Schwerpunkt

Neue Bahnen

Unsichere Zukunft trotz Rekordzahlen: Was unsere Bahnen jetzt brauchen

Der Grund für den Höhenflug der Bahnen liegt einerseits in gestiegenen Energie- und Treibstoffpreisen, ausgelöst durch den Angriffskrieg Russlands, andererseits im langfristigen Kurs der österreichischen Eisenbahnpolitik. Nicht zuletzt leistete die Verkehrsgewerkschaft vida in der Phase des euphorischen Neoliberalismus (1990er-Jahre bis zur Finanzkrise 2008) erfolgreich Widerstand. Das Ergebnis: Die Liberalisierung der Bahn konnte nur so weit durchgesetzt werden, wie es durch die rechtlichen EU-Vorgaben absolut notwendig geworden war. Auch blieben die Investitionen in die Bahninfrastruktur im europäischen Zusammenhang vergleichsweise hoch. Welchen Unterschied das macht, lässt sich regelmäßig bei Reisen mit der Deutschen Bahn erfahren, die eine gegenteilige Entwicklung durchlief (siehe Schwerpunkt-Artikel "Die verfehlten Verheißungen des Wettbewerbs").

Auf dieser Basis konnte Klimaministerin Leonore Gewessler nach ihrer Angelobung 2020 wichtige Schritte in Richtung einer Mobilitätswende setzen: 2021 führte die Bundesregierung das Klimaticket ein, das Pendler:innen mit guter Anbindung an den öffentlichen Verkehr eine günstige Mobilität ermöglicht. Der ÖBB-Rahmenplan 2024-2029 sieht beachtliche Investitionen von mehr als 21 Milliarden Euro vor, um das Schienennetz weiter zu modernisieren und auszubauen. Außerdem haben die ÖBB unter Verantwortung von Ministerin Gewessler die Nachtzugverbindungen ausgebaut.

Da aber die Bundesregierung insgesamt nicht bereit war, mit den marktliberalen Prinzipien zu brechen, die die Verkehrspolitik in den letzten Jahrzehnten bestimmt haben, bleibt die Mobilitätswende instabil und zu langsam. Die im Februar 2024 notwendig gewordene Fahrplanausdünnung offenbart strukturelle Mängel, auf die AK und Gewerkschaft vida immer wieder hingewiesen haben: Aufgrund mangelnder finanzieller Ausstattung fiel die Personalsituation im Fahrdienst und in den Werkstätten immer weiter hinter die Service- und Fahrplanausweitung zurück.

Aus den Fehlern der Vergangenheit lernen

Ähnliches lässt sich bei der Ausstattung mit Schienenfahrzeugen beobachten: Der von der Europäischen Kommission seit drei Jahrzehnten verfolgte Ansatz der Liberalisierung, der mit dem Versprechen von Effizienz und Entbürokratisierung einherging, hat sich empirisch als falsch erwiesen. Nicht nur bei der Vergabe von Bahnleistungen, sondern auch bei der Beschaffung von Fahrzeugen sind die Verfahren aufwändiger und durch Einsprüche und Gerichtsverfahren langwieriger und weniger planbar geworden. Genauso wenig existiert eine Produktionspolitik, die sicherstellt, dass das für die Ausweitung der Fahrpläne notwendige Wagenmaterial auch rasch genug, regional und sozial-ökologisch hergestellt wird. Hinzu kommt, dass Reisezugwaggons aus Kostengründen vorschnell ausgemustert wurden. All dies führt dazu, dass unsere Bahnen derzeit zu wenig Material haben, um die gesetzten Ziele auch nachhaltig und langfristig erreichen zu können.

Da die Bundesregierung ihre klima- und verkehrs­politischen Maßnahmen nicht mit einer entsprechenden wirtschafts- und beschäftigungspolitischen Strategie untermauerte, fehlt es an ausreichendem Personal und Schienenfahrzeugen.  Nur durch enormen Einsatz, Überstunden und viel Stress können die Beschäftigten unsere Bahnen am Laufen halten. Damit droht das Ziel der Bundesregierung, die Kapazitäten auf der Schiene bis 2040 zu verdoppeln, verfehlt zu werden. Bei der Bahn zeigt sich:  Ökologische Ziele bleiben unerreichbar, wenn dabei soziale und wirtschaftspolitische Fragen ausgeblendet werden. 

Ein Beispiel dafür ist der 2021 veröffentlichte „Mobilitätsmasterplan“. Er legt wichtige verkehrspolitische Ziele fest, hinter die auch die nächste Bundesregierung nicht zurückfallen darf. Neben der Verdoppelung der Kapazitäten im Personen- und Güterverkehr auf der Schiene bis 2040 ist dies vor allem die Umkehrung des Modalsplits zwischen motorisiertem Individualverkehr und Umweltverbund (den aufeinander abgestimmten umweltverträglichen Verkehrsmitteln) von heute noch rund 60 zu 40 Prozent auf 40 zu 60 Prozent. Allerdings findet sich weder im Mobilitätsmasterplan noch in anderen Strategiedokumenten ein wirtschaftspolitischer Fahrplan, wie diese Ziele auch zu erreichen sind. Die wenigen aufgeführten wirtschaftspolitischen Maßnahmen, die sich im Mobilitätsmasterplan finden, verbleiben ganz im marktliberalen Paradigma: Grüne Finanzmärkte und eine CO2-Bepreisung sollen es richten. Was man vergeblich sucht: eine beschäftigungs- und sozialpolitische Strategie, um dem demografischen Wandel und den durch die Mobilitätswende notwendigen Ausbau der Beschäftigung mit aktiver Arbeitsmarktpolitik und guten Arbeitsbedingungen zu bewältigen.

Sieben Weichenstellungen für die Bahn der Zukunft

Wir alle haben ein Recht auf gute und nachhaltige Mobilität und unsere Bahnen müssen dessen Rückgrat sein. Doch dieses Recht kann nur durch eine Verbindung der sozialen und ökologischen Frage durchgesetzt werden. Die kommende Bundesregierung muss sich daher nicht nur daran messen lassen, ob sie die Ziele des „Mobilitätsmasterplans“ und des „ÖBB-Rahmenplans“ beibehält, sondern muss diese unbedingt auch durch eine wirtschafts- und sozialpolitische Strategie für unsere Bahnen zu ergänzen, damit die gesteckten Ziele überhaupt erreicht werden können. Dazu gehören sieben zentrale Weichenstellungen:

1 Offensive Beschäftigungspolitik und bessere Arbeitsbedingungen 

Nur mit guten Arbeitsbedingungen, höheren Löhnen und ausreichenden Ausbildungsplätzen wird es gelingen, das notwendige Personal für die Mobilitätswende und die Bewältigung des demografischen Wandels zu gewinnen. Dazu bedarf es einer aktiven und mit entsprechenden Mitteln ausgestatteten Arbeitsmarktpolitik. Schichtpläne und Arbeitszeiten müssen zudem eine bessere Vereinbarkeit von Arbeit und Privatleben ermöglichen. Gleichzeitig muss die tatsächliche Arbeitszeit manipulationssicher durch eine unabhängige Kontrollbehörde überwacht werden. 

2 Sicherheit und Komfort durch qualifiziertes und ausreichendes Personal

Sicherheits- und Ausbildungsstandards dürfen nicht weiter nach unten nivelliert werden, sondern sollten im Interesse der Beschäftigten und Fahrgäste auf höchstem Qualitätsniveau innerhalb der EU harmonisiert werden. Teil dessen muss sein, dass kein Zug ohne Zugbegleiter geführt wird und Züge mit vielen Fahrgästen von mindestens zwei Zugbegleiter betreut werden. Dies erhöht die Sicherheit aller und ermöglicht die Unterstützung von Menschen mit besonderen Bedürfnissen (insbesondere von Älteren und Menschen mit Behinderung). Statt menschenleerer „Geisterbahnhöfe“ braucht es personell gut ausgestattete „Mobility Hubs“ als Umsteigedrehscheiben mit Sanitär- und Ruheräumen für Beschäftigte und Fahrgäste. Mehr Personal bedeutet mehr Zuverlässigkeit, mehr Komfort und gute Kommunikation – das macht Bahnfahren noch attraktiver. Die höheren Kosten müssen den Eisenbahnunternehmen nicht zuletzt durch eine Anpassung der Verkehrsdiensteverträge abgegolten werden.

3 Die Mobilitätswende durch aktive Industriepolitik regional, sozial und ökologisch produzieren

Schon heute steht Österreich im Bereich der Eisenbahnindustrie mit 15.000 Beschäftigten gut da. Damit auch in Zukunft die für den Ausbau unserer Bahnen notwendigen Produkte – wie Schienenfahrzeuge, Signaltechnik und Schienen – schnell genug, möglichst regional und mit guten Arbeitsbedingungen hergestellt werden können, braucht es eine aktive und planende Wirtschaftspolitik. Damit unsere Eisenbahnindustrie entsprechend ausgebaut wird und die zunehmende Digitalisierung noch besser umsetzen kann, muss sich die Bundesregierung dafür einsetzen, dass auch die Eisenbahnindustrie als „wichtiges Vorhaben von gemeinsamem europäischem Interesse“ definiert wird und dafür öffentliche Beihilfen erhalten kann. Bei Ausschreibungen braucht es verpflichtende Kriterien für regionale Wertschöpfung, soziale Arbeits- und ökologische Produktionsbedingungen und eine Beschleunigung der Vergabeverfahren. Mit entsprechenden Weiterbildungs- und Umschulungsmaßnahmen sowie einem planvollen Umbau der Wirtschaft stellt Österreich sicher, dass trotz Krise in der Automobilbranche (z. B. bei Opel, Magna, Steyr Automotive) die industriellen Potenziale erhalten und sogar nachhaltig neu positioniert werden können.

4 Notwendige Investitionen in unsere Bahnen durch einen EU-Transformationsfonds sicherstellen

Sozial-ökologische Investitionen in den Schienenverkehr müssen von den EU-Fiskalregeln ausgenommen werden. Zudem braucht es ab 2026 einen Nachfolger für den Wiederaufbaufonds, damit zusätzliche europäische Mittel für den Ausbau, den Zusammenschluss, die Wiederinbetriebnahme und die Modernisierung des Schienennetzes zur Verfügung stehen.

5 Von der Straße auf die Schiene mit mehr (Steuer-)Gerechtigkeit

Während Unternehmen im Bahnbereich flächendeckend eine Schienenmaut (Infrastrukturbenützungsentgelt) entrichten müssen, gilt die Lkw-Maut derzeit nur für das hochrangige Straßennetz. Dieses umfasst jedoch nur etwa zwei Prozent des gesamten Straßennetzes. Eine flächendeckende Lkw-Maut, wie sie beispielsweise in der Schweiz existiert, würde daher für mehr Kostentransparenz sorgen und die Steuerprivilegien des Straßenverkehrs gegenüber der Schiene verringern. Bei Einführung einer solchen Mautpflicht für jeden gefahrenen Lkw-Kilometer auf der Straße wäre mit zusätzlichen Einnahmen von etwa 500 Millionen Euro zu rechnen. Weitere 700 Millionen Euro könnten durch die vollständige Ausschöpfung des unionsrechtlichen Spielraums (Wegekosten-RL) bei Lkw-Mautaufschlägen für CO2-Emissionen, Luftverschmutzung und Lärmbelastung eingenommen werden. Damit könnte der Schwerverkehr auf der Straße einen fairen Beitrag zur Finanzierung der Mobilitätswende leisten. Als Gegenfinanzierung auf EU-Ebene bietet sich u. a. eine Kerosinsteuer in der EU oder zumindest in möglichst vielen EU-Ländern an. Darüber hinaus braucht es Kontrollen mit Biss und eine Auftraggeberhaftung, die der Frächterlobby den Anreiz zu Lohn- und Sozialdumping, zum Verstoß gegen Lenk- und Ruhezeiten und zur Überschreitung der Geschwindigkeitsbegrenzungen nimmt. 

6       Mehr Investitionen in den Güterverkehr

Nahezu desaströs hat sich die Liberalisierung im Bereich des Schienengüterverkehrs ausgewirkt. Sein „Marktanteil“ sollte laut der ursprünglichen Ziele steigen, sinkt aber immer weiter. Jahrzehntelang bestand das Geschäftsmodell der Staatsbahnen darin, mit sogenannten Ganzzügen – die „in einem Stück“ von A nach B fahren – ausreichend Gewinn zu machen, um damit den arbeits- und kostenintensiven Einzelwagenverkehr betreiben zu können. Durch die Eisenbahnliberalisierung kam es zu einem Rosinenpicken: Die profitablen Ganzzügen übernahmen mehrheitlich private Anbieter. Das mühselige „Gröscherlgeschäft“ des Einzelwagenverkehrs überließ man den Staatsbahnen, die es wegen seiner Kostenintensität kontinuierlich zurückfuhren. Große Hoffnung wird in den Einsatz der „Digitalen Automatischen Kupplung“ (DAK) gesetzt. Sie könnte die Bildung von Güterzügen effizienter und damit kostengünstiger machen und damit der Billigkonkurrenz durch den Lkw-Verkehr Paroli bieten. Für eine rasche Implementierung der DAK ist eine öffentliche Finanzierung nach Schweizer Vorbild notwendig. Förderungen allein werden aber nicht reichen. 

7 Demokratie statt Liberalisierung

Wir benötigen eine Eisenbahn, die für uns alle da ist und unsere Mobilitätsbedürfnisse abdecken kann. Deshalb braucht es mehr Mitbestimmung darüber, wo Strecken ausgebaut werden und in welcher Taktung die Bahnen fahren sollen. Statt einem profitgetriebenen Wettbewerb nach unten braucht es eine zielgerichtete Orientierung an den Bedürfnissen der Fahrgäste. Ebenso müssen die Beschäftigten, ihre Interessen und ihr Wissen in den Aus- und Umbau der Bahnen einbezogen werden. Deshalb wollen wir als AK die Bahnen weiterhin im öffentlichen Eigentum sehen und lehnen weitere Liberalisierungstendenzen der Europäischen Kommission entschieden ab (siehe Schwerpunkt-Artikel "Mobilitätswende aufgleisen"). Die öffentliche Hand muss auch künftig entscheiden können, welches Bahnunternehmen es mit dem Betrieb nicht kostendeckender Bahnverkehre betraut und nicht gezwungen sein, diese auszuschreiben. Dass dies möglich ist, hat die AK mit rechtlichen Gutachten bewiesen.

Der Zeitpunkt ist jetzt: Richtungsentscheidung für unsere Bahnen

Die bevorstehenden Nationalratswahlen und die darauffolgende Regierungsbildung werden erheblichen Einfluss auf die Zukunft unserer Bahnen haben. In der letzten Legislaturperiode konnten zwar erste Akzente in Richtung Mobilitätswende gesetzt werden, weil die Bundesregierung dabei aber die Wirtschafts- und Sozialpolitik ausgeblendet hat, erfolgten bisherige Änderungen auf dem Rücken der Beschäftigten und bleiben daher instabil. Wie prekär die Lage der Bahn ist und dass sogar ein Kollaps nicht ausgeschlossen werden kann, zeigt die jüngere Geschichte. Vor gut zwei Jahrzehnten kam es ebenfalls nach Wahlen zur Zerstücklung der ÖBB in zahlreiche Teilunternehmen, es folgten Personalabbau, Regionalbahnschließungen und die Bestellung eines teilweise unfähigen Managements. Entwicklungen, die bis heute negativ nachwirken und Österreich als Bahnland geschwächt haben. 

Die wichtige Richtungsentscheidung bei der Nationalratswahl lautet daher: Wird der eingeschlagene Weg einer Mobilitätswende durch eine Sozial- und Wirtschaftspolitik unterfüttert und vertieft – oder gehen wir zurück? Eine neue Regierung hat jedenfalls die Chance unsere Bahnen als Hebel für den notwendigen sozialen und ökologischen Umbau einzusetzen. Eine entsprechend ausgestattete Bahn kann als attraktiver und ökologischer Arbeitgeber Sicherheit in einer sich turbulent wandelnden Gesellschaft bieten. Durch eine aktive und planende Forschungs-, Vergabe- und Produktionspolitik können fossile Sektoren rascher geschlossen und Österreichs industriellen Potentiale verstärkt in die Eisenbahnindustrie gelenkt und dadurch gesichert werden. 

Aufbauend auf den Stärken des österreichischen Kurses in der Eisenbahnpolitik könnten die Bahnen zum Herzstück eines Rechtes auf gute und nachhaltige Mobilität werden. Ein Recht, das es allen Menschen ermöglicht, ihre Arbeits- und Alltagswege komfortabel, kostengünstig und frei vom Zwang zum eigenen Auto zurückzulegen. Ein Recht, das ermöglicht, wertvolle Flächen den Menschen und der Natur zurückzugeben. Ein Recht, das Fahrgäste und Verkehrsbeschäftige in den Mittelpunkt rückt und nicht Profite.