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Problemstoff Plastik

Die ich rief, die Geister, werd ich nun nicht los!

Würden auf einen Schlag alle Kunststoffe in unserem Umfeld verschwinden, es sähe rundum ziemlich leer aus: Vom Computer blieben ein paar Drähte; vom Sperrholzmöbel ein Häuflein roher Holzspäne; von der Brille nichts als zwei kleine Metallscharniere, vom Surfboard, von der Gießkanne, von der Trinkflasche – nichts. Die ungeordneten Haufen Lebensmittel im Supermarkt wollen wir uns gar nicht vorstellen. Wir stünden auch im Dunkeln, denn fehlt die Isolation aus Kunststoff, lässt sich durch Kabel kein Strom leiten, lassen sich keine Elektromotoren bauen. Manche von uns stünden auch ziemlich nackt da. Dabei blickt Kunststoff als Massenprodukt nicht auf eine besonders lange Geschichte zurück. Mit den fortschreitenden Kenntnissen der Chemie im 19. Jahrhundert wurden viele Entdeckungen gemacht, die dem Kunststoff den Boden bereiteten. So stammt etwa Zelluloid aus jener Zeit, das aber wegen seiner Brandgefährlichkeit nur beschränkt alltagstauglich war. 

Plastik – Siegeszug seit den 1950er Jahren

Den ersten Kunststoff im engeren Sinn entwickelte der belgisch-amerikanische Chemiker Leo Baekeland 1907 und nannte ihn nach sich selbst Bakelit. Doch erst nach dem zweiten Weltkrieg trat Plastik den Siegeszug an, der es so allgegenwärtig machte, wie es heute ist.

So verschieden Kunststoffe heute sind, eines ist ihnen allen gemeinsam: Chemisch betrachtet, bestehen sie aus langen, kettenartigen Molekülen, sogenannten Polymeren. Diese entstehen durch Verkettung von kleinen Einzelmolekülen, den Monomeren. Die verwendeten Monomere bestimmen, um welchen Kunststoff es sich am Ende handelt. So entsteht aus dem gasförmigen Vinylchlorid durch Polymerisation in großtechnischen Anlagen PVC (Polyvinylchlorid) oder aus Styrol Styropor. In einigen Fällen braucht es zwei verschiedene Monomere in bestimmten Mischungsverhältnissen.

Fast immer fossilen Ursprungs

Die Monomere werden heute fast ausschließlich aus fossilen Rohstoffen, vor allem aus Erdgas und Erdöl hergestellt. Spitzenreiter ist dabei Ethylen (auch Ethen genannt), das nicht nur das Monomer für Polyethylen ist, sondern auch der Ausgangsstoff für eine 
Reihe anderer Kunststoffe. Neben diesen Bausteinen auf fossiler Basis können aber auch Monomere eingesetzt werden, die aus pflanzlichen Materialien gewonnen werden. Zum Beispiel können aus Milchsäure Polylactide (PLA) hergestellt werden, die zu Folien, Einwegbesteck oder Bechern verarbeitet werden. 

Damit Kunststoffe die erwünschten Eigenschaften haben, sind aber nicht nur die Polymere selbst, sondern auch eine große Zahl an Zusatzstoffen nötig. Die wichtigsten sind die Weichmacher. Wie der Name sagt, führt ihr Zusatz dazu, dass Kunststoffe weicher werden. Während beispielsweise PVC ohne Weichmacher zu Kanalrohren oder Fensterrahmen verarbeitet werden kann (Hart-PVC), muss ihm Weichmacher zugesetzt werden, wenn es als Kabelummantelung oder als Fußbodenbelag verwendet werden soll. 

Daneben kommen Füllstoffe, Farbstoffe und Stabilisatoren gegen Hitze und Oxidation zum Einsatz. Weiters werden Flammschutzmittel eingesetzt, um zu verhindern, dass Kunststoffe zu brennen beginnen, wenn sie zu heiß werden.

Mit den wachsenden chemisch-technologischen Kenntnissen kam es zu einer Reihe von Erfindungen und Entdeckungen, mit denen sich die Zahl und die Anwendungsgebiete von Kunststoffen vervielfachten. Als Verpackungen in Form von Folien, Bechern, Flaschen etc. sind sie allgegenwärtig. Als Laminat als Bindemittel in Spanplatten oder einfach als Schalensitze sind sie aus Möbeln nicht mehr wegzudenken, als Schaumstoffe nicht aus Matratzen. Sie sind die Hauptbestandteile von Klebern, Lacken und Montageschäumen. Als Rohre, Fensterrahmen und Dämmplatten sind sie langlebige Teile von Gebäuden, als Isoliermaterial Teil jedes elektrischen Systems. Als Formteile kommen sie in praktisch allen Geräten vor, die wir verwenden. Aus Kunstfasern werden Bekleidung, Möbelstoffe und vielfältigste technische Gewebe gefertigt.

Exponentielles Mengenwachstum

Damit stieg auch die produzierte und verwendete Menge an Kunststoffen rasant an. 2015 waren es weltweit 380 Millionen Tonnen, doppelt so viel wie 17 Jahre zuvor. Diese Zahl ist schwer vorstellbar; anschaulicher wird die Menge, wenn wir uns das pro Person vorstellen: Auf jeden auf der Welt lebenden Menschen kommen knapp 50 kg Plastik, die pro Jahr erzeugt werden. 

Den größten Anteil daran haben Verpackungsstoffe, die mehr als ein Drittel ausmachen. Grob ein Sechstel kommt jeweils in langlebigen Konsumprodukten (einschließlich Fahrzeugen), in der Bauwirtschaft und in Textilien zum Einsatz. Der Rest entfällt auf andere Anwendungsbereiche.

Als Abfälle werden Kunststoffe entweder recycliert, energetisch verwertet, deponiert oder sie gelangen ungeordnet in die Umwelt. Je spezialisierter die Anwendungen sind, desto mehr Zusatzstoffe enthalten Kunststoffe und desto schwieriger wird die stoffliche Verwertung. Mit ihr ist stets ein Qualitätsverlust verbunden, so dass im Allgemeinen Recycling nur einen kleinen Teil der Kunststoffnachfrage decken kann. 

Soweit die eher nüchternen, technischen Fakten. Doch an Plastik entzünden sich viele Debatten: von der Wegwerfgesellschaft über die Kreislaufwirtschaft bis hin zu ästhetischen Fragen. Die meisten Kunststoffsorten werden in der Natur nur äußerst langsam abgebaut. In den Meeren schwimmen mittlerweile hunderte Millionen Tonnen Plastikabfälle und stellen eine Gefahr für viele Tiere dar. Einige der gängigsten Weichmacher aus der Gruppe der Phthalate haben sich als fortpflanzungsschädigend herausgestellt. Manche Füllstoffe sind krebserzeugend. 

Aber ein Ausstieg aus den Kunststoffen ist kaum zu bewerkstelligen, so vollständig haben sie mittlerweile alle Lebensbereiche durchdrungen. Also wird versucht, besorgniserregende Stoffe durch weniger problematische zu ersetzen. Die fortpflanzungsschädlichen Weichmacher dürfen in der EU nur mehr verwendet werden, wenn der Einsatzzweck von der Europäischen Chemikalienagentur zugelassen ist – eine Hürde, die in der Praxis einem Verbot gleichkommt. Ähnliches gilt für das Flammschutzmittel HBCDD (Hexabromcyclododecan). Auch Mikroplastik ist mittlerweile in das Visier des Gesundheitsschutzes geraten (siehe S. 14 ff). Die Beispiele lassen sich fortsetzen. Bei all diesen Bemühungen ist der Gesundheitsschutz die primäre Motivation. 

Alles wird zu Abfall

Der zweite große Problemkreis sind die gigantischen Abfallströme, die die zunehmende Nutzung von Kunststoffen verursacht. Abgesehen von Lebensmitteln wird alles, was wir konsumieren, zu Abfall – so auch alle Kunststoffe. Freilich dauert es ab der ersten Verwendung unterschiedlich lang. Bei Haushaltsgeräten und Autos braucht es länger, bei Textilien schon recht kurz, und Verpackungsmaterialien werden praktisch in dem Moment zu Müll, in dem wir sie kaufen.

Aus Sicht der Europäischen Kommission kann der Abfallentstehung entgegengewirkt werden, wenn Kreisläufe geschlossen werden, wenn also aus den Abfällen wieder Ausgangsmaterial für Kunststoffe hergestellt wird. Damit ist Recycling der wichtigste Teil der Strategie, die die Kommission zum Ziel der Verminderung der Menge an Kunststoffabfällen veröffentlicht hat (COM(2018) 28). Sie beruht auf der Vorstellung, dass Kunststoff, statt deponiert oder verbrannt zu werden, wieder zu neuwertigem Kunststoff gemacht wird. Dadurch würde sowohl die Entnahme von Rohstoffen aus der Natur als auch die Abgabe von Abfall in die Natur unterbunden. (Der Beitrag ab S. 18 setzt sich genauer mit Möglichkeiten und Grenzen der Kreislaufwirtschaft auseinander.)

Illegale Praktiken, vor allem bei Exporten

Recycling ist das Zauberwort. Doch nicht überall, wo Recycling draufsteht, ist auch Recycling drin. Denn oft ist es einfacher, die Plastikabfälle illegal zu verbrennen oder zu deponieren. Besonders bei Exporten in Entwicklungsländer ist dies der Fall. Wegen der immer größeren Umweltprobleme, die der illegale internationale Handel mit Plastikabfällen verursacht, schob China dem 2018 einen Riegel vor und verbot jeglichen Import von Plastikabfällen, auch zum angeblichen Recycling. Damit entstand auch Druck auf die Industriestaaten, aus denen der Plastikmüll stammt. Im Mai 2019 wurden daher die internationalen Regeln über die Zulässigkeit der Exporte von Plastikmüll (im Rahmen der sogenannten Basel-Konvention) deutlich verschärft.

Die Kommission hat nun die Recycling-Ziele, die die Mitgliedstaaten erreichen müssen, angehoben. Daneben verwendet sie aber auch andere politische Instrumente, um die Plastikflut in den Griff zu bekommen, etwa ein Verbot einzelner Kunststoff-Einwegprodukte oder eine Steuer auf nicht recyclierten Plastikmüll. Es geht darum, die zunehmenden Umweltschäden durch die immer weitere Verwendung von Kunststoffen einzudämmen. Ob diese Instrumente ausreichen, bleibt abzuwarten.