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Gold Plating

Gold Plating als Gefahr für Schutzstandards

In der Öffentlichkeit ist der Begriff des Gold Platings kaum bekannt. Im Regierungsprogramm der neuen schwarz/blauen Koalition findet sich dieser Begriff jedoch gleich neun Mal wieder. Doch was ist überhaupt mit dem sogenannten Gold Plating gemeint? 

Regelmäßig werden auf EU-Ebene Richtlinien verabschiedet, die Mindeststandards für unterschiedlichste Politikbereiche wie den Umweltschutz, dem Verbraucherschutz oder den ArbeitnehmerInnenschutz enthalten. Diese Richtlinien müssen in nationales Recht gegossen werden, wobei die im EU-Rechtstext definierten Mindestschutzniveaus nicht unterschritten werden dürfen. Bereits im Vorfeld zu Verhandlungen für neue EU-Rechtsakte kämpfen Mitgliedsländer, die selbst sehr schwache Schutzbestimmungen haben, dafür, dass die Minimumstandards dieser Rechtsakte möglichst niedrig angesetzt werden. Damit wollen diese Länder die Aufwendungen für die Hebung ihrer teils rückständigen, teils veralteten Standards möglichst geringelten. 

Viele Mitgliedstaaten, wie beispielsweise Österreich, haben demgegenüber jedoch wesentlich fortschrittlichere Gesetze. Die Standards für ArbeitnehmerInnen oder KonsumentInnen sind in diesen Ländern weit höher, die Lebensbedingungen entsprechend besser. Es geht bei Gold Plating also um keine überbordende Bürokratie oder besonderen Luxus, der mit den jeweiligen Gesetzen verbunden ist. Im Gegenteil: Es geht um selbstverständliche, teilweise seit Jahrzehnten bestehende fortschrittliche Standards, die nun unter dem Vorwand des Gold Plating infrage gestellt werden sollen. 

Tatsächlich geht es beim Gold Plating vor allem um Wirtschaftsinteressen. Lästige, mit Kostenaufwand verbundene Standards sollen rasch runtergeschraubt werden. Die neue schwarz/blaue Koalition verliert dabei keine Zeit, die Wünsche der Großindustriellen und UnternehmerInnen zu erfüllen.

Wirtschaftsinteressen im Vordergrund

Seinen Ausgang genommen hat die Diskussion um die Übererfüllung von EU-Recht dabei in Brüssel. Im Rahmen von Arbeiten an einer „Besseren Rechtsetzung“ und dem „Bürokratieabbauprogramm REFIT“ wird das Gold Plating der Mitgliedstaaten von den EU-Behörden bereits seit Jahren thematisiert. Eine von der Europäischen Kommission eingesetzte ExpertInnengruppe forderte die EU-Mitgliedsländer 2014 sogar dazu auf, ihre Gold Plating-Bestimmungen zu überprüfen.

Im neuen Regierungsprogramm wird nun schnell deutlich, welche Dimension dieses Vorhaben hat: So soll es beim Arbeitsrecht kein Gold Plating bei EU-Richtlinien mehr geben. Gerade beim Arbeitsrecht hat Österreich bisher aber eine wesentlich arbeitnehmerInnenfreundlichere Gesetzgebung, als es die niedrigen Schutzniveaus auf EU-Ebene vorsehen. So sieht die Arbeitszeit-Richtlinie tägliche Arbeitszeiten von bis zu 13 Stunden und einen nur vierwöchigen bezahlten Jahresurlaub vor. Die Standards zu Arbeitszeiten und Urlauben sind im Vergleich dazu in Österreich weit besser: Grundsätzlich sieht das Arbeitszeitgesetz (§ 9 Abs. 1 AZG) eine Normalarbeitszeit von 8 Stunden beziehungsweise inklusive Gleitzeit und/oder Überstunden von maximal 10 Stunden Tagesarbeitszeit vor. Wobei die österreichische Regelung schon jetzt sehr flexibel ist und unter bestimmten Bedingungen (§ 7 Abs. 4 AZG) in Sonderfällen auch 12 Stunden tägliche Arbeitszeit erlaubt. Der Jahresurlaub beträgt in Österreich fünf Wochen bzw. nach 25 Dienstjahren sechs Wochen. Die Folgewirkungen einer Streichung dieser besseren österreichischen Bestimmungen wären gravierende Verschlechterungen für die Beschäftigten bei Arbeitszeiten, Überstundenzuschlägen und Urlauben. Zwar ist nicht davon auszugehen, dass die neue Regierung einen 13 Stunden Arbeitstag und nur mehr vier Wochen Urlaub einführen wird. Allerdings plant die Regierung eine „Entbürokratisierung“ der Arbeitszeitgesetze, d.h. bessere Standards für Beschäftigte sollen zugunsten von Unternehmen und Industrie abgesenkt werden. Damit werden „Gold Plating“-Bestimmungen scheibchenweise gestrichen.

Auch der Umweltbereich ist im Regierungsprogramm in Bezug auf Übererfüllung von EU-Recht genannt: Unter dem Kapitel Wirtschaftsstandort und Entbürokratisierung definiert die Koalition das Ziel der Rücknahme von Gold Plating zu Lasten von Unternehmen. In der Auflistung der Maßnahmen, die dazu getroffen werden sollen, findet sich dabei unter anderem die Abschaffung des Elektronischen Datenmanagements für Abfall auf das unionsrechtlich geforderte Maß. Bezüglich der Umweltverträglichkeitsprüfung sollen umweltrechtliche Materiegesetze betreffend das öffentliche Interesse (insbesondere unbestimmte Gesetzesbegriffe) analysiert werden. Hier wird Gold Plating schlicht als Ausrede für Wirtschaftsinteressen verwendet.

Des weiteren sollen als Gold Plating definierte Bestimmungen hinsichtlich des Kapitalmarkts, beim Steuerrecht und bei der Landwirtschaft gestrichen werden.

Welchen großen Nutzen fortschrittliche Regelungen und Maßnahmen in Österreich bringen, die über das EU-Mindestmaß hinausgehen, zeigen viele Beispiele:

  • In Österreich gibt es strenge Standards hinsichtlich der Errichtung und des Betriebs von Deponien. Sie gehen weit über die nur vagen Formulierungen in der EU-Deponien-Richtlinie hinaus und wurden aus der Erfahrung mit oftmals illegalen Deponien gesetzlich verankert.
  • Die Stadt Wien hat ihre Kläranlage mit einer höheren Reinigungsstufe ausgerüstet, obwohl das in der EU-Abwasser-Richtlinie nicht vorgeschrieben ist. 
  • Bei Strom und Gas ist eine Grundversorgung auch bei Zahlungsschwierigkeiten gesetzlich gesichert – eine Regelung, die auf EU-Ebene fehlt. 
  • In Österreich müssen alle Banken ein Basiskonto (zu dem alle Menschen Zugang haben) anbieten. Die Zahlungskonto-Richtlinie sieht hingegen nur vor, dass das Basiskonto von einer ausreichend großen Zahl von Banken angeboten wird. 
  • Eine eigene Verordnung schützt 
österreichische KundInnen von Telekommunikations-Diensten vor einer unvorhergesehenen Kostenexplosion – auch hier fehlt eine entsprechende Regel in der Telekommunikations-Richtlinie.

Streichung von gesellschaftspolitischen Schutznormen im Eiltempo

Mit dem Thema Gold Plating haben sich schon frühere Regierungen auseinandergesetzt. Sowohl im Deregulierungsgesetz von 2001 als auch im Deregulierungsgrundsätzegesetz vom April 2017 findet sich der Passus, dass vorgegebene Standards in EU-Richtlinien nicht ohne Grund übererfüllt werden sollen. Davon, dass keine fortschrittlicheren Regeln als vom EU-Recht vorgesehen mehr implementiert werden sollen oder dürfen, war in diesen beiden Gesetzen im Unterschied zum Regierungsprogramm der neuen Koalition jedoch nichts zu lesen.

Die Arbeiten zum Gold Plating werden vom Bundesministerium für Verfassung, Reformen, Deregulierung und Justiz unter Minister Josef Moser koordiniert. Bis Mai haben Ministerien und Interessenvertretungen die Möglichkeit, Bestimmungen zu melden, die eine „Übererfüllung“ der im EU-Recht vorgegebenen Mindeststandards darstellen. Nach einer Begutachtungsphase könnte die Debatte im Nationalrat über die eingebrachten Vorschläge bereits im Herbst folgen. 

Welche Standards aus Sicht der Regierung nun tatsächlich als Gold Plating interpretiert werden, illustriert das BMVRDJ in einem Schreiben an die Sozialpartner und weitere Interessenvertretungen, welches als Information beziehungsweise Arbeitsbehelf bei der Rücknahme von Übererfüllung von Unionsrecht dienen soll. Folgende Beispiele werden angeführt:

  • Im nationalen Recht werden zusätzliche inhaltliche oder bürokratische Anforderungen vorgesehen.
  • Der Anwendungsbereich wird über den in der Richtlinie vorgesehenen Bereich hinaus ausgedehnt.
  • Nach Unionsrecht zulässige Ausnahmen werden nicht in Anspruch genommen.
  • Es werden schärfere Sanktionen festgelegt als in der Richtlinie verlangt.
  • Die Umsetzung der nationalen 
Bestimmungen erfolgt zu einem früheren Zeitpunkt als in der Richtlinie verlangt.
  • Bei EU-Rechtsakten, die zwei oder mehrere genau bestimmte Umsetzungsoptionen zur Wahl stellen, ist die strengere Variante als Gold Plating zu beurteilen.

Die Normen, die letztlich gestrichen werden sollen, könnten en bloc gegen Ende des Jahres bzw. Anfang kommenden Jahres verabschiedet werden. Viele der Regeln, die in einem durchdachten demokratischen Prozess, abgestimmt mit den VertreterInnen der früheren Regierungskoalitionen, zumeist unter Mitwirkung der Sozialpartner beschlossen wurden, wären damit ohne viel Diskussion weggewischt. 

Dass es zu einer Streichung von Beschäftigten-, KonsumentInnen- oder Umweltstandards kommen könnte, streitet der zuständige Bundesminister Josef Moser laut Medienberichten aber ab. Demnach sollen die in Frage stehenden gesetzlichen Regelungen hinsichtlich der Auswirkungen auf Volkswirtschaft, Beschäftigung und Sozialstandards untersucht werden.