Schwerpunkt
Sustainable Development Goals
Hat Österreich eine Vision für 2030?
Während es vielen Menschen heute deutlich besser geht als noch vor wenigen Jahrzehnten, sind Armut, steigende Ungleichheit und die zunehmende Zerstörung des Planeten sowohl in Österreich als auch auf globaler Ebene enorme Herausforderungen. Der derzeitige Kurs, auf dem wir uns als globale Gesellschaft befinden, ist nicht zukunftsfähig. Um diesen Kurs zu korrigieren sind entscheidende Weichenstellungen im Sinne einer sozialen, ökonomischen und ökologischen Nachhaltigkeit nötig. Über drei Jahre haben alle UN-Mitgliedstaaten diskutiert und verhandelt, welche Herausforderungen es in den kommenden 15 Jahren gemeinsam zu bewältigen gilt, um ein gutes Leben für alle Menschen, einschließlich der zukünftigen Generationen, zu ermöglichen. Die Dringlichkeit wurde scheinbar erkannt, denn im September 2015 beschlossen alle 193 UN-Mitgliedstaaten ein Abschlussdokument mit dem deutlichen Titel „Transformation unserer Welt: die Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung“. Darin werden nicht nur die SDGs und ihre Unterziele aufgelistet, es erklären auch alle Staaten ihre Entschlossenheit, „die kühnen und transformativen Schritte zu unternehmen, die dringend notwendig sind, um die Welt auf den Pfad der Nachhaltigkeit und der Widerstandsfähigkeit zu bringen“. Gleich zu Beginn des beschlossenen Textes heißt es: „Diese Agenda ist ein Aktionsplan für die Menschen, den Planeten und den Wohlstand“. Sie soll den universellen Frieden fördern, Ungleichheiten reduzieren und die Welt auf den Pfad der Nachhaltigkeit bringen. Die neue Agenda umfasst eine Vielzahl von Themenbereichen, wobei die meisten davon für sich gesehen nichts Neues sind. Mit den SDGs wurden sie aber nun in einen gemeinsamen, umfassenden und ambitionierten Rahmen gegeben, um die bestehenden Zusammenhänge offenzulegen und die Notwendigkeit, neue Wege zu beschreiten, zu verdeutlichen.
Beispielsweise lässt sich der weltweite Hunger nicht bekämpfen, ohne den Klimawandel in den Griff zu bekommen, ebenso muss Armutsbekämpfung nachhaltig, und nicht auf Kosten der Umwelt, vorangetrieben werden.
Ein gemeinsamer Rahmen für alle
Produktions- und Konsummuster in Europa haben oft soziale, ökologische und ökonomische Auswirkungen in weit entfernten Erdteilen. Um Ungleichheiten zu verringern braucht es sowohl Maßnahmen auf lokaler Ebene als auch globale, systemische Reformen, wie etwa im Bereich Steuerpolitik. Jedes der 17 Ziele steht also in einer unmittelbaren Wechselwirkung zu anderen Zielen. Handlungsfelder sind nicht abgegrenzt voneinander zu sehen, sondern Auswirkungen auf weitere Politikbereiche, auf andere Staaten sowie auf zukünftige Generationen sind zu berücksichtigen. Dies zu bewerkstelligen ist eine enorme Herausforderung für die Politik, die meist von Einzelthemen sowie nationalen und kurzfristigen Interessen geprägt ist. Es ist ein systemischer Ansatz notwendig, um die Beschlüsse in die Tat umzusetzen. Um die Vision der Agenda 2030 zu verwirklichen, müssen Politiker auf allen Ebenen umdenken.
Österreich leistete einen wichtigen Beitrag bei der Erarbeitung der Agenda 2030 und brachte sich sowohl auf UN- als auch auf EU-Ebene in die Verhandlungen ein. Zur UN-Generalversammlung in New York, auf der die Agenda feierlich im September 2015 beschlossen wurde, reisten der Bundespräsident sowie vier MinisterInnen an. Danach war allerdings von der angekündigten „Transformation unserer Welt“ kaum etwas zu bemerken, es wurde weiter „business as usual“ gemacht.
Es gibt keinerlei übergeordnete Strategie, wie die SDGs bis 2030 erreicht werden sollen. Ebenso fehlt Klarheit darüber, welche konkreten, neuen Maßnahmen zur Umsetzung ergriffen werden. In anderen Staaten, wie etwa in Deutschland, wurden die SDGs zur Chefsache erklärt und eine Strategie auf Basis eines öffentlichen Konsultationsprozesses entwickelt. In Österreich beruft man sich auf ein sogenanntes „Mainstreaming“, indem die Bundesregierung alle Ministerien beauftragt „die Prinzipien der Agenda 2030 und ihre nachhaltigen Entwicklungsziele in die relevanten Strategien und Programme einzuarbeiten und gegebenenfalls entsprechende Aktionspläne sowie Maßnahmen zu erstellen“. Die Politik übergibt damit die volle Verantwortung für die Umsetzung der Ziele an die Verwaltung und möchte sich scheinbar nicht weiter mit der Agenda 2030 befassen. Für mutige, neue Wege und Maßnahmen bräuchte es allerdings politischen Willen und entsprechende Führungsverantwortung. Ohne politische Steuerung besteht zudem die Gefahr, dass Wechselwirkungen und potentielle Zielkonflikte kaum adressiert werden. Sichtbar wird dies beispielsweise in einer im März veröffentlichten „Darstellung“ der Beiträge der Bundesministerien. Hier werden einzelne Maßnahmen zu den jeweiligen SDGs beispielhaft dargestellt, die meisten davon gab es allerdings auch schon vor dem Beschluss der Agenda 2030. Eine strukturierte Vorgehensweise, welche alle Ziele und Unterziele adressiert, gibt es scheinbar nicht. Zur Gesamtumsetzung heißt es bloß, die SDGs werden in „effizienter, zielorientierter und eigenverantwortlicher Weise in sämtliche Aktivitäten der österreichischen Politik und Verwaltung integriert“. Wie eine strukturierte und lückenlose Umsetzung gesichert wird, wer genau wofür zuständig ist, wie man mit Wechselwirkungen umgeht und welche neuen Maßnahmen man in Zukunft setzen wird, bleibt offen. Diese Fragen gilt es aber zu beantworten, um zu zeigen, dass Österreich die Agenda 2030 ernst nimmt.
Österreichs Politiker in Warteposition?
Zivilgesellschaftliche Organisationen haben sich bereits bei den Verhandlungen der Agenda 2030 eingebracht und sich stets für eine Verknüpfung von sozialen, ökologischen und ökonomischen Aspekten eingesetzt. Deutlich wird dies unter anderem dadurch, dass es vermehrte sektorübergreifende Zusammenarbeit zwischen NGOs gibt. Als Dachverband der entwicklungspolitischen und humanitären NGOs setzte sich die AG Globale Verantwortung schon während der Verhandlungsphase für ein umfassendes Rahmenwerk ein, welches ein menschenwürdiges Leben für alle sichern soll. Die AG Globale Verantwortung ist auch Gründungsmitglied der zivilgesellschaftlichen Plattform „SDG Watch Austria“ welche im September 2017, zum zweiten Jahrestag des SDG-Beschlusses, präsentiert wird. Diese hat es sich zum Ziel gesetzt, die Verwirklichung der SDGs durch Österreich, sowohl auf nationaler als auch auf internationaler Ebene, voranzutreiben und zu unterstützen. Bereits im Jänner 2017 forderten 144 NGOs in einem gemeinsamen Brief alle Mitglieder der Bundesregierung auf, die in der Agenda 2030 enthaltenen Visionen als übergeordneten Leitfaden für politisches Handeln in allen Bereichen österreichischer Politik umzusetzen. Es wurde ein rascher Start der Umsetzung gefordert und konstruktive Vorschläge für weitere Schritte gemacht. Demnach sollte mit einer umfassenden Bestandsaufnahme und Lückenanalyse begonnen werden, um festzustellen, wo Österreich bei den einzelnen Zielen und Unterzielen steht und wo es noch weiteren Verbesserungsbedarf gibt. Diese Analyse sollte Grundlage für eine übergeordnete Strategie sein, die politische Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten klar regelt. Ebenso wie eine themenübergreifende politische Koordinationsstelle werden Transparenz und Partizipation als Notwendigkeiten erachtet – nicht zuletzt weil diese Punkte zentrale Elemente der Agenda 2030 sind. Bisher wurden die Vorschläge nicht berücksichtigt, es bleibt jedoch die Hoffnung, dass eine neue Regierung das Potenzial der SDGs erkennt, eine positive Zukunftsvision forciert und entsprechend langfristige und zukunftsfähige Politik macht. In Zeiten von steigender Unsicherheit und wachsendem Nationalismus zeigt die neue Agenda einen Weg auf, dass ein menschenwürdiges Leben für alle möglich ist, Globalisierung im Sinne aller Menschen gestaltet werden kann, dass wir gemeinsam einen neuen globalen Gesellschaftsvertrag verwirklichen können und dass zukünftige Generationen in einem intakten Ökosystem aufwachsen werden.