Schwerpunkt
Neue Bahnen
Der Straßenverkehr hat einen Wettbewerbsvorteil
Der ÖBB-Fahrplan ist zuletzt ausgeweitet worden, aber fehlt es für die Umsetzung nicht an Beschäftigten und rollendem Material?
Wir hatten im Frühjahr aufgrund der verspäteten Zugauslieferungen einen Engpass an Wagenmaterial. Das haben wir soweit wieder im Griff und wir erwarten in den nächsten Jahren weitere 330 neue Züge. Allerdings sind Baustellen in Österreich und ganz Europa weiterhin ein Problem, insbesondere im benachbarten Deutschland. Das wird uns auch in den kommenden Jahren beschäftigen. Auf der Personalseite haben wir das Glück, dass wir als Arbeitgeber als attraktiv gelten und eine eigene Lehrlingsausbildung mit 2.000 Lehrlingen haben. Aber wie die restliche heimische Industrie kämpfen wir natürlich um qualifizierte Arbeitskräfte. Wir investieren daher viel Energie ins Recruiting und in unsere Arbeitgebermarke und in Mitarbeiter:innenbindung. In besonders nachgefragten Berufen versuchen wir mit innovativen Ideen am Arbeitsmarkt aufzutreten. So hat beispielsweise im Frühling unser „Job Shop” in Wien Mitte The Mall eröffnet, wo der:die Job-Interessierte ohne Anmeldung vorbeikommen kann, um sich ganz einfach über einen Job zu informieren.
Wünschen Sie sich in diesem Zusammenhang manchmal eine mehr vorausschauende und intensiver planende Politik?
Ich habe hohes Vertrauen in die Politik, das sehe ich nicht zuletzt in der Infrastrukturplanung der Eisenbahn. Da schauen wir zehn bis zwanzig Jahre voraus. Zuletzt haben wir das Zielnetz 2040 gemeinsam mit der Politik entwickelt. Das ist übrigens ein Prozess, um den uns Nachbarländer beneiden.
Mit ihrem „Mobilitätsmasterplan“ will die Regierung, dass in Zukunft 40 Prozent des gesamten Güterverkehrs mit der Bahn erledigt wird, derzeit droht der Anteil allerdings sogar auf 25 Prozent zu sinken. Auf der Brennerautobahn wird der Lkw-Verkehr ab 2025 wegen der Sanierung eingeschränkt. Was können die ÖBB dann „liefern“?
Sie bohren in meinen Wunden. Obwohl der sogenannte Modalanteil im Schienengüterverkehr in Österreich einen Rekordwert in Europa darstellt, ist er auf 27 Prozent gesunken. Hier könnte die Politik tatsächlich etwas tun, denn aus meiner Sicht ist der Straßenverkehr deutlich im Wettbewerbsvorteil. Denken Sie nur daran, dass die Strompreise für den Zug noch immer sehr hoch sind, während sich der Dieselpreis wieder auf Vorkrisenniveau eingependelt hat. Der Lkw fährt meist nahtlos über Grenzen und um Streckensperren herum. Die Arbeitsbedingungen der Lkw-Fahrer sollten uns aber zu denken geben: Während sich die Bahnbranche streng an österreichische Mindeststandards hält, hat man oft den Eindruck, dass die Lkw-Branche das nicht so eng sieht. Was die Sanierung der Brennerautobahn betrifft, rechnen wir dennoch mit mehr Nachfrage für die Leistungen der Rollenden Landstraße (ROLA). Im Zeitraum der Sperren und Baustellen und werden alles dafür tun, für möglichst viele Lkw eine Alternative zu bieten. Denn jede Tonne Fracht, die transportiert wird, braucht auf der Schiene 30-mal weniger CO2 als auf der Straße.
Die Gewerkschaft vida fordert Zugbegleiter:innen in jedem Zug, weil dies Sicherheit und Service erhöht. Wie sehen Sie die Chancen dafür?
Zugbegleiter:innen sind die Visitenkarte der ÖBB und stehen für unsere Fahrgäste für Service und Sicherheit. Im Fernverkehr haben wir in jedem Zug Zugbegleiter:innen und zusätzlich Servicepersonal fürs Catering. Im Nahverkehr geben grundsätzlich die Verkehrsdiensteverträge (VDV) vor, in welchen Zügen Zugbegleiter:innen sind und in welchen nicht. Angesichts des problematischen Verhaltens mancher Fahrgäste wären uns mehr Zugbegleiter:innen bzw. Securities auf bestimmten Strecken durchaus recht. Dies müsste jedoch von unseren Bestellern beauftragt werden.
Die ÖBB sehen Regierungen kommen und gehen, die mal mehr und mal weniger bahnfreundlich sind. Wie gelingt es die erreichten Fortschritte abzusichern?
Das sehe ich anders. Ich habe in den letzten Jahren viele Regierungen kommen und gehen sehen. Allein in meiner Amtszeit als CEO hatte das Verkehrsministerium drei unterschiedliche Farben. Und alle haben die Bahn unterstützt. Das muss auch einmal gesagt werden. Ich wünsch‘ mir von der nächsten Regierung, dass diese Einstellung erhalten und die ÖBB ein rot-weiß-rotes Leitunternehmen bleiben.
Wie stehen Sie zur Liberalisierung im Bahnsektor?
Zum einen zeigt sie, dass Wettbewerb den Markt belebt und Innovationen vorantreibt. Die Züge der Westbahn sind voll – und unsere auch. Das ist gut! Aber ich trete für Liberalisierung mit Augenmaß ein. Die Direktvergabe ist in vielen Fällen die sinnvollste und effizienteste Variante, nämlich dort, wo kein eigenwirtschaftliches Angebot machbar ist und hoher Regionalbezug eines Eisenbahnverkehrsunternehmens (EVU) besteht. Ausschreibungen sind teuer und brauchen lange Vorbereitung. Das zahlt sich für große Verkehrsaufträge wahrscheinlich aus, nicht aber für jede regionale Strecke. Daher muss die Möglichkeit zur Direktvergabe weiter erhalten werden, immer mit dem Ziel ein leicht zugängliches Bahnangebot für unsere Fahrgäste bereitzustellen. Zudem braucht es bei der hohen Anzahl an Zügen im österreichischen Netz Struktur und Ordnung, um möglichst viel Kapazität aus der der Infrastruktur „herausholen“ zu können. Wenn Trassen voll liberalisiert von jedem Eisenbahnverkehrsunternehmen nach Belieben bestellt werden können, vernichten wir wertvolle Trassenkapazitäten der Infrastruktur und damit unser aller Steuergeld.