Schwerpunkt

Luftreinhaltung

Lebensmittel Atemluft

Schon die Ärzte im ausgehenden Mittelalter beobachteten die bösen Folgen von Schadstoffen in der Luft an bestimmten Arbeitsplätzen, vor allem in Bergwerken und anderen schlecht belüfteten Bereichen. In der Renaissance verfasste Georgius Agricola seine Arbeit über den Bergbau, in welcher er auch die Gesundheitsgefahren beschrieb, und Paracelsus leitete seine Erkenntnis von der Bedeutung der Dosis für die Schädlichkeit von Beobachtungen an Quecksilber-Dämpfen ab. Noch bis zum heutigen Tag gewinnen wir viele Erkenntnisse zu Atemgiften aus Beobachtungen an belasteten Arbeitsplätzen, zum Beispiel bei Quarz- oder Asbeststaub. Obwohl die Arbeitsplatzgrenzwerte inzwischen niedriger sind und auch streng kontrolliert werden, findet man bei ArbeitnehmerInnen an belasteten Arbeitsplätzen doch eine deutliche Abnahme der Lungenfunktion im Vergleich zum natürlichen Alterungsprozess.

Erst relativ spät erkannten Ärzte, dass auch die „normale“ Luft in Städten und industriellen Ballungsräumen ungesund sein kann. Die großen Smogkatastrophen in der Mitte des 20. Jahrhunderts, allen voran die Smogepisode von London im Jahr 1952, lehrten uns, dass die ungünstige Kombination starker Russproduktion aus Industrie, Verkehr und Hausbrand einerseits und eine austauscharme Wetterlage andererseits zu massiven Beeinträchtigungen der Luftqualität und zu einer deutlichen und lang anhaltenden Zunahme der Sterbefälle und Krankenhausaufnahmen führt. Bald darauf setzten sehr intensive Maßnahmen zur Luftreinhaltung ein, die in den Industrieländern auch erfolgreich waren. 

Gesundheitsschäden

Diese Schäden werden durch verschiedene Mechanismen ausgelöst, die unter anderem auch von der chemischen Zusammensetzung der Staubteilchen abhängen. Die allgemeine Wirkung aller Staubarten besteht darin, dass Staubteilchen in der Größe bis zu wenigen Mikrometer Durchmesser von den Abwehrzellen des menschlichen Immunsystems als „Eindringlinge“ aufgefasst und entsprechend bekämpft werden. Diese immunologische Reaktion führt primär zur Entzündung in den Atemwegen, sekundär aber auch in den Wänden der Blutgefäße und in den inneren Organen. Diese Entzündungsreaktion ist nicht von der chemischen Zusammensetzung und auch nur in geringem Maße von der Größe und von der Form der Teilchen abhängig. Besonders kleine Teilchen mit unter zehn Nanometer (10 nm) Durchmesser entgehen wahrscheinlich dieser Immunreaktion und größere Teilchen mit über zehn Mikrometer (10 µm; 100 µm = 1/10 mm = ca. 1 Haaresbreite) Durchmesser bleiben zum überwiegenden Teil bereits in Mund und Nase hängen und werden daher nicht eingeatmet. Eventuell sind wasserlösliche Staubteilchen weniger gefährlich, weil sie sich bei Kontakt mit den Schleimhäuten auflösen und dadurch ihren Teilchencharakter verlieren und so das Immunsystem nicht stimulieren. Andererseits kommen auch diese Körner nicht isoliert in reiner Luft vor. So können sie als Kondensationskeime für größere Teilchen dienen, an die sich teilweise giftige schwerer flüchtige organische Substanzen anlagern, die mit dem löslichen Kern in die tieferen Atemwege transportiert werden und das Staubkorn vor der raschen Auflösung schützen.

Langzeitwirkung

Viel bedeutender als chemische Zusammensetzung, Größe und Form ist daher die Gesamtzahl der Teilchen, da jedes Teilchen jeweils eine Abwehrzelle aktivieren kann. Die Reaktion einer einzelnen Entzündungszelle wird in aller Regel noch keinen bleibenden Schaden am Gewebe setzen. Eine Schwelle, ab der eine Entzündung zu einer bleibenden Narbe im Gewebe führt, die sich dann zum Beispiel zu einer Verdickung in der Gefäßwand und in der Folge zur Arterienverkalkung weiter entwickelt, ist individuell sehr unterschiedlich. Wie überall spielen zusätzliche Belastungen und vor allem genetische Faktoren eine wichtige Rolle. Jedenfalls treten schon bei heutzutage üblichen Staubbelastungen und nicht erst bei Überschreitung der gesetzlichen Grenzwerte bei vielen Menschen solche langfristige Schäden hinterlassende Entzündungsvorgänge auf.

Von kurzfristigen Belastungsspitzen sind daher besonders Personen mit Vorerkrankungen betroffen, für die bereits eine geringe Verschlechterung gefährlich ist: Patienten mit chronischen Lungenerkrankungen oder mit schweren Gefäßverkalkungen wie z.B. Durchblutungsstörungen am Herzen können selbst im Zuge einer kurzen Schadstoffepisode sterben. Gegenüber längerer Belastung sind vor allem kleine Kinder empfänglich. Zudem haben in jungen Jahren gesetzte Schäden oft lang dauernde Folgen.

Neben diesem allgemeinen Wirkmechanismus der Staubteilchen existieren noch andere, die je nach Größe und chemischer Zusammensetzung unterschiedlich sind: Ganz kleine Teilchen, etwa 10 bis 100 nm, sogenannte Nanoteilchen bzw. Ultrafeinstaub, können biologische Barrieren überwinden und gelangen daher aus der Atemluft in den Lungenbläschen direkt in den Blutstrom und von dort in alle Organe. Wegen ihrer geringen Größe können sie unmittelbar chemische Reaktionen mit wichtigen Strukturproteinen eingehen. Fehlerhaft gefaltete Proteinmoleküle sind ein „Markenzeichen“ verschiedener degenerativer Erkrankungen (z.B. Morbus Alzheimer). Welche Rolle Ultrafeinstaub bei der Zunahme dieser degenerativen Erkrankungen spielt, ist Gegenstand intensiver Forschung.

Ultrafeinstaub

Manche chemische Bestandteile des Feinstaubes wie zum Beispiel Teerprodukte schädigen das Genmaterial im Zellkern und verursachen dadurch Krebs. Sie finden sich in vielen Stäuben, die aus Verbrennungsvorgängen hervorgegangen sind (Ruß). Metalle im Staub beeinflussen das Redoxgleichgewicht im Gewebe und können daher zur Oxidation wichtiger Fettstoffe in Zellmembranen führen und damit die Zellfunktion beeinträchtigen. Die oxidierten Fette selber haben zelltötende und krebserregende Eigenschaften. 

Die Gefährlichkeit einzelner Anteile des Feinstaubes ist besonders gut belegt. So ist zum Beispiel der Ruß aus Verbrennungsmotoren pro Massenanteil um ein Vielfaches schädlicher als das gesamte städtische Feinstaubgemisch. Vor allem Beobachtungen an Arbeitsplätzen, die mit hohen Russbelastungen einhergehen (z.B. im Tunnelbau), führten dazu, dass die Krebsforschungsagentur der Weltgesundheitsorganisation erst unlängst Ruß als sicher krebserregend eingestuft hat. 

Die ultrafeinen Teilchen sind gefährlich wegen ihrer großen Anzahl pro Masseneinheit. Allerdings sind sie sehr reaktiv. Auch wenn dies unmittelbar zu ihrer Aggressivität und Gefährlichkeit beiträgt, verringert es doch auch ihre „Lebenserwartung“: Sie neigen stark dazu, sich zu größeren weniger reaktiven und stabilen Aggregaten zusammenzuschließen. Wenn man sich vom Rand einer stark befahrenen Straße entfernt, ändert sich die Massenkonzentration nur wenig, die Teilchenzahl nimmt aber rasch ab, so dass der Einfluss der Straße auf die Teilchenzahl nur etwa 100 bis maximal 200 Meter weit nachweisbar ist. Auch nahe der Straße wird aber ein Großteil der Feinstaubmasse durch gröbere Partikel gebildet, die durch Abrieb (Straße, Splitt, Reifen, Bremsen) und Wiederaufwirbelung verursacht wurden. Die große Zahl der ultrafeinen Teilchen kommt allerdings aus dem Auspuff der Fahrzeuge.

Gefahr Dauerbelastung

Immer noch beeinflusst die Witterung wie bei der Smogkatastrophe von London die tägliche Luftqualität. Kurzfristige Spitzen der Schadstoffbelastung in Städten lassen sich daher nur wenig durch politisch-administrative Maßnahmen beseitigen. Gesundheitlich bedeutender als die kurzen Belastungen, die etwa durch Überschreitung eines gesetzlich vorgegebenen Grenzwertes für das Tagesmittel bei der Feinstaubmasse (PM10) angezeigt werden, ist jedoch die langfristige Belastung der städtischen Bevölkerung, wobei selbst weit unterhalb des gesetzlich zulässigen Grenzwertes für das Jahresmittel noch deutliche Auswirkungen auf die Lebenserwartung und das Erkrankungsrisiko zu beobachten sind. Maßnahmen, die zu einer nachhaltigen Verbesserung der Luftqualität führten, wie das Verbot von Kohleheizungen in Dublin, haben rasch zu einer deutlichen Erhöhung der durchschnittlichen Lebenserwartung geführt. 

Kosten und Lebenserwartung 

Um politische Maßnahmen oft auch gegen die Interessen einzelner Gruppen (z.B. AutofahrerInnen) durchzusetzen, wird versucht, die Kosten und den Gesundheitsnutzen auf eine vergleichbare Weise zu quantifizieren. Die Ansätze, Krankheiten, Leid und Tod mit Geldwerten zu messen, führten bisher zu recht widersprüchlichen Ergebnissen. Die ExpertInnen sind sich nicht einmal einig, ob eher die Zahl vermeidbarer Todesfälle oder die gewonnene bzw. verlorene Lebenszeit bewertet werden soll: wiegt der Tod eines Erwachsenen mehr oder weniger als der eines Kindes? Doch selbst wenn nur die tatsächlich anfallenden Behandlungskosten und der Verlust an Arbeitsleistung beziffert werden, stellen sich Maßnahmen zur Schadstoffreduktion in der Regel als kosteneffektiv heraus. Bereits vor der Jahrtausendwende wurde abgeschätzt, dass in Österreich jährlich durch die Feinstaubbelastung etwa 5.000 bis 6.000 Menschen vorzeitig sterben. Die Schadstoffbelastung hat sich seither in weiten Teilen des Landes kaum reduziert. Das Umweltbundesamt schätzte 2005 mittels WHO-Methode, dass die Feinstaubbelastung die Lebenserwartung jedes Österreichers um etwa sieben bis 12 Monate verkürzt. Die höchsten Belastungen fanden sich in Graz, das durch die Beckenlage südlich der Alpen meteorologisch benachteiligt ist. Für diese Stadt ergab die Rechnung eine durchschnittliche Lebenszeitverkürzung von 17 Monaten. Gerade Graz bemühte sich sehr um eine Verbesserung der Luftqualität, so dass eine neue Berechnung im Jahr 2010 nur noch einen Lebenszeitverlust von 11 Monaten ergab. Während das Auto der größte Feinstaubverursacher der städtischen Außenluft ist, übernimmt diese Rolle im Innenraum die Zigarette.