Schwerpunkt

Wasser-Liberalisierung

Wasser als sicherer Hafen für Finanzinvestoren

Spätestens mit der globalen Finanz- und Wirtschaftskrise 2008/09 hat es der Begriff der Finanzialisierung zu einer breiteren medialen Aufmerksamkeit gebracht. In der akademischen Literatur hat sich seit den 1990ern ein disziplinär vielfältiges Forschungsprogramm dazu entwickelt, das sich mit dem Bedeutungsgewinn des Finanzsektors und seinen Auswirkungen auf Ökonomie und Gesellschaft beschäftigt. Eine Reihe von Phänomenen wird darunter diskutiert, wie etwa die Liberalisierung und anschließende Integration von vormals national eingehegten und segmentierten Finanzmärkten, die dramatische Verbreitung neuer Finanzinstrumente, das Auftauchen neuer institutioneller Investoren auf den Finanzmärkten, die Dominanz des „Shareholder-Value“-Paradigmas im Bereich der Unternehmensführung und -kontrolle sowie die massive Ausweitung des Kredit-und Anlagegeschäftes in Form von Hypotheken, KonsumentInnenkrediten und der privaten Alterssicherung. Die ursprünglich anglo-amerikanisch geprägte Finanzialisierungs-Literatur hat im letzten Jahrzehnt ihren Fokus geographisch erweitert. Zudem gibt es auch vermehrt Untersuchungen zu Infrastruktur-Sektoren, die die Ausbreitung von finanzialisierten Geschäftspraktiken in bisher nach anderen Kriterien organisierten Bereichen der Daseinsvorsorge in den Blick nehmen. Die bisherige Evidenz legt nahe, dass finanzialisierte Geschäftsstrategien mit ihrer typisch kurzfristigen Orientierung und Verwertungsmodellen eine Bedrohung für langfristig ausgerichtete Infrastrukturen (z.B. Verkehr, Wohnbau) darstellen.

Briten schossen am Ziel vorbei

Wie in vielen anderen Infrastruktur-bereichen kann dies an der Entwicklung der englischen Wasserver- und Abwasserentsorgung exemplarisch nachgezeichnet werden. Nach der ersten von Thatcher herbeigeführten Privatisierung kam es zu mehreren Verschiebungen in den Eigentümerstrukturen. Die ideologisch gewünschte und politisch vorangetriebene „Shareholder-Demokratie“ (Beteiligung der englischen BürgerInnen als KleinaktionärInnen) war rasch zu Ende, denn die mit öffentlichen Geldern entschuldeten Unternehmen mit Monopol-Stellung waren begehrte Übernahmeziele von europäischen und nordamerikanischen Infrastrukturunternehmen. Diese hatten sich aber selbst in ihren Rendite-Erwartungen des privaten Wassergeschäfts (15-20%) verschätzt und so kam es Anfang der 2000er Jahre zu einer zweiten wesentlichen Verschiebung hin zu Finanzinvestoren. Mit deren Auftauchen veränderten sich die Geschäftsmodelle und verschoben sich in Richtung Finanzialisierung.

Ein typisches Kennzeichen für finanzialisierte Geschäftsstrategien ist, dass erwirtschaftete Gewinne primär für die Bedienung der Eigentümerinteressen in Form von Ausschüttungen verwendet werden. Die Analyse der Jahresbilanzen der privaten Wasser-Unternehmen zeigt dies eindringlich. Konkret wurden im Zeitraum 2007 bis 2016 von den 18,9 Milliarden Pfund an Gewinnen (nach Steuern) mehr als 96% (18,1 Milliarden Pfund) an Dividenden ausgeschüttet.

Statt diese Gewinne vollständig an die EigentümerInnen auszuschütten, hätte man sie auch einer alternativen Verwendung zuführen können, indem man sie in Infrastruktur re-investiert, die Verschuldung zurückschraubt, Preise für KonsumentInnen senkt oder die Entlohnung der Beschäftigten erhöht.

Nachdem fast alle erwirtschafteten Gewinne an die AktionärInnen ausgeschüttet wurden, bleibt für die Finanzierung von Infrastrukturinvestitionen nur die weitere private Schuldaufnahme. Dies führte zur ironischen Situation, dass sich der Verschuldungsgrad seit der Privatisierung 1989 (als die Unternehmen komplett entschuldet wurden und somit schuldenfrei waren) stark erhöhte. Vor diesem Hintergrund überrascht die große Bedeutung der Finanzierungskosten wenig – im Schnitt haben die neun englischen Versorger in den letzten 10 Jahren rund 1,46 Milliarden Pfund jährlich dafür ausgegeben. Würde man stattdessen die billigere öffentliche Finanzierung zugrunde legen, käme dies um zumindest 500 Millionen Pfund günstiger.

Top-Managment gewinnt – Arbeitnehmer und Konsumenten verlieren 

Insbesondere die englischen KonsumentInnen kommt dieses finanzialisierte Modell teuer zu stehen, denn die Kapitalkosten (Dividenden-Zahlungen an die EigentümerInnen sowie die Zinszahlungen für Fremdkapital) machten laut englischem Regulator OFWAT rund 27% des Endkundenpreises aus. Auch der öffentlichen Hand bleibt von den erwirtschafteten Gewinnen nur ein bescheidener Anteil. Im Betrachtungszeitraum belief sich das Volumen an kumulierten Gewinn-Steuern auf knapp 1,7 Mrd. Pfund – dies entspricht etwa 8% bezogen auf die kumulierten Gesamtgewinne in Höhe von 20,7 Mrd. Pfund (vor Steuern). Schließlich zeigt sich ebenfalls in Übereinstimmung mit der Finanzialisierungs-Literatur, dass die anteiligen Ausgaben für alle Beschäftigten zurückgehen, während die Anteile für das Top-Management zunehmen. So ist etwa die Remuneration des Top-Managements in Bezug auf den Umsatz zwischen 2003 und 2013 um 56% gestiegen. Im Gegensatz dazu ist der Anteil für Löhne und Gehälter bezogen auf den Umsatz um 11% gefallen.

Während die Senkung der durchschnittlichen Kosten für die Beschäftigten als Zeichen der Effizienzverbesserung gesehen werden, gilt dies nicht für die Entlohnung des Top-Managements. Auch die hohen und steigenden Fremdfinanzierungskosten unterliegen offensichtlich einem anderen Bewertungsmaßstab, obwohl sehr gut argumentiert werden kann, dass diese Ausgaben durchaus auch denselben Effizienzüberlegungen unterstellt werden sollten. Der Regulator OFWAT sieht hier allerdings keinen Handlungsbedarf – anders als der englische Rechnungshof, der insbesondere die Zurückhaltung des Regulators angesichts zunehmender Verschuldung sowie Intransparenz durch globale Konzernstrukturen kritisiert. Implizit ist hier auch die grundlegende Schwäche des Regulierungsmodells angesprochen, welches die Bedeutungszunahme von Finanzmarktakteuren sowie ihrer Geschäftsmodelle weitgehend ignoriert.

Großbritannien als 
Negativ-Beispiel

Der englische Fall zeigt die Konsequenzen eines finanzialisierten Geschäftsmodells am deutlichsten auf. Aber auch in anderen Ländern ist eine Bedeutungszunahme von Finanzinvestoren an privaten Wasserkonzernen sichtbar. Dies trifft nicht zuletzt auf die drei französischen Wasserkonzerne Veolia, Suez und SAUR zu. Deren Internationalisierung seit den 1990ern kam in den 2000er Jahren praktisch zum Stillstand, da sich die Unternehmen mit ihren Expansionsplänen übernommen hatten. Der Einstieg von Finanzinvestoren (sowie des französischen Staates) im letzten Jahrzehnt sollte die Restrukturierung und Stabilisierung der drei großen Wasser-Konzerne garantieren.

Auch in Portugal sind im letzten Jahrzehnt neben der chinesischen Beijing Enterprises Water Group (BEWG) einige Finanzinvestoren bei den im Krisenkontext in Schieflage geratenen privaten Unternehmen in größerem Stil eingestiegen. Im Gegensatz dazu gibt es im traditionell öffentlichen österreichischen System bisher nur eine nennenswerte Beteiligung von Finanzinvestoren – die Finanzkonzerne Blackrock, Vanguard & Co. halten indirekt jeweils weniger als 0,5% an der niederösterreichischen EVN Wasser AG. Aus dem Blickwinkel der Finanzialisierungs-Forschung ist zu hoffen, dass dies so bleibt und die Wasserver- und Abwasserentsorgung in Österreich nicht zu einem sicheren Hafen für kurzfristig orientierte Finanzinvestoren wird.