teilstück über den Brenner aber gerade einmal 109 km lang ist, wird die Differenz noch größer. Erschwerend kommt hinzu, dass die Mineralölsteuer in der Schweiz mehr als doppelt so hoch ist wie in Österreich.

Da sowohl in Deutschland als auch in Italien das Mauttarifniveau für denselben Lkw bei etwa 20 Cent pro Kilometer liegt, könnte Österreich die Maut auf dem kurzen Autobahnteilstück durch Tirol auch unter vollständiger Nutzung des Spielraums durch die neue Wegekostenrichtlinie nicht so hoch ansetzen, dass die Fahrt durch die Schweiz günstiger würde. Somit braucht es für den gesamten Brennerkorridor eine tariflich mit Deutschland und Italien abgestimmte höhere Maut, die auch die deutsche und italienische Autobahn umfasst. Diese sogenannte „Korridormaut“ wäre auch bisher schon rechtlich möglich gewesen, doch fehlte es am politischen Willen in Deutschland und Italien.

Löst der Brennerbasistunnel Tirols Verkehrsprobleme?

Die Tiroler Antwort auf die Frage, wie das Transitproblem zu lösen ist, ist seit Jahrzehnten der Brennerbasistunnel (BBT): Dieser 55 km lange zweigleisige Eisenbahntunnel zwischen Innsbruck und Franzensfeste (Südtirol) soll ab 2032 die notwendigen Schienenkapazitäten schaffen, um die langersehnte Verkehrsverlagerung möglich zu machen. Weiterhin unklar ist, wie dieser Tunnel für eine Verkehrsverlagerung sorgen kann, da der Lkw-Verkehr auch in absehbarer Zukunft günstiger sein wird. Naheliegend wären Lkw-Fahrverbote, die mit dem freien Warenverkehr der EU bislang aber unvereinbar waren. Hier muss die EU eine Antwort liefern, damit der Tunnel nicht zum Milliardengrab europäischer Fördergelder wird. Als Warnung dient der 2016 fertiggestellte Gotthardbasistunnel für den Schienenverkehr in der Schweiz, der bislang nicht den erhofften Verlagerungseffekt brachte.

Fest steht, dass es einer Art der Kontingentierung auf der Straße bedarf, um die Auslastung des BBT sicherzustellen. Ein ermutigendes Beispiel hierfür ist die Blockabfertigung, die die Tiroler Landesregierung 2017 einführte. Darunter ist ein Dosiersystem an der deutsch-österreichischen Grenze zu verstehen, mit dem nur ca. fünf Lkw pro Minute die Weiterfahrt erlaubt wird, um an verkehrsreichen Tagen Staus auf der Inntalautobahn zu vermeiden. Auch das Verbot des Lkw-Transports bestimmter unverderblicher Güter durch Tirol („sektorales Fahrverbot“) wäre ein taugliches Mittel, wenn es nicht durch großzügige Ausnahmen für neuere Lkw abgeschwächt worden wäre. Genau diese Abschwächung war jedoch Voraussetzung, um vor dem Europäischen Gerichtshof zu bestehen. Ruhig wurde es hingegen um die Umsetzung einer Alpentransitbörse, die den alpenquerenden Lkw-Verkehr mengenmäßig beschränken sollte.

Der Weg zum klimaneutralen Güterverkehr

Es braucht ein Bündel an Maßnahmen, um den Güterverkehr in Europa klimaneutral zu gestalten. Klimafitte Lkw sind bestenfalls nur Teil der Lösung, weil die Produktion von erneuerbarem Strom in absehbarer Zeit nicht ausreichen wird, den Güterverkehr auf batteriebetriebene Lkw umzustellen. Damit die Verlagerung auf die Schiene Realität wird, muss das Schienenangebot sowie die Zugänglichkeit des Netzes direkt zu den Produktionsstätten massiv verbessert werden. So haben große Länder wie Deutschland, Italien und Frankreich schlichtweg vergessen, Unternehmen mit Anschlussgleisen anzubinden. Während Österreich nicht zuletzt wegen geförderter Gleisanschlüsse zu Unternehmen rund 30 Prozent aller Tonnenkilometer auf die Schiene bringt, ist der Anteil in diesen Ländern bei 15 Prozent. Konkrete Verlagerungsprojekte, vor allem Güterterminale und Anschlussgleise zu Produktionsstätten, wären also längst EU-weit angesagt. 

Aufgrund der fehlenden Kostenwahrheit ist der Straßenverkehr weiterhin viel zu billig. Grund dafür ist das Sozialdumping, das bei Lkw-Lenker:innen so stark verbreitet ist wie bei kaum einer anderen Branche. Würden Arbeitszeiten gerecht entlohnt und Sozialbestimmungen korrekt eingehalten, müssten laut AK-Studie grenzüberschreitende Lkw-Fahrten im Durchschnitt um mindestens 20 Prozent teurer sein. Kaum Beachtung findet auch der Umstand, dass Lkw nur auf Autobahnen mautpflichtig sind, obwohl sie natürlich auch auf Landes- und Gemeindestraßen fahren. Die Schweiz ist das einzige Land in Europa, das Maut für jeden Lkw-Straßenkilometer einhebt und wohl auch deshalb am meisten Güter auf der Schiene befördert, während auf Österreichs Nebenstraßen die Zahl der Lkw-Mautflüchtlinge immer größer wird.