Leben

Krisensichere Mobilität mit dem Fahrrad

Radfahrer*innen und Zu-Fuß-Gehenden wird verhältnismäßig wenig Platz auf den Wiener Verkehrsflächen eingeräumt. Fast zwei Drittel der Straßenflächen in Wien gehören dem Auto, ein Teil davon entfällt auf den fließenden, motorisierten Verkehr und ein Teil auf die Parkflächen. Dem gegenüber fällt der Anteil der Wege, die mit dem Auto zurückgelegt werden, wesentlich geringer aus. 

Großes Potenzial für das Fahrrad

Nur ein Viertel der in Wien lebenden Menschen nutzen das Auto für ihre Wege, der Rest ist mit den öffentlichen Verkehrsmitteln, dem Fahrrad, oder zu Fuß unterwegs – und trotzdem steht dem Umweltverbund weniger Raum als dem Autoverkehr zur Verfügung. Während der Anteil der Fußgänger*innen in den letzten Jahren anstieg, bleibt der Anteil der Radfahrer*innen am Verkehrsaufkommen in Wien seit Jahren konstant bei sieben Prozent, und das obwohl das Fahrrad gerade in Wien für Arbeitswege mit geringeren Distanzen großes Potenzial hätte. 68 Prozent der Arbeitswege sind unter zehn Kilometer, 37 Prozent sind sogar unter fünf Kilometer.

Dieses Potenzial soll nicht ungenutzt bleiben: Das Fahrrad birgt viele Vorteile. Es fallen keine klimaschädlichen Emissionen an, es ist ein sehr raumsparendes Verkehrsmittel und als bewegungsaktive Mobilitätsform stärkt es zusätzlich die Gesundheit. In der COVID-19-Krise entdeckten viele Menschen einen weiteren Vorteil des Fahrrads – das so wichtige Abstand-Halten („Physical Distancing“) ist bei der Fahrrad-Nutzung wesentlich besser möglich, als in U-Bahnen, Straßenbahnen oder Bussen.

Zahl der Radfahrer*innen gestiegen

So entpuppt sich das Fahrrad als ideale Alternative und immer mehr Menschen bewältigen ihren Arbeitsweg mit diesem krisensicheren Verkehrsmittel. Dass in der frischen Luft die Ansteckungsgefahr geringer ist, stellt eine weitere positive Begleiterscheinung dar.

Die Auswertungen der Wiener Fahrradzählstellen zeigen einen steigenden Trend. Die Zahl der Radfahrer*innen im April ist gegenüber dem Vorjahr um ein Fünftel gestiegen.

Den Hauptanteil machen dabei die Freizeitradler*innen aus. Die fast ruhig wirkenden Straßen boten auch für Ungeübte eine gute Gelegenheit mit dem Fahrradfahren zu beginnen. Für manche vielleicht der erste Schritt öfter über eine Alternative zum Auto nachzudenken. 

Aber nicht nur in Wien, sondern auch in anderen Städten zeichnen sich ähnliche Entwicklungen ab.  Menschen steigen für ihre täglichen Wege in Beruf und Freizeit häufiger aufs Rad um. Damit stoßen aber die verfügbaren Radverkehrsflächen schnell an ihre Grenzen – Radwege und Wartebereiche vor Kreuzungen sind knapp, das Abstand halten wird schwierig.

Pop-Up-Radwege

Viele Städte reagieren darauf und setzen Maßnahmen für den Radverkehr. Bogota und Berlin machen es als erste vor und installieren sogenannte Pop-Up-Radwege. Dafür wird auf einem Straßenabschnitt ein Fahrstreifen für Autos gesperrt und für den Radverkehr geöffnet. Um diesen Abschnitt sicher vom Autoverkehr zu trennen, werden Verkehrsbaken oder Betonleitpflöcke verwendet. Die kolumbianische Hauptstadt hat in kurzer Zeit über 
100 Kilometer solcher temporären Radverkehrsanlagen entlang großen Hauptverkehrsstraßen errichtet. In Berlin wurden bis Ende April knapp zehn Kilometer Autospuren in breite Fahrradwege umgewandelt und es sollen noch mehr werden. Budapest, Paris, London – viele Städte erkennen in der Krise den Wert des Fahrrads, vor allem wenn es darum geht zusätzliche Autos in der Stadt zu vermeiden und den öffentlichen Verkehr zu entlasten.

Jetzt ist es entscheidend, wie es nach der Krise weitergeht. In der Zeit zwischen März und April ist der Autoverkehr stark zurückgegangen. Es ist ruhig geworden auf den wenig ausgelasteten Straßen Wiens. Durch diesen krisenbedingten Auto-Rückgang und gleichzeitigen Anstieg der Fußgänger*innen und Radfahrer*innen wird die anfangs angesprochene ungleiche Verteilung des Stadtraums spürbar. Die fast leeren Straßen lassen noch deutlicher erkennen, wie viel Platz den Autos und wie wenig den Fußgänger*innen und Radfahrer*innen zur Verfügung steht.

Die für dieses Problem neu geschaffenen temporären Begegnungszonen und Radverkehrsanlagen kündigen eine Stadt an, in der Straßen nicht nur mit dem Autoverkehr verbunden werden, sondern in der die Straßen auch als lebenswerte Orte der Begegnung und Interaktion wahrgenommen werden können. Schlagzeilen wie „Prägt die Pandemie unser zukünftiges Verkehrsverhalten?“, „Hauptstädte überarbeiten Verkehrskonzepte“ oder ‘Gebt die Straßen frei!“ zeigen die Gegenwärtigkeit und Wichtigkeit einer Neuordnung der Mobilität in der Stadt. 
Jetzt ist es entscheidend, das erhöhte Bewusstsein als Gelegenheit für eine dauerhafte Veränderung zu nutzen und den Stadtraum für alle Verkehrsteilnehmer*innen fair zu gestalten. Es ist zu hoffen, dass der Vorschlag für eine autofreie Innenstadt in Wien nicht bloß ein Wahlkampfslogan bleibt.