Schwerpunkt

Gold Plating

Scheingefechte um „Gold Plating“

Dies ist das „Verursacherprinzip“: Verursacher von Umweltbelastungen müssen die Kosten für die Verringerung oder Vermeidung der Schäden übernehmen, die sonst von unbeteiligten Dritten zu tragen wären.

Doch das Geld, das die Unternehmen in die Hand nehmen müssen, verpufft nicht – es wird in moderne Technologien investiert. Umweltschutz ist eine Triebfeder für Beschäftigung, Investitionen und Forschung. So sind in der Europäischen Union etwa 4,2 Millionen Menschen im Umweltsektor tätig (jüngste Zahlen aus 2014), etwa 50 Prozent mehr als im Jahr 2000. Zum Vergleich: Im Automobil-Sektor arbeiten in der ganzen EU 2,4 Millionen Menschen, im Chemiesektor 1,1 Millionen. 

Für Unternehmen, die in einem unmittelbar oder mittelbar eher umweltbelastenden Sektor tätig sind – etwa in der Erdölverarbeitung oder in der traditionellen Landwirtschaft – ist es aber nur ein geringer Trost, dass in anderen Sektoren Beschäftigung geschaffen wird. Und so entfalten diese Sektoren einen Druck, dass Umweltstandards niedrig gehalten werden. 

Gebetsmühlenartig wiederholt die Wirtschaftskammer, dass eine Übererfüllung von EU-Standards – das sogenannte „Gold Plating“ – vermieden werden müsse. Das gilt für den Umweltbereich ebenso wie für andere Politikfelder. Die Unternehmensvertreter konnten bereits im Jahr 2000 als Erfolg verbuchen, dass das Verbot des „Gold Plating“ ins Regierungsprogramm aufgenommen wurde. 2001 erließ der Nationalrat ein Gesetz, das unter anderem verfügte, dass „bei der Vorbereitung der Umsetzung von Richtlinien der Europäischen Gemeinschaft darauf zu achten [sei], dass die vorgegebenen Standards nicht ohne Grund übererfüllt werden.“ 

Der Fetisch der Deregulierung

Seither wurde mal mit mehr, mal mit weniger Eifer „Gold Plating“ verteufelt. Die eben zitierte Gesetzesstelle wurde noch in der letzten Legislaturperiode im sogenannten „Deregulierungsgrundsätzegesetz“ geringfügig abgeändert und stellt nun auf die „Umsetzung von Rechtsakten der Europäischen Union“ ab. Auch die jüngst angelobte Regierung malte das Gespenst wieder an die Wand und versprach in ihrem Programm, dagegen vorzugehen: Gleich neunmal kommt das Verbot des „Gold Plating“ dort vor.

Wer aber meint, dass sich im Bereich des Umweltschutzes handfeste Beispiele für diese Übererfüllung von EU-Rechtsakten finden lassen, irrt. Ein gern genanntes Beispiel aus dem KonsumentInnenschutz ist die österreichische Allergeninformationsverordnung. Von ihr wird behauptet, dass sie die EU-Regeln bezüglich der Art der Kennzeichnung übererfüllt hätte und überbordende Pflichten zur schriftlichen Information über die Allergene enthielte. Nimmt man den Gesetzestext zur Hand, so löst sich das Gespenst des Gold Plating in Luft auf: Die Information über enthaltene Allergene darf auch mündlich erfolgen.

Überprüfen, ob eine Regelung noch immer zweckmäßig ist

Ein anderer Bereich, der immer wieder ins Visier der Deregulierung gerät, ist das österreichische Giftrecht. Es handelt sich um den III. Abschnitt des Chemikaliengesetzes, in dem etwa Pflichten zur behördlichen Meldung des Inverkehrsetzens von Giften und persönliche Voraussetzungen für die Abgabe und für den Erwerb von Giften festgelegt sind. Das EU-Recht kennt keine vergleichbaren Bestimmungen, auch wenn ähnliche Normen in vielen Mitgliedstaaten existieren. Da das österreichische Giftrecht zudem bereits vor dem EU-Beitritt existierte, handelt es sich dabei also nicht um „Gold Plating“. Da manche der Regelungen als Hindernis für den freien Warenverkehr aufgefasst werden können, wurde 1995 im EU-Beitrittsvertrag ausdrücklich die Beibehaltung dieser höheren Standards vereinbart.

Freilich lässt sich am Beispiel des österreichischen Giftrechts auch zeigen, dass es für eine Regelung gut ist, wenn immer wieder überprüft wird, ob sie ihren Zweck weiterhin erfüllt. Wenn die Behörden wissen, welche Gifte und ätzenden Stoffe an LetztverbraucherInnen abgegeben werden, kann diese Information über die Vergiftungsinformationszentrale an ÄrztInnen weitergegeben werden, die wiederum zielgerichteter eventuell auftretende Vergiftungen behandeln können. So sollten zuständige Behörden regelmäßig den Nutzen derartiger Regelungen dokumentieren und zeigen, dass den Meldepflichten der Unternehmen auch ein Nutzen von KonsumentInnen gegenübersteht. Auf diese Weise lassen sich Angriffe auf Schutznormen leichter abwehren.

Voraussetzung dafür ist eine ausreichende Zahl an BeamtInnen und Bediensteten in den Behörden. Gibt es nicht genug Planstellen, so verstauben die Meldungen der Betriebe in den Amtsstuben, da niemand da ist, der sie auswerten könnte. Und wenn sich dies nachweisen lässt, dann gerät auch eine Meldeverpflichtung von Unternehmen leicht unter Beschuss. Daher besteht der neoliberale Zweischritt zur Deregulierung darin, zunächst unter dem Schlagwort des „Schlanken Staates“ die öffentliche Verwaltung auszudünnen und danach die Bestimmungen abzuschaffen, die mangels behördlicher Kapazitäten ohnehin nicht mehr vollzogen werden können.

Keine umweltpolitische Ambition in Österreich

Es verwundert nicht, dass umweltpolitische Fortschritte und Ambitionen mittlerweile ausschließlich von der EU-Ebene kommen. Während Österreich etwa zur Zeit des EU-Beitritts noch auf einige umweltrechtliche Regelungen verweisen konnte, die beispielgebend waren, ist es seither eher zum Nachzügler und Bremser geworden. Gleichzeitig zeigte sich auch, dass Österreich bei der Erfüllung umweltpolitischer Ziele säumig war: Das Kyoto-Ziel, also die Menge an Treibhausgasen, die zwischen 2008 und 2012 ausgestoßen werden durfte, war nur durch massiven Zukauf von Emissionsrechten aus dem Ausland möglich; die zulässige Gesamtemission von Stickoxiden nach der sogenannten NEC-Richtlinie wurde 2010 weit überschritten; beim Flächenverbrauch liegen die tatsächlichen Werte seit Jahren etwa beim Zehnfachen des Wertes, der in der österreichischen Nachhaltigkeitsstrategie als Zielwert festgelegt wurde.

Umweltpolitik wird somit zusehends auf Bereiche reduziert, in denen sie mit wirtschaftlichen Interessen nicht kollidiert oder ihnen sogar dient. Das ist zunächst die Umweltpolitik zum Wohlfühlen, die Bio-Lebensmittel, E-Autos und die Solaranlage am eigenen Dach propagiert und die vor allem mit Förderungen operiert. Und es sind Politiken, die Partikularinteressen bedienen, etwa die Biokraftstoffbeimischung und die Verpackungsverordnung – zwei Beispiele für Übererfüllung von EU-Recht, die aber seitens der Wirtschaft keinen Aufschrei erzeugten, weil sie bestimmten Unternehmen massiv nützen und die Kosten auf die Allgemeinheit abwälzen.

Wie jede Politik ist auch Umweltpolitik ein Prozess des Ausgleichs zwischen Interessen. Der Kampf gegen „Gold Plating“ mag zwar im Bereich der Umweltpolitik ein Scheingefecht sein. Doch zeigt die Diskussion, dass die Interessen der ArbeitnehmerInnen immer weniger Gewicht gegenüber denen der Unternehmer haben: Profite werden zusehends zum Erfolgsindikator der Politik. Mit diesem Programm steigender Ungleichheit gerät auch die Umweltqualität zusehends unter die Räder und damit die Lebensqualität für ArbeitnehmerInnen.