Schwerpunkt

Mobiliätswende

Neuer rechtlicher Rahmen für Europas Autoindustrie

Auch andere europäische Länder, insbesondere die mit einem hohen Anteil an Diesel-Pkw in ihren Fahrzeugflotten, haben ähnliche Probleme wie Deutschland. Denn Ursache für die hohen Werte sind vor allem die Stickoxid-Abgase von Diesel-Pkw. Dass Stickoxidemissionen aus dem Straßenverkehr ein Problem sind, ist seit langem bekannt. Um die Bevölkerung besser zu schützen und die Standards für die Luftgüte einhalten zu können, wurden auch die Abgasvorschriften für Pkw in den vergangenen Jahren schrittweise verschärft. Zwar hat man dabei, das Gebot der Technologieneutralität in der Gesetzgebung außer Acht lassend, dem Diesel gegenüber dem Benziner einen Bonus eingeräumt – Diesel-Grenzwert:  80mg NOx/km; Benzin-Grenzwert: 60 mg – doch auch diese Vorgabe erfordert eine aufwändige und anspruchsvolle Abgasreinigung. Nur so kann die im Gesetz formulierte Anforderung, die „Grenzwerte im normalen Gebrauch der Fahrzeuge“ einzuhalten, erfüllt werden. 

Der Abgasskandal spricht Bände. Fahrzeuge aller Hersteller erfüllen die Vorgaben auf dem Papier und im Labor – sonst könnten sie nicht zugelassen werden. Aber ebenso finden sich in Fahrzeugen aller Hersteller sogenannte Abschalteinrichtungen – eine Software, die dafür sorgt, dass die Abgasreinigung eben nur dort – im Labor – funktioniert, nicht auf der Straße, nicht beim normalen Gebrauch. Das ist schlichtweg illegal. 

Kein funktionierendes System

Zwei Jahre lang wurde dazu viel diskutiert und untersucht, die Überarbeitung relevanter Gesetzgebung auf den Weg gebracht, zusätzliche Messverfahren im Rahmen der Zulassung etabliert. Doch wirklich geändert hat das bislang nichts. Nach wie vor kommen Neufahrzeuge auf den Markt, die im realen Betrieb NOx-Emissionen aufweisen, die weit über dem Grenzwert liegen. Ein funktionierendes Konzept, das eine Abgasminderung der Bestandsflotte erreichen könnte – Fehlanzeige. Ein Schutz der Verbraucher, die mit Wertverlust und drohenden Fahrverboten konfrontiert sind, obwohl sie ein Fahrzeug kauften, das ihnen als sparsam und sauber angepriesen wurde, ist nicht gegeben. 

Obwohl die Abgasvorschriften in ihrer Systematik in den USA nahezu identisch sind mit denen in Europa, haben wir also hier, im Vergleich zu den USA, noch nicht viel gekonnt. Nach wie vor weigern sich die Behörden, die Praxis der Hersteller als illegal zu bezeichnen. Einer Änderung der Genehmigungs- und Prüfverfahren auf EU Ebene zur Vermeidung dieser betrügerischen Aktivitäten stellt man sich in den Weg. Das „Nationale Forum Diesel“ in Deutschland, einberufen von der Bundeskanzlerin angesichts drohender Fahrverbote für Dieselfahrzeuge in ganz Deutschland, sollte Lösungen bringen, die für saubere Luft sorgen. Doch auch hier: Fehlanzeige. Die beschlossenen „Software-Updates“ werden die NO2-Belastung maximal um zwei Prozent verringern. Die angekündigten Mobilitätsfonds für die Kommunen sind eher für die Optimierung von Ampelschaltungen vorgesehen denn für effiziente Maßnahmen wie die Nachrüstung von Bussen des öffentlichen Verkehrs mit wirksamer Abgasreinigung. 

Vorbild-Beispiel: USA

Was wäre also erforderlich? Das Beispiel USA zeigt, wie wichtig es ist, eine Kontrollbehörde zu haben, die auf die Einhaltung umweltrelevanter Vorgaben achtet. Diese Behörde prüft Fahrzeuge „von der Straße“. Sollte sich herausstellen, dass Verbrauch oder Abgase deutlich über dem liegen, was Hersteller angeben oder der Gesetzgeber vorschreibt, droht in der Konsequenz eine empfindliche Geldstrafe. Dabei gehen die US Behörden gegen Unternehmen aus dem eigenen Land nicht anders vor als gegen ausländische Hersteller. 

Entscheidend sind, das haben die vergangenen zwei Jahre gezeigt, die Emissionen beim Gebrauch der Fahrzeuge auf der Straße. Zwar hat die EU nun auch im Rahmen der Zulassungsverfahren ergänzend zu Labormessungen Tests im realen Betrieb vorgesehen, doch auch dann bedarf es einer unabhängigen Kontrolle im Nachgang  – auch diese Messungen könnten nämlich manipuliert werden.

Jeder muss Kontrollmessungen nachvollziehen können

Die Ergebnisse solcher Kontrollmessungen müssen veröffentlicht werden, ebenso die Daten, die für diese Messungen erforderlich sind. Derzeit verstecken sich Behörden und Hersteller hinter der Ausrede, Daten wie der Rollwiderstand eines Fahrzeuges seien geheim und müssten es bleiben – in den USA finden sich die Angaben auf den Webseiten der einzelnen Modelle. Da es sich bei diesen Daten um wichtige Informationen mit konkretem Bezug zu unser aller Gesundheit handelt, dürfen hier keine falschen Zugeständnisse gemacht werden. 

Auch für Verbraucher müssen sich die rechtlichen Bedingungen ändern. Eine Musterfeststellungsklage könnte es etwa Verbraucherschutzorganisationen erlauben, stellvertretend Interessen der Verbraucher vor Gericht zu vertreten. Die aus solchen 
Verfahren hervorgehenden Urteile gelten dann für alle Betroffenen. Das entlastet auch die Gerichte. In einigen europäischen Ländern ist das schon möglich, in Deutschland bislang nicht. Der deutsche Justizminister hatte einen Entwurf eines solchen Gesetzes Wochen vor der Bundestagswahl vorgelegt. Seither liegt das Papier in einer Schublade im Kanzleramt. Eine der vielen wichtigen Aufgaben also, der sich die neue Regierung stellen muss. Auch auf europäischer Ebene wären Vorgaben hilfreich, die den Mitgliedstaaten zur Einführung entsprechender Regulierungen einen Rahmen geben. 

Der gesamte Sektor steht nicht nur vor dem Hintergrund des Abgasskandals unter Druck, sondern auch mit Blick auf die Einhaltung des Pariser Klimaschutzabkommens. 

Renditen in den Hintergrund stellen

Dafür ist eine Dekarbonisierung des Pkw Sektors erforderlich. Wenn wir bis zum Jahr 2050 mit erneuerbarer Energie unterwegs sein wollen, dann dürfen ab 2035 keine Verbrenner mehr zusätzlich auf den Markt kommen. Das ist 
kein politisches Datum, sondern ein faktisches. Es stellt sich aber die Frage, ob die Branche sich dessen bewusst ist. Der aktuell vorliegende Vorschlag der EU Kommission, den für das Jahr 2021 definierten Flottengrenzwert für CO2 um nur 30% bis 2030 zu reduzieren und auf eine verbindliche Quote für Nullemissionsfahrzeuge zu verzichten, trägt die Handschrift einer Branche, die vielmehr ein „Weiter so“ im Blick hat. Deren Ziel: Wachsende  Renditen aus dem Verkauf schwerer und klimaschädlicher Geländewagen, die als geeignetes Vehikel für den Stadtverkehr beworben werden.