Betrieb
Grüne Logistik-Innovation – Made in Liezen
Der Lkw mit Sattelauflieger ist im europäischen Straßengüterverkehr das Maß aller Dinge. Rund drei Viertel aller gefahrenen Tonnenkilometer entfallen auf diese Sattelaufhänger, sogenannte Trailer, die von einem Lkw gezogen werden. Dieser Transport ist aber nicht klimafreundlich und sollte idealerweise nur auf kurzen Strecken im Vor- und Nachlauf für den Schienenverkehr per Lkw erfolgen. Eine nennenswerte Verlagerung auf die Schiene blieb aber bis jetzt aus. Das Problem ist: Die meisten Sattelauflieger können schlicht nicht Bahn fahren. Rund 90 Prozent dieser Transporteinheiten sind nicht kranbar und können in Güterterminals nicht auf die Schiene gesetzt werden. Auch der Bau von ausreichenden Güterterminals scheiterte aus vielfältigen Gründen. Der große europäische Warenstrom blieb damit der Straße treu.
Verlagern ohne Kran und Terminal
Abhilfe für die Klimawende im Güterverkehr könnte nun der sogenannte Trailerwaggon schaffen, der künftig von der Maschinenfabrik Liezen und Gießerei (MFL) in Liezen im steirischen Ennstal hergestellt wird. Anstelle von teuren Güterterminals benötigt dieser innovative Waggon schlicht nur ein Anschlussgleis, wo er zur Seite hin auf eine ebene Auffahrfläche ausschwenkt. Dann schiebt ein Lkw den Sattelaufleger einfach auf den Waggon. Barrierefrei ist dabei das Schlüsselwort. In nur zwei Minuten Verladezeit kann kostengünstig auf jedem beliebigen Standort mit ebener Fläche und einem Anschlussgleis umgeladen werden.
Dieser Trailerwaggon, eine Innovation des Start-up-Unternehmens Helrom mit Sitz in Frankfurt, hat sich in der Praxis bewährt. Seit 2020 betreibt dieses Unternehmen einen Zug, der 42 Sattelauflieger vom Hafen Wien nach Düsseldorf befördert, wo sie dann auf einem alten Industriegelände abfahren. Schon jetzt ist dieser Zug ausgelastet. Bis zum Jahr 2025 soll diese Dienstleistung auf 50 Korridore in Europa ausdehnt werden, ein Ausrollen in Nordamerika und Australien ist ebenfalls in Planung. Attraktiv ist dieses Logistik-Angebot besonders für kleine Unternehmen, die keinen Zugang zu Umschlagterminals haben. Außerdem wird diese Variante des kombinierten Verkehrs mit dem Mangel an Berufskraftfahrer:innen zunehmend auch für Straßentransporteure interessant.
Grüne Güterlogistik mit Potenzial
Schon vor Jahren stellte die MFL die Weichen für den Einzug in die internationale Schienenverkehrstechnik. Im Jänner dieses Jahres hat das Unternehmen mit einem Großauftrag von Helrom die Fertigung von 40 Trailerwaggons nach Liezen holen können. Wird der Auftrag zufriedenstellend erfüllt, kann das Unternehmen mit Folgeaufträgen bis zum Jahr 2033 rechnen und zu einem Systempartner für eine universell einsetzbare Güterwagentechnologie werden. Dies bedeutet, dass der Maschinenbauer und Hersteller von Stahlgusseisen endgültig den Sprung zu einem mittelständischen Player in der internationalen Schienenfahrzeugindustrie geschafft hat.
Gegründet 1939 als „Schmiedhütte“ machte das Unternehmen eine wechselvolle Geschichte durch. Traurige Berühmtheit erlangte es durch den Noricum-Skandal mit illegal ausgeführten Artilleriegeschützen. Seit der Insolvenz im Jahr 1994 wurde aber das Unternehmen neu aufgestellt. Heute erwirtschaften rund 700 Beschäftigte in Liezen mehr als die Hälfte des Umsatzes mit der Fertigung von Schienenfahrzeugen.
Für die Mitarbeiter:innen selbst birgt die Konzentration des Unternehmens auf nachhaltige Produkte die Gewissheit, in einem modernen Unternehmen auf zukunftssicheren Arbeitsplätzen einer sinnstiftenden Tätigkeit nachzugehen. „Unser Anspruch ist es, die Nummer eins als Arbeitgeber in der Region zu sein“, streicht der Geschäftsführer Herbert Decker die Bedeutung des Betriebs für einen strukturschwachen Bezirk hervor. So wurde die Ausbildung von Fachpersonal auch in wirtschaftlich schlechten Zeiten immer hochgehalten. Der Großauftrag zieht aber auch einen Ausbau am Standort nach sich. An der Spitze des umfassenden Investitionsprogramms steht eine der größten Hightech-Schweißroboteranlagen Europas. Die Fertigungsanlage mit einer Gesamtlänge von 46 Metern ist für mehrere Schweißroboter ausgelegt. So können Werkstücke bis zu einer Länge von 28 Metern und einem Gewicht von bis zu 20 Tonnen verarbeitet werden. Wichtige Arbeitsplätze in Österreich bleiben damit langfristig abgesichert.
Klimafitter Güterverkehr aus Liezen
Der Standort Liezen könnte mit dieser revolutionären Güterwagen-Technologie am Beginn einer außergewöhnlichen Expansion stehen. Nur zur Orientierung: Ein Güterzug benötigt etwa 20 Prozent der Energie eines Lkw und verursacht lediglich 25 Prozent von dessen klimaschädlichen Emissionen. Diese Einsparung an Energie und Treibhausgasen wird dringend benötigt, denn dem Güterverkehr auf der Straße wird trotz Klimakrise noch immer ein ständig wachsender Anstieg prognostiziert. Darüber hinaus können mit den Güterwaggons aus Liezen auch Waren transportiert werden, die bisher auf der Bahn nicht befördert wurden. Dank am Waggon erzeugter Elektrizität kann die Kühlkette wie beim Lkw endlich auch auf der Schiene eingehalten werden. Lebensmittel können beispielsweise dadurch über längere Strecken mit gleicher Qualität, aber umweltfreundlich transportiert werden. Die Weichen für einen klimafreundlichen Güterverkehr könnten somit von der Belegschaft in Liezen im Ennstal neu gestellt werden.