Kontroverse: Hat der Staat die Mittel für die COVID-Krisenpolitik?
Pro: Sternstunde für Sozialstaat, doch Regierung verschläft Kampf gegen Massenarbeitslosigkeit.
Mit umfassenden staatlichen Wirtschaftshilfen werden in der COVID-19-Krise Unternehmen gerettet, Arbeitslosigkeit verhindert und in die Zukunft investiert. Die Maßnahmen in Österreich (bis zu 60 Mrd. €) und das European Recovery Program (750 Mrd. €) zeigen auch eine Wende der Wirtschaftspolitik zu mehr Interventionismus. Nicht zuletzt erlebt der österreichische Sozialstaat mit seinem funktionierenden Gesundheitssystem, der Arbeitslosenversicherung und den automatischen Stabilisatoren eine neue Sternstunde.
Großzügige Abgabenstundungen, Corona-Hilfsfonds, Härtefallfonds und branchenspezifische Maßnahmen stabilisieren Unternehmen und sichern die Basis für die wirtschaftliche Erholung. Das ist wichtig, doch allzu oft fließen die Gelder spät, unnötig bürokratisch und intransparent.
Leider verschläft die Bundesregierung den Kampf gegen die Massenarbeitslosigkeit, eine Ausnahme bildet das erfolgreiche Sozialpartner-Modell der Kurzarbeit. Erst im Herbst, nach mehr als einem halben Jahr Massenarbeitslosigkeit sollen mehr Ausbildungsplätze und eine Arbeitsstiftung kommen. Zu spät, um Langzeitarbeitslosigkeit und Armut zu verhindern.
Österreich ist wirtschaftlich stark genug, um die Kosten der Krise zu stemmen, die Negativzinsen auf Staatsanleihen erleichtern die Finanzierung. Das Hauptproblem bleibt die Konzentration der Krisenlast auf Arbeitslose, kleine Selbständige sowie Kinder und Jugendliche mit bildungsfernem Hintergrund. Eine progressive Abgabe auf hohe Vermögen, Erbschaften und Einkommen kann den notwendigen Ausgleich der Lastenverteilung schaffen und die dringenden sozialen Investitionen ermöglichen.
Con: Es braucht Ausgabendisziplin statt Steuererhöhungen oder Transferkürzungen.
Zur Eindämmung der aus der COVID-19-Pandemie resultierenden Schäden hat die österreichische Politik im Austausch mit Sozialpartnern und Interessenvertretungen vorbildlich rasch, großvolumig und flächendeckend reagiert. Im Gegensatz zur europäischen Ebene, deren anfänglicher Reaktion keines dieser Attribute gebührte. Niemand vermochte zu verhindern, dass außer dem freien Kapitalverkehr alle Grundfreiheiten des Binnenmarktes gestört wurden. Post-COVID steht Europa am Scheideweg: entweder mehr politische Integration mit einer Übertragung weiterer Souveränitätsrechte an Brüssel oder eine Rückentwicklung zu einer besseren Freihandelszone. Der Status quo ist nicht krisenfest.
Anders als bei der Finanzmarktkrise im Gefolge der Lehman-Insolvenz, die das Risiko einer Kernschmelze des Weltfinanzsystems heraufbeschwor, droht jetzt nicht der Verlust des jahrzehntelangen Aufbaus von Wohlstand und sozialer Sicherheit. Zentrale Herausforderung post-COVID ist die Verfestigung von Arbeitslosigkeit. Die Pandemie ist der Lackmustest, ob es gelingt, wirkmächtige und nach Bundesländern und Branchen differenzierende Bildungsinitiativen zu setzen, die das Paradoxon eines Nebeneinanders von Arbeitslosigkeit und Fachkräftemangel auflösen. Es geht um nicht weniger als die breite Teilhabe am zukünftigen Wohlstandszuwachs.
Zu deren Finanzierung sind in einem Hochsteuerland wie Österreich weder Steuererhöhungen noch Kürzungen bei Sozialtransfers, sondern verringerte Ausgabenzuwächse nötig. Ein Nulldefizit ab 2023 würde die COVID-19-bedingte Zunahme der Staatsverschuldung bis 2030 gänzlich ausgleichen.