Schwerpunkt
Neustart mit Chancen
Die Welt mit Corona – Voraussetzungen für nachhaltige Erholung
Die Corona-Pandemie hat die Welt in ihren Grundfesten erschüttert. Politische Maßnahmen, die noch vor wenigen Monaten undenkbar gewesen wären, gehören nun weltweit zum Spektrum des Möglichen. Eine derart umfassende Beschränkung bürgerlicher Freiheitsrechte ist in der Geschichte gefestigter Demokratien wohl einzigartig. Zumindest in Europa haben die Bevölkerungen die Entscheidungen ihrer Regierungen aber mit Fassung, größtenteils mit Zustimmung mitgetragen. Die Gesundheitskrise konnte damit fürs Erste bewältigt, weitgehend sogar abgewendet werden. Jetzt geht es um den Wiederaufbau einer darniederliegenden Wirtschaft.
Noch nie war die Arbeitslosigkeit in der zweiten Republik so groß wie im Frühjahr 2020. Im Vergleich mit dem Vorjahresmonat stieg die Zahl der Betroffenen im April 2020 um 58 Prozent auf weit mehr als eine halbe Million (inkl. Teilnehmer*innen an Schulungen). Bis Ende Mai 2020 wurden zusätzlich knapp 1,4 Millionen Beschäftigte in Kurzarbeit geschickt. Der rasante Anstieg der Arbeitslosigkeit ist auch auf die Größe der Tourismus- und Freizeitwirtschaft in Österreich zurückzuführen. Ihr Beitrag zur nationalen Wirtschaftsleistung ist mit mehr als 15 Prozent überdurchschnittlich groß. Mit den Grenzschließungen und dem Lockdown kam diese Branche de facto zum Erliegen.
Im Unterschied zu sonstigen Wirtschaftskrisen ging die aktuelle von einer behördlich verfügten Einschränkung des Angebots und der Nachfrage aus. Mit den Folgewirkungen – Einkommens- und Umsatzausfälle, Entwertung von Lagerbeständen, Insolvenzen, unsichere Erwartungen etc. – wird sich die nachfrageseitige Lücke jedoch auch nach dem Ende des Lockdowns nur langsam wieder schließen. Damit besteht die Gefahr einer Verfestigung wirtschaftlicher und sozialer Probleme. Nur durch eine entschlossene und sozial ausgewogene Krisenbekämpfung auf nationaler, europäischer und internationaler Ebene lassen sich diese Probleme in den Griff bekommen.
Die österreichische Bundesregierung hat sich bereits zu Beginn der Gesundheitskrise klar positioniert. Die sozialen und ökonomischen Folgen des Lockdowns sollten gemindert werden, „koste es, was es wolle“. In diesem Sinne wurde rasch ein umfangreiches Hilfspaket verabschiedet – mit einer neuen Kurzarbeitsregelung, Steuerstundungen, Liquiditätsgarantien und -zuschüssen für den Unternehmenssektor sowie einem Härtefallfonds für Kleinstunternehmen. Diese Maßnahmen wurden mehrmals nachgebessert und ergänzt, unter anderem durch einen Überbrückungsfinanzierungs-Fonds für selbstständige Künstler*innen.
Von der kurzen zur langen Frist
Die Frage ist nun, wie die Soforthilfemaßnahmen in eine sinnvolle Langfriststrategie überführt werden können. Seitens des AMS wurden früh Befürchtungen laut, dass es zu einem Anstieg der sogenannten Sockelarbeitslosigkeit – also jenes Anteils, der auch im Aufschwung nicht abgebaut wird – kommen könnte. Hier muss schnell durch ein umfangreiches Beschäftigungs- und Investitionspaket gegengesteuert werden. Gleichzeitig braucht es gezielte Maßnahmen zur Bekämpfung von Armut und Armutsgefährdung. Die von gewerkschaftlicher Seite geforderte Erhöhung des Arbeitslosengeldes wurde beispielsweise bisher nicht umgesetzt. Ein Augenmerk ist auch auf die Stabilität des Euroraums zu legen. Das geht nur mit europäischer Solidarität.
Umso mehr erfordert aber die Bekämpfung der sozialen Verwerfungen der Krise eine solidarische Finanzierung. Trotz des enormen Anstiegs der österreichischen Arbeitslosenquote war diese auch im März 2020 im europäischen Vergleich weiterhin unterdurchschnittlich. Laut Prognosen der Europäischen Kommission vom Mai 2020 und der OeNB vom Juni 2020 wird der Wirtschaftseinbruch in Österreich im Jahr 2020 insgesamt moderater ausfallen als im Durchschnitt des Euroraums. Die vergleichsweise hohe Stabilität der österreichischen Volkswirtschaft ist – wie auch das Gesundheitssystem zeigt – nicht zuletzt dem gut ausgebauten Sozialstaat zu verdanken.
In der akuten Gesundheitskrise hat sich der österreichische Sozialstaat einmal mehr bewährt. Er garantiert sozialen Zusammenhalt, einen allgemeinen Zugang zu guter Gesundheitsversorgung und selbst im Lockdown die Aufrechterhaltung der Versorgung mit öffentlichen Verkehrsmitteln.
Bewährt hat sich auch die Handlungsfähigkeit der österreichischen Sozialpartnerschaft, ihr Wert hat sich manchen Politiker*innen wohl erst in der Krise vollumfänglich erschlossen (Stichwort Corona-Kurzarbeit). Die Leistungen der sozialen Sicherungssysteme und die öffentliche Daseinsvorsorge müssen nun auch während und nach der Corona-Krise gesichert und weiter verbessert werden.
Orientierung für die Wirtschaftspolitik nach Corona geben die Dimensionen einer neuen Wohlstandsorientierung, wie sie nicht nur im Wohlstandsbericht der AK, sondern insbesondere in den Zielen für nachhaltige Entwicklung im Rahmen der UN-Agenda 2030 dargelegt werden.
Bereits vor Ausbruch der Pandemie wurden sie auch systematischer in die wirtschaftspolitischen Empfehlungen im Zuge des sogenannten Europäischen Semesters der Europäischen Kommission integriert. Sie verdeutlichen die Bedeutung, die eine intakte Umwelt, ein geringes Maß an Ungleichheit sowie Gesundheit und Gleichberechtigung für den Wohlstand einer Gesellschaft haben.
In den Wochen des Lockdowns wurde oft davor gewarnt, dass dessen positive Wirkungen auf den Ausstoß von Treibhausgasen und die Luftqualität nur von kurzer Dauer sein könnten, und sich mit den Programmen für eine wirtschaftliche Erholung womöglich in ihr Gegenteil verkehren. Diese Erfahrung machte man bereits nach der großen Finanz- und Wirtschaftskrise 2008/2009, in deren Nachklang die Konjunktur – der Kritik von Vertreter*innen der ökologischen Ökonomie zum Trotz – um beinahe jeden Preis wieder angekurbelt werden sollte. Angesichts der politischen Entwicklungen im Jahr 2019 (Fridays for Future, Europäischer Green Deal, etc.) besteht aber Hoffnung, dass es dieses Mal anders laufen könnte.
Erste Signale für nachhaltige Politik
Erste Signale in diese Richtung zeichnen sich bereits ab. So haben die französische und die österreichische Regierung die Pakete zur Rekapitalisierung der Luftfahrtunternehmen mit einigen Klimaschutzklauseln verbunden. In Österreich hat sich darüber hinaus die Gewerkschaft massiv gegen Dumpinglöhne in der Luftfahrt zur Wehr gesetzt und damit die Verschärfung unfairer Wettbewerbsbedingungen auf Kosten von Arbeit und Klima gebremst. Auch das deutsche Konjunkturprogramm hat eine klimapolitische Note. Gleichzeitig wird in vielen Städten mit einer neuen Verteilung des öffentlichen Raums experimentiert, um den Platz für Fuß- und Radverkehr auszuweiten.
Welche Lehren wird die Corona-Krise also rückblickend für nachhaltige Entwicklung bereitgehalten haben? Zunächst hat sie gezeigt, dass entschlossenes politisches Handeln möglich ist. Die Bevölkerung trägt selbst drastische Maßnahmen mit, wenn deren Notwendigkeit plausibel erklärt werden kann. Zunehmend entsteht der Eindruck, dass das für klimapolitische Weichenstellungen ebenso gilt. Die Pandemie verdeutlicht aber auch, dass jede Krise soziale Ungleichheiten offenlegt und womöglich verschärft. Wer weniger Einkommen und kein Vermögen hat, bzw. in prekären Umständen lebt, kann sich schlechter vor den Folgen einer Pandemie oder des Klimawandels zu schützen.
Um in der wirtschaftlichen Erholungsphase Gesundheit, sozialen Zusammenhalt und Klimaschutz gleichzeitig zu fördern, wird es daher neben den Systemen der sozialen Sicherung auch gezielte Investitionen brauchen, finanziert durch ein gerechtes Steuersystem und ergänzt um durchdachte Ge- und Verbote. Nicht nur die AK hat dafür bereits ein Forderungspapier vorgelegt (siehe Kasten unten). Auch die Initiative UMWELT + BAUEN (Gewerkschaft Bau-Holz, Bundesinnung Bau, GLOBAL 2000 u.a.) hat den sogenannten „UMWELT+BAUEN-Marshall-Plan” erarbeitet, mit dem die Corona-Krise klimaschonend und beschäftigungswirksam überwunden werden soll.
Und in der europäischen Politik birgt die Corona-Krise womöglich tatsächliche Chancen, die die Union eine neue Stufe der Solidarität erklimmen lassen. Erste positive Signale kamen nicht nur von der EZB. Auch die Kommission reagierte mit der vorübergehenden Außerkraftsetzung der europäischen Schulden- und Defizitregeln und einem ersten EU-Maßnahmenpaket im Ausmaß von mehr als 500 Milliarden Euro, das bereits im April 2020 verabschiedet wurde, schnell. Per Stand Ende Mai 2020 soll dieses zur vorübergehenden Verstärkung des avisierten europäischen Aufbauplans um 750 Mrd. Euro aufgestockt werden. Zu diesem Zweck würden erstmals für den EU-Haushalt Mittel auf den Finanzmärkten aufgenommen. Die Schlagkraft der europäischen Ebene wäre damit deutlich gestärkt.