Schwerpunkt

Demokratie

Der Umbau braucht Demokratie – Demokratie braucht den Umbau!

Allein in Österreich finden heuer sieben Wahlen statt, darunter die Nationalratswahl, die Europawahl und die Arbeiterkammer-Wahl. Ein Blick in die Geschichte zeigt, dass Demokratie und soziale Gerechtigkeit maßgeblich von der Arbeiter:innenbewegung erkämpft wurden. Im frühen 20. Jahrhundert wurde in Österreich auch eine breite gesellschaftliche Auseinandersetzung über Wirtschaftsdemokratie geführt. Folgerichtig war 1934 das Verbot der freien Gewerkschaften nach den Februaraufständen ein wichtiger Eckpfeiler der Diktatur. Heute ist die Demokratie mit der betrieblichen Mitbestimmung durch Betriebsräte und Personalvertretungen auch in den Betrieben institutionell verankert. 

Die aktuellen Krisen stellen auch die Demokratie vor Herausforderungen. Gesellschaftliche Ungleichheit, Zugangsbeschränkungen zu formeller Mitbestimmung und Machtverschiebungen von den Beschäftigten hin zu Unternehmen erschweren echte demokratische Teilhabe. Gerade die unteren Einkommensgruppen fühlen sich zunehmend von Entscheidungen ausgeschlossen. Dabei sollte eigentlich gelten: Was alle betrifft, sollte von allen entschieden werden. 

Die Demokratie ist in Gefahr

Dass die Demokratie gegenwärtig hinter diesen Anspruch zurückfällt, lässt sich besonders deutlich an der Klimakrise beobachten. Die Klimakrise wirkt sich am stärksten auf jene Menschen aus, die weder besonders zu ihrer Verursachung beigetragen haben, noch bei klimapolitischen Maßnahmen mitentscheiden können. Das trifft innerhalb von Österreich zu, aber besonders in einem globalen Maßstab. Laut Prognosen des Weltklimarats IPCC macht jedes Zehntel Grad Erderhitzung einen Unterschied darin, wieviel Fläche des Planeten unbewohnbar wird. Millionen Menschen werden in Folge der Klimakrise und den möglicherweise daraus resultierenden geopolitischen Konflikten vertrieben werden. 

Aktuell ist ein erstarkender Rechtsextremismus zu beobachten, der davon profitiert, dass Migration unaufhörlich als politisches Thema befeuert wird. Gerade erst deckten Investigativ-Journalist:innen von „Correctiv“ auf, wie ein einflussreiches, rechtsextremes Netzwerk die Säuberung Europas von Menschen nach völkisch-rassistischen Kriterien plant. Parteien, die diesem Spektrum angehören, gewinnen laut Umfragen an Zustimmung. Mit Hinblick auf die EU-Wahlen und Nationalratswahlen ist dies ein dringender Handlungsauftrag an fortschrittliche Akteur:innen.

Diese Entwicklungen betreffen auch die Klimapolitik, die zunehmend in rechte Erzählmuster einbezogen wird, wenn etwa der Verschwörungsmythos einer „grünen Elite“ als Feindbild konstruiert wird. Erschreckend ist auch die zunehmende Kriminalisierung von Klima-Aktivismus. Dabei ist ziviler Ungehorsam elementar für Demokratie und Fortschritt. Klimapolitik ist auf der politischen Bühne angekommen, dadurch ist sie aber auch politisch umstrittener geworden.

Warum braucht Klimapolitik Demokratie? 

Laut einer Befragung der Beratungsfirma Deloitte ist die Zustimmung für klimapolitische Maßnahmen rückläufig. Dass gerade auch die Klimapolitik einen Backlash erfährt, verdeutlicht eine wichtige Erkenntnis: Das Bewusstsein für die Klimakrise und die Dringlichkeit des Handelns ist da. Um die Unterstützung der Vielen für Klimapolitik zu sichern, müssen bessere Antworten auf ihre Fragen gefunden werden.

Hierbei ist es wichtig, das Problem korrekt zu benennen. Es fehlt nicht demokratische Unterstützung für Klimapolitik, sondern für die herrschende Klimapolitik: Für die Klimapolitik des moralischen Zeigefingers. Für die Preismechanismen, bei denen die Reichsten für ihre Umweltverschmutzung einfach bezahlen können. Für die Verbote, für die keine nachhaltigen Alternativen bereitgestellt werden. Für die Anreize für neue Geschäftsmodelle, ohne dabei an die Arbeitsplätze zu denken, die an die alten Modelle gebunden sind. 

Das unterstreichen die Ergebnisse einer Studie des Brüsseler Forschungsinstitutes Bruegel, die zeigen, dass die Ablehnung zu Klimamaßnahmen meist nicht ideologisch, sondern materiell ist. So unterstützen die Befragten durchgängig ambitioniertere EU-Klimamaßnahmen, wenn sie daraus keine Nachteile für ihr Einkommen zu erwarten haben. 

Warum ist das relevant? – Erstens besteht eine große Unsicherheit unter den Beschäftigten darüber, wie sich die Dekarbonisierung der Wirtschaft auswirken wird. Eine Studie der Hans-Böckler-Stiftung (siehe „Wissenschaft“) zeigt, dass die Mehrheit der Befragten ein hohes Bewusstsein für die Klimakrise und die Dringlichkeit des Handelns hat. Wie der Wandel aussehen wird, ist jedoch sehr unklar. Jedenfalls erwarten die Befragten eher nur einen ökologischen, nicht aber einen sozialen Wandel. Das ist gefährlich, denn Menschen, die in hohem Ausmaß unsicher über ihre materielle Lage und sozialen Perspektiven sind, neigen dazu, das Vertrauen in die Demokratie zu verlieren und wenden sich mitunter rechtsextremen Akteur:innen zu. 

Zweitens ist ein sozialer und ökologischer Umbau ohne Unterstützung der Lohnabhängigen nicht durchsetzbar. Es braucht gerade die Arbeiter:innenbewegung, um soziale und politische Rechte für die Vielen zu erkämpfen. In der Vergangenheit standen Arbeiter:innenbewegung und Klimabewegung jedoch oft nicht auf derselben Seite. Eine wichtige Erkenntnis liefert hier Timothy Mitchell, der argumentiert, dass die Arbeiter:innenbewegung gerade im Aufstieg fossiler Energien ihre demokratischen Rechte besonders stärken konnte. Kohle hatte, grob vereinfacht gesagt, jene Eigenschaften, die den Arbeitern und ihren Gewerkschaften besonders viel Verhandlungsmacht gab. Es wurden viele Männer zum Kohleabbau gebraucht, die in ihren Bergwerken schwer zu überwachen waren. Der Transport der Kohle war abhängig von Schieneninfrastruktur, die leicht zu bestreiken war. Daraus einstand ein mächtiges Mittel, um die Interessen der Arbeiter:innen durchzusetzen. Der globale Übergang zu Öl schwächte die Verhandlungsposition der Arbeiter:innen. 

Was schwächt die Demokratie?

Für viele Menschen, insbesondere jene mit geringen Einkommen, kann die Demokratie ihre zentralen Versprechen nicht mehr einlösen. Die Mehrheit im unteren Einkommensdrittel fühlt sich von der Politik wie Menschen zweiter Klasse behandelt und sieht sich im Parlament nicht vertreten. Nur mehr jede:r Vierte ist überzeugt, mit einer Wahlteilnahme etwas bewirken zu können. Politisches Engagement muss man sich zudem finanziell auch leisten können. Hinzu kommen viele Menschen, die aufgrund ihrer Staatsbürger:innenschaft gar nicht wählen dürfen (siehe Schwerpunktartikel "Zugang zum Wahlrecht").

Dass Ungleichheit eine Gefahr für die Demokratie ist, thematisiert die Arbeiterkammer seit Jahren. Forschungsergebnisse zeigen, dass auch in Demokratien politische Entscheidungen zugunsten der Wohlhabenden verzerrt werden. Die Anliegen von Menschen mit geringerem Einkommen haben eine viel geringere Chance, umgesetzt zu werden, als jene Wohlhabender. Die immense Vermögensungleichheit schadet somit auch der politischen Gleichheit. Wirtschaftliche Ressourcen können in politischen Einfluss umgewandelt werden: Über Parteispenden, Think Tanks oder Medien können Reiche, Industrielle und Wirtschaftsverbände die Klimapolitik und -berichterstattung beeinflussen.

Ein weiteres Problem für die Demokratie sind technokratische Strukturen, die vor allem auf EU-Ebene zunehmend eingerichtet werden. Gerade im Bereich der Klimapolitik wird – auch mit Verweis auf die Dringlichkeit – zu wenig auf politische Debatte und Aushandlung, insbesondere unter Einbeziehung der Gewerkschaften, gesetzt, während viel Macht bei nicht gewählten Expert:innen liegt. Beispielsweise konnte die Europäische Kommission ihre Kompetenzen im Rahmen der Rohstoffstrategie oder der Beschaffung von Energieträgern ausweiten. Außerdem können bereits mächtige Akteur:innen in der Gestaltung solcher politischer Maßnahmen Einfluss nehmen, um ihre Interessen durchzusetzen. Eine Studie in den USA hat gezeigt, dass das Lobbying-Verhältnis bei Klimamaßnahmen zwischen Unternehmen und Zivilgesellschaft 21 zu 1 beträgt. Die Interventionen rund um die Handelsabkommen TTIP und CETA sind ebenso gut dokumentiert, wie jene der fossilen Lobby bei der Wasserstoffstrategie. Umso wichtiger ist es, das Wahlrecht bei den Wahlen zum EU-Parlament zu nutzen.

Mitbestimmung in der Produktion

Wie bereits ausgeführt, sind es gerade auch Arbeitskämpfe, die Mitbestimmung und soziale Rechte für die Vielen sichern. Die Arbeiterkammer warnt davor, in der Klimapolitik mittels der Thematisierung individueller Konsumentscheidungen abzulenken. Zentrale Auseinandersetzungen über die Eindämmung der Klimakrise müssen im Bereich der Produktion geführt werden: Was und wie hergestellt wird, ist die wichtigste Frage. Daher ist die Mitbestimmung im Betrieb, dem Ort der Produktion, ein zentrales Feld der Auseinandersetzung. 

Bei Umstrukturierungen, die im Rahmen der Dekarbonisierung zahlreich stattfinden müssen, sind die Mitbestimmungsmöglichkeiten der Arbeitenden und ihrer Betriebsräte jedoch relativ schwach ausgeprägt. Nur wenige Paragrafen des Arbeitsverfassungsgesetzes sehen eine „Mitwirkung in wirtschaftlichen Angelegenheiten“ vor:  Informations- und Beratungsrechte sowie Stellungnahmemöglichkeiten bei Betriebsübergängen und Betriebsänderungen bis hin zur allfälligen Durchsetzung eines Sozialplans (§ 108, § 109); Aufsichtsratsmitbestimmung (§ 110); Einspruch gegen die Wirtschaftsführung in Form einer „Branchen-Schlichtung“ (§ 111); Einspruch bei der Staatlichen Wirtschaftskommission (§ 112). 

Eine gleichberechtigte Mitbestimmung fehlt gänzlich. Argumentiert wird dies meist mit Grundrechten zum Schutz der Eigentümer:innen. Gerade im Rahmen der grünen Modernisierung wird von Seiten der Unternehmensvertretung häufig der Standortwettbewerb vorgeschoben, um soziale Rechte zurückzudrängen. Beschäftigte werden dabei als bloße Objekte der Krisenlösungsstrategien gesehen. Dies trägt zum Vertrauensverlust in die Demokratie bei. So sind Beschäftigte in Unternehmen mit starken Mitbestimmungsrechten und gelebter Demokratie am Arbeitsplatz bei politischen Wahlen deutlich weniger empfänglich für rechtsnationale, demokratie- und europafeindliche Parteien. Wer einen engagierten Betriebsrat hat, steht dem politischen System insgesamt positiver gegenüber und beteiligt sich auch häufiger außerhalb der Arbeit. Um zu verhindern, dass eine ökologische Modernisierung zu einem Abbau von Beschäftigtenrechten, zu Sozialabbau, letztlich zu einer Gefährdung des sozialen Zusammenhalts und zu einem Rückgang von Zustimmung für die Klimapolitik führt, muss die betriebliche Mitbestimmung daher dringend ausgebaut und gestärkt werden. Demokratie darf nicht vor Werkstoren und Konzernen enden.

Demokratie braucht Repolitisierung

Das Recht auf Mitbestimmung allein reicht jedoch nicht aus. Es ist schließlich nicht gesagt, dass Menschen, sobald sie mitentscheiden können, automatisch die besten Entscheidungen für die Gesellschaft als Ganzes treffen. Zu tief sind kapitalistische Logiken in alle Lebens- und Arbeitsbereiche eingeschrieben. Wer es in Ordnung finden soll, acht Stunden oder mehr am Tag Befehle zu befolgen, kann schwer ein durchgängig demokratisches Denken und Handeln entwickeln. 

Studien verweisen auf die Bedeutung von positiven Demokratieerfahrungen im Alltag, beispielsweise im Betrieb. Damit demokratisches Denken und Handeln wieder aufleben kann, müssen Menschen konkrete Erfahrungen ihrer eigenen Wirkmächtigkeit in politischen Ausverhandlungen machen. Dazu braucht es auch ein gesellschaftliches Projekt, das die Vielen überzeugt und eine Orientierung für konkretes, politisches Handeln gibt. 

Ein umfassender sozialer und ökologischer Umbau kann dies leisten. Eine Säule dieses Umbaus ist echte Wirtschaftsdemokratie, auf europäischer, nationaler, regionaler und betrieblicher Ebene. Um die Klimakrise abzuwenden, braucht es Demokratie bei allen Entscheidungen, insbesondere darüber was und wie produziert wird. Dafür müssen letztlich auch die Institutionen der Arbeiter:innenbewegung demokratisch sein. Die Arbeiterkammer-Wahlen, bei denen die Beschäftigten ihr selbstverwaltetes Parlament wählen können, sind dahingehend eine zentrale Errungenschaft