Politik
Umweltschutz – Welche Fragen stellen sich heute?
Etwa ein halbes Jahrhundert ist es her, seit Umweltpolitik als Politikfeld eine eigene Bedeutung erlangt hat, die über den reinen Nachbarschutz hinausgeht. In den Sechziger und Siebziger Jahren des 20. Jahrhunderts rückten Themen wie die Umweltbelastung durch Chemikalien oder die weiträumige Luftverschmutzung in den Fokus der Öffentlichkeit.
Europa und die USA erlebten damals eine Zeit, in der die Wirtschaft in nie zuvor gesehenem Maß wuchs. Die Lösungen für die damit einher gehenden Umweltprobleme waren technologischer Art: In Kohlekraftwerken wurden Anlagen zur Rauchgasreinigung eingebaut, besonders langlebige Chemikalien wurden durch weniger langlebige ersetzt, Kläranlagen wurden errichtet. In den Städten wurden Kohleöfen durch Gasheizungen und Fernwärme ersetzt, und die Luftqualität verbesserte sich rapide. Neue, moderne Industriezweige entstanden, die diese technischen Lösungen entwickelten und bauten.
Mit dem Ölpreisschock von 1973 wurde deutlich, dass das Wirtschaftsmodell des ungebremsten Wachstums an Grenzen stoßen kann. Im Jahr zuvor war das Buch „Die Grenzen des Wachstums“ von Donella und Dennis Meadows erschienen, in dem es auch um die Frage der Verfügbarkeit von Ressourcen ging.
Verschiebung hin zu Ressourcenfragen
Tatsächlich verschoben sich in der Umweltpolitik die Herausforderungen immer mehr hin zu Ressourcenfragen. Nicht mehr der Ausstoß von Schadstoffen stand im Zentrum, sondern der Verbrauch von unwiederbringlichen Gütern: das Aussterben vieler Tier- und Pflanzenarten sowie der Verlust einzigartiger natürlicher Lebensräume; die Ausbeutung von Rohstoffen, die in immer weiter entlegene Gebiete ausgedehnt wurde; die Verbauung und Versiegelung von Boden für Siedlungsgebiete und Verkehrsflächen.
Gleichzeitig war es zu einer Verringerung des wirtschaftlichen Wachstums gekommen. Das Versprechen, dass bei hohen Wachstumsraten auch für die Ärmsten der Kuchen weiterhin größer würde, hielt nicht mehr. In vielen Industriestaaten stieg das Realeinkommen der ärmsten Menschen seit den Neunziger Jahren nicht mehr.
Umweltpolitik verschob sich also von einer technischen Verringerung des Ausstoßes von Schadstoffen hin zu einer Suche nach einem sparsamen Umgang mit Ressourcen, einer Zielsetzung, für die das Modewort „Nachhaltigkeit“ geläufig wurde. In Österreich wurde der Konflikt um die Erhaltung der Donau-Au bei Hainburg zum Symbol für diesen Wandel: Es ging nicht mehr um die Verbesserung der Gewässerqualität, sondern um die grundsätzliche Frage, ob der Erhaltung des Auwaldes der Vorzug vor der wirtschaftlichen Nutzung der Wasserkraft gegeben werden solle.
Prüfung der Umweltverträglichkeit
Zusehends wurde klar, dass es Instrumente braucht, um in derartigen Interessenskonflikten zu vermitteln. 1985 wurde in der EU die erste Richtlinie über Umweltverträglichkeitsprüfungen (UVP) erlassen, ein Planungsinstrument, das seither beständig weiter entwickelt wurde. Heute muss bei allen größeren Infrastruktur- und Industrievorhaben eine UVP durchgeführt werden. An den Konflikten, die sich daran entzünden, lassen sich viele der heutigen umweltpolitischen Herausforderungen illustrieren. So ist eine wichtige Frage: Wer spricht für die Umwelt? Welche Umweltorganisationen, welche Bürgerinitiativen sollen gehört werden? Wie kann sicher gestellt werden, dass ein UVP-Verfahren nicht bloß zur Verzögerung missbraucht wird? Sagt der Gesetzgeber klar genug, welches Schutzniveau erreicht werden muss? Wie ist vorzugehen, wenn durch ein Projekt manche Personen stärker belastet werden und andere Personen gleichzeitig entlastet werden?
Gerade um Infrastrukturprojekte – also etwa Bahnstrecken, Straßenbauprojekte oder Hochspannungsleitungen – entspinnen sich regelmäßig anhaltende Streitigkeiten, die zu sehr langen UVP-Verfahren führen können. Der Wunsch der Betreiber ist verständlich, dass per Gesetz bestimmt wird, dass solche Projekte im öffentlichen Interesse liegen. Damit erhofft man sich einfachere UVP-Verfahren. Das bedeutet aber, dass der Gesetzgeber abwägen kann, welches Projekt realisiert werden soll und welches nicht. Mit einer solchen Planung gibt es in Österreich wenig Erfahrung. Sie hätte den Vorteil, dass sie auch in der Raumordnung berücksichtigt werden könnte. Doch diese ist Aufgabe der Länder, und die notwendige Koordination zwischen Bund und Ländern fehlt.
Mindestens ebensolche Schwierigkeiten bei der Planung und bei der Strategieentwicklung macht die Klima- und Energiepolitik. 2010 ist der Versuch missglückt, eine solche Strategie zu entwickeln, ebenso im vergangenen Jahr. Damit gibt es weiterhin keine österreichische Strategie, wie die europäischen Klima- und Energieziele erreicht werden sollen. Für die neue Bundesregierung ist dies eine große Herausforderung. Wenn sie nicht entschieden handelt, wird Österreich die Treibhausgasziele für 2020 verfehlen. Die Verringerung der Treibhausgasemissionen bis 2030 ist eine noch viel größere Aufgabe.
Klimaziele verlangen Strategie
Im Übereinkommen von Paris einigten sich die Staaten der Welt vor zwei Jahren darauf, dass in der zweiten Hälfte dieses Jahrhunderts netto kein Kohlendioxid mehr ausgestoßen werden soll. Diese sogenannte „Dekarbonisierung“ stellt eine immense Herausforderung dar. Denn etwa 80 Prozent der weltweit verwendeten Energie stammen heute aus fossilen Quellen. Diese Energiemenge muss entweder eingespart werden oder durch erneuerbare Energieträger ersetzt werden. Weder das eine noch das andere kann ohne intensive Gestaltung des Prozesses gelingen. Diese Gestaltung muss strategisch erfolgen.
Was hier notwendig ist, ist ein Verständnis dafür, was überhaupt eine Strategie ausmacht. Neben der Nennung verschiedener politischer Maßnahmen zur Emissionsreduktion braucht es Mechanismen der Abwägung, wenn diese Maßnahmen einander widersprechen. Wichtig ist nicht nur ein langfristiges Ziel bei den Emissionen, sondern für jedes Jahr eine Vorgabe der angestrebten Werte: Emissionsniveaus, Energieverbrauch und produzierte Mengen erneuerbarer Energieträger. Gleichzeitig ist es nötig festzulegen, wie reagiert wird, wenn diese Zwischenziele nicht erreicht werden. Schließlich ist ein wesentlicher Teil der Strategie die Ausrichtung der Maßnahmen an übergeordneten Zielen wie Beschäftigung, Verteilung und wirtschaftlicher Stabilität. Hier wartet viel Grundlagenarbeit auf eine neue Regierung.
An der Klimapolitik zeigt sich ein besonderes Problem der heutigen Umweltpolitik: Sie sprengt den nationalen Rahmen. Während etwa Gewässerreinhaltung eine lokale Aufgabe ist, ist eine Klimapolitik ohne Berücksichtigung der Tätigkeit anderer Staaten völlig sinnlos. Sie ist heute auf der europäischen Ebene angesiedelt, und die internationale Koordinierung wird immer wichtiger. Ein Beispiel soll dies illustrieren: Der internationale Flugverkehr zeigt rasante Wachstumsraten, die Folgen für die globale Erwärmung sind heftig. Doch nicht einmal die EU hat es geschafft, diesem auch nur einen kleinen Beitrag zur Emissionsminderung abzuverlangen.
Heute spielt sich Umweltschutz – allgemein gesprochen – im sparsamen Umgang mit Ressourcen ab. Neben Klimaschutz sind etwa die Erhaltung der Biodiversität oder der Schutz der Weltmeere Beispiele dafür. Für globale Herausforderungen sind internationale Institutionen gefragt, die diese umsetzen. Doch statt der Stärkung der internationalen Dimension im Umweltschutz ist immer öfter eine nationalistische, protektionistische Bewegung zu beobachten. Für die heutigen Umweltziele ist das eine ebenso bedenkliche Entwicklung wie für die Interessen der ArbeitnehmerInnen im Allgemeinen.