Kontroverse: Umweltverträglichkeitsprüfung neu – Top oder Flop
Pro: Die UVP-Novelle setzt positive Impulse für den Infrastrukturausbau.
Die UVP-G-Novelle 2012 ist aus der Sicht der Wirtschaft differenziert zu beurteilen: Im Fokus unserer Kritik steht das neue Überprüfungsrecht für Umwelt-NGOs gegenüber sogenannten „negativen Feststellungsbescheiden“, wenn die Behörde entscheidet, dass für ein Projekt keine UVP erforderlich ist. Feststellungsverfahren kommt eine nicht zu unterschätzende standortpolitische Bedeutung zu, dienen sie doch dazu, einem Investor möglichst rasch Rechtssicherheit zu verschaffen, ob für sein Vorhaben eine zeit- und kostenaufwändige UVP notwendig und welche Behörde für seinen Antrag zuständig ist. Durch das neue Überprüfungsrecht der NGOs kann sich diese essenzielle Klarstellung nun noch weiter verzögern. Langwierige Entscheidungsprozesse vertreiben aber potenzielle Investoren und mit ihnen wichtige Wertschöpfung und Arbeitsplätze.
Auslöser der neuen Regelung ist ein Mahnschreiben der Europäischen Kommission. Demgegenüber sehen aber weder der Verwaltungsgerichtshof (vgl. VwGH 27.9.2007, 2006/07/0066; VwGH 22.4.2009, 2009/04/0019) noch der Umweltsenat (vgl. US 30.7.2010 7B/2010/4-28) Defizite im Feststellungsverfahren und eine Änderung als unionsrechtlich geboten an. Mit der – europaweit einzigartigen – Parteistellung von Umweltanwälten und Bürgerinitiativen weist das UVP-G bereits vor der Novelle im EU-Vergleich die stärksten Partizipationsrechte auf. Es wäre daher durchaus angebracht gewesen, dem Vorwurf der Europäischen Kommission mit mehr Selbstbewusstsein zu begegnen. Keinen adäquaten Ausgleich bietet die neue Option des Investors, auf die Vorprüfung, ob für sein Vorhaben eine UVP durchzuführen ist oder nicht, zu verzichten und sein Projekt unverzüglich einer UVP zu unterziehen. Wenngleich die neue Regelung im Sinne der Verfahrensökonomie zu begrüßen ist, hätten wir uns dafür aber eine klarere gesetzliche Ausgestaltung gewünscht, um Missverständnissen vorzubeugen. So wurde dieses neue Wahlrecht des Investors in der politischen Diskussion zur Novelle als „freiwillige UVP“ bezeichnet, was schlichtweg unzutreffend ist. Mit der Novelle kann es sich der Projektwerber natürlich nicht aussuchen, ob er sein Vorhaben einer UVP unterziehen möchte oder nicht, da die gesetzlichen Voraussetzungen für eine UVP-Pflicht unverändert gelten. Dies sei auch deshalb betont, um zu verhindern, dass mancherorts ein gewisser Druck auf den Investor ausgeübt wird, sein Vorhaben – etwa zur „Erhöhung der Akzeptanz“ – „freiwillig“ einer UVP zu unterziehen. Genau dazu bietet die neue Regelung keine gesetzliche Grundlage (vgl. Schwarzer „Gibt es eine freiwillige UVP?“ in ecolex 10/2012, S. 928).
Ein Lichtblick: Ausgesprochen positive Impulse für den Infrastrukturausbau in Österreich sind durch den reduzierten Verwaltungsaufwand bei Projekten des hochrangigen Straßen- und Schienennetzes zu erwarten. Aufgrund der verstärkten Verfahrenskonzentration reichen anstelle von drei Verfahren vor drei Behörden künftig zwei Verfahren vor zwei Behörden, woraus eine deutliche Kosten- und Zeitersparnis resultiert – eine Win-Win-Situation für Projektwerber, beteiligte Parteien, Behörden und Steuerzahler!
Con: Rechtsmittel für NGOs: Hindernisrennen, bei dem das Straucheln schon einkalkuliert ist.
Besser kann ein Gesetzgeber eigentlich kaum ausdrücken, dass er etwas nicht will, nämlich die neue Beteiligung der Umwelt-NGOs im UVP-Feststellungsverfahren. Immer wieder orten Projektkritiker Verstöße gegen Unionsrecht, vor allem bei Großprojekten wie Anlagen zur Energieversorgung, hochrangigen Verkehrsprojekten oder Flughafenausbauten. Tatsächlich ist Österreich wiederholt, so auch jetzt, mit Vertragsverletzungsverfahren der EU-Kommission zur UVP-Richtlinie konfrontiert. Im Feststellungsverfahren, in dem es darum geht, ob ein Projekt oder eine Projektänderung UVP-pflichtig ist oder nicht, hatten Umwelt-NGOs keine Rechte, so ein Kritikpunkt der Kommission.
Dieser Kritik begegnet der Gesetzgeber nun mit einer Konstruktion, die – freundlich ausgedrückt – hohen Neuigkeitswert hat, nämlich mit einer Rechtsmittelbefugnis ohne Verfahrensparteistellung für den Fall, dass gar keine UVP durchzuführen ist. Gegen die Feststellung, dass nur ein vereinfachtes UVP-Verfahren durchzuführen ist, gilt auch das nicht.
Eine Umwelt-NGO kann nun binnen vier Wochen (bei hochrangigen Verkehrsprojekten binnen sechs Wochen) ab Kundmachung des Bescheides auf der Website der UVP-Behörde einen Überprüfungsantrag an den Umweltsenat stellen, muss aber genau die als verletzt erachteten Gesetzesstellen bezeichnen und das begründen. Da sie ohne Parteistellung nicht zu dem Verfahren geladen wird, muss sie laufend, am besten im Wochenabstand, die Websiten der UVP-Behörden durchforsten und kann sich nur auf das beziehen, was im Bescheid drinnen steht. Akteneinsicht hat sie nicht, Fragerecht auch nicht und eine unmittelbare Wahrnehmung schon gar nicht. Der Antrag hat übrigens auch keine aufschiebende Wirkung und gegen die Entscheidung des Umweltsenates kann die NGO nicht berufen – die Standortgemeinde ist vielleicht schon längst beim Verwaltungsgerichtshof. An der fehlenden Rechtsstellung von betroffenen Nachbarn ändert das im Übrigen gar nichts.
Ein umsichtiger Gesetzgeber würde ein Instrument, das im Spannungsfeld großer finanzieller Interessen und erheblicher öffentlicher sowie privater Schutzinteressen dem ordentlichen Abarbeiten von Umweltargumenten und dem Rechtsfrieden dienen sollte, nicht wie ein Hindernisrennen aufbauen, bei dem das Straucheln schon einkalkuliert ist. Er würde auch verstehen, dass der Patient dort behandelt werden soll, wo es drückt. Wenn sich Feststellungsverfahren als zu lang, zu tief, zu breit erweisen, dann sollte man die Verfahren verbessern oder reduzieren. Eine Rechtsmittelbefugnis wie diese darf aber bis zum Beweis des Gegenteils als Quasi-Befugnis bezeichnet werden. Ebenso steht es mit der sogenannten „freiwilligen UVP“, die keine freiwillige ist, sondern lediglich einen behördlichen Prüfschritt abkürzen kann.
Ich halte viel von qualitätsvoller Öffentlichkeitsarbeit. Aber das hier ist wie ein schlechter PR-Gag im Sprachgewand des Gesetzgebers. Und wenn ich nicht wirklich verärgert wäre von der neuen Möglichkeit, dass bei hochrangigen Verkehrsvorhaben der Gesetzgeber nun das Schutzniveau des UVP-Gesetzes unterlaufen kann, dann würde mich vielleicht der Fun-Faktor dieser Regelungen belustigen.