Schwerpunkt

Klimaziele & Verkehr

Vollbremsung im Namen des Klimaschutzes

Statt zu sinken, sind die Emissionen im Verkehrsbereich in den letzten drei Jahrzehnten um 74,4 Prozent gestiegen. Da der CO2-Ausstoß der Großindustrie und der Energieversorgung über den europäischen Emissionshandel geregelt wird, muss sich Österreich selbst nur um die „restlichen“ 50,2 Millionen Tonnen Treibhausgase (2019) kümmern. Davon stammt aber fast die Hälfte aus dem Verkehrsbereich. Es liegt also auf der Hand, dass die Mobilität eine Schlüsselrolle bei der zukünftigen Dekarbonisierung Österreichs einnimmt. Die Ursachen liegen hierzulande eindeutig beim Straßenverkehr, von dem 99 Prozent der 24 Millionen Tonnen an Treibhausgas-Emissionen stammen. Der Rest geht auf die Bahnen, das Bundesheer, den Schiffsverkehr und die Inlandsflüge zurück.

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Brüssel, wir haben ein Problem!

Beim Straßenverkehr wiederum stammen fast zwei Drittel des Ausstoßes vom Personenverkehr; der Rest von Lkw. Das steile Wachstum der vergangenen Jahre hat im Wesentlichen zwei Ursachen: Einerseits stieg die Anzahl der Fahrzeuge und der zurückgelegten Kilometer massiv an; sowohl im Personen- als auch Güterverkehr. Andererseits 
führt die hierzulande niedrige Dieselbesteuerung dazu, dass rund ein Viertel der rechnerischen Verkehrsemissionen durch Tanktourismus entsteht. Österreich kassiert also für den Treibstoff, der in anderen Ländern verfahren wird, die Mineralölsteuer, aber auch den CO2-Ausstoß. Etwas dämpfend wirkte sich auf die Klimabilanz die Beimengung von Biotreibstoffen aus. Technologischer Fortschritt, der zu effizienteren Motoren führen sollte, wurde durch den Trend zu immer schwereren und PS-stärkeren Autos weitgehend zunichte gemacht; der grassierende SUV-Boom zeigt dies. Nicht in der Bilanz enthalten – aber trotzdem klimaschädigend – sind die von Österreich verursachten internationalen Flüge, die sich 2019 – also vor der Pandemie – mit zusätzlich 2,9 Millionen Tonnen zu Buche schlugen.

Angebot schafft Nachfrage

Auf diesen steilen Zuwachs an Emissionen muss eine noch steilere Abnahme folgen, faktisch eine Vollbremsung. Laut „Mobilitätsmasterplan“ des Klimaministeriums wird dem Verkehrssektor langfristig nur ein Drittel der derzeitigen Energie zur Verfügung stehen. Die gute Nachricht lautet, dass unser Verkehrsverhalten sehr ineffizient und somit das Reduktionspotenzial gewaltig ist. So ist der sauberste und billigste Verkehr jener, der nicht stattfindet. Der widerspenstige Verkehrsplaner Herrmann Knoflacher meinte einmal überspitzt: „Verkehr ist Ausdruck des Mangels. Wenn ich etwas vor Ort nicht vorfinde, muss sich mich dorthin bewegen, wo der Job oder das Geschäft ist.“ Die Verkehrspolitik kann also nur auf die räumlichen Gegebenheiten reagieren. Als Folge einer falschen bzw. fehlenden Raumplanung legen die Menschen immer größere Entfernungen zurück. Mobiler werden wir dadurch nicht. Wir haben genauso viele Wege wie unsere Großeltern und sind dabei auch in etwa gleich lang unterwegs. Einkaufszentren und Fabriken auf der grünen Wiese, unerschwinglicher Wohnraum in den Städten, sowie Zersiedelung der Landschaft machen uns zu Europameister*innen in Sachen Bodenversiegelung. Mobilitätsbedürfnisse werden so zu Zwängen pervertiert. Hinzu kommt eine dementsprechende Infrastrukturpolitik. Seit 1990 ist das Autobahn- und Schnellstraßennetz der ASFINAG um 26 Prozent auf 2.250 km angewachsen, der Pkw-Verkehr folgerichtig um 47 Prozent. Das Bahnnetz ist hingegen massiv geschrumpft. Wie eine repräsentative Umfrage des Market-Instituts im Auftrag des VCÖ zeigt, sehen sieben von zehn Österreicher*innen den Ausbau von Autobahnen und Schnellstraßen im Widerspruch zu den Klimazielen.

Verlagern ist das Schlüsselwort

Gehen und Radfahren ist weitgehend umweltneutral; obendrein gesund und billig. E-Bikes erweitern den Aktionsradius zusätzlich. 60 Prozent aller Autofahrten sind kürzer als zehn Kilometer. Diese könnten also durchaus – außer bei Schnee und Sturm – auf Zweiräder verlagert werden. Damit bewegungsaktive Mobilität beliebter wird, braucht es die entsprechende Infrastruktur. So sind in Wien 40 Prozent aller Gehsteige schmäler als die empfohlenen zwei Meter. In Kleinstädten und Dörfern ist die Situation noch schlimmer. Dementsprechend wenig wird in ländlichen Regionen gegangen. Zum Radeln benötigt man attraktive Radwege und diebstahlsichere Abstellmöglichkeiten. Öffentliche Verkehrsmittel sind um ein Mehrfaches klimaverträglicher und energieeffizienter als der Pkw. Die ÖBB planen ihre Transportkapazitäten – sowohl beim Personen- als auch Güterverkehr – bis zum Jahr 2040 zu verdoppeln. Der – dann elektrifizierte – Pkw-Verkehr soll kontinuierlich auf das Niveau der 1990er-Jahre zurückgehen. Werden derzeit österreichweit rund 40 Prozent aller Wege im Umweltverbund (Gehen, Radeln, ÖV) zurückgelegt und 60 Prozent mit dem Auto, so soll sich laut Klimaministerium dieses Verhältnis nämlich bis 2040 umdrehen. Das entlastet nicht nur die Umwelt, sondern auch die Geldbörse. Mit dem neuen Klimaticket kostet Öffi-Fahren rund 92 Euro im Monat. Laut ÖAMTC liegen die durchschnittlichen Pkw-Kosten bei 455 Euro pro Monat. Doch nicht nur die individuelle Belastung würde sinken: Die Universität Graz hat errechnet, dass eine Mobilitätswende – trotz kostspieligem Öffi-Ausbau – auch volkswirtschaftlich billiger wäre, als der derzeitige Zustand. Wir können uns also eine zukunftsfähige Verkehrspolitik durchaus leisten!

Diese notwendigen Änderungen werden aber nicht konfliktfrei verlaufen. Altbekannte Gewohnheiten und Bequemlichkeiten müssen über Bord geworfen werden. Das Auto wird von vielen als erweitertes Wohnzimmer erlebt, das man nicht gerne gegen andere Moblitätsformen eintauschen möchte. Radfahren wird häufig als gefährlich angesehen. Um den Umweltverbund auszubauen benötigt man Platz, der – speziell in Städten – nur auf Kosten des Autoverkehrs geschaffen werden kann. Dieser wird unattraktiver werden. Und im ländlichen Raum bedarf es einer Mobilitätsgarantie, die es ermöglicht, Alltagswege ohne den Zwang zum eigenen Pkw zurückzulegen. Nicht zuletzt sollten Unternehmen stärker in die Pflicht genommen werden, für eine ökologische Anreise ihrer Beschäftigten und Kund*innen zu sorgen: Betriebliches Mobilitätsmanagement ist ein Gebot der Stunde!

Der Verbesserungs-Hype

Ein Grundprinzip in den Verkehrswissenschaften ist die „Dreifaltigkeit“ aus (1) Verkehr vermeiden, (2) verlagern und (3) verbessern. Interessanterweise geht es in der öffentlichen Diskussion aber meist nur um das Verbessern in Form von Elektroautos. Dies ist wohl der Lobbying-Arbeit der Kfz-Indu­strie geschuldet. Da bei einem Verbrennungsmotor der Großteil der freigesetzten Energie aus Abwärme besteht, ist ein Elektroantrieb natürlich viel effizienter. Wie ökologisch ein E-Auto tatsächlich ist, hängt von drei Parametern ab: (1) Größe (und damit Reichweite) der Batterie, (2) Stromherkunft bei der Batterieherstellung und (3) Strommix für den Fahrbetrieb. Das Umweltbundesamt hat errechnet, dass ein E-Pkw – je nach Sauberkeit des Antriebstromes – rund ein Drittel bis die Hälfte der Treibhausgas-Emissionen eines Verbrenners verursacht. Da gerade die Produktion eines E-Pkws einen großen ökologischen Rucksack mit sich trägt, wäre hier eine hohe Nutzungsintensität (z.B. Sharing-Modelle) vorteilhaft. Ein durchschnittlicher Pkw steht täglich 23 Stunden herum. Ein Zweitauto in der Familie wird gerade einmal eine halbe Stunde pro Tag gefahren. Selbst wenn ein Auto bewegt wird, liegt der durchschnittliche Besetzungsgrad nur bei 1,15 Personen, Tendenz fallend. E-Mobilität könnte auch schon seit vielen Jahren im städtischen Gewerbeverkehr (Taxis, Post- und Paketdienste, Handwerker, Lieferungen zu Geschäften und Supermärkten) eingesetzt werden. Die europäische Kfz-Industrie zeigte aber die längste Zeit kein Interesse, solche Fahrzeuge zu produzieren.

Zu Lande, zu Wasser und in der Luft

Güter- und Flugverkehr weisen eine Reihe von Parallelen auf: Beide dienen im globalisierten Kapitalismus gleichsam als Schmiermittel. Sie müssen möglichst billig sein und wachsen, damit Produkte und Dienstleistungen genau dort erzeugt bzw. erbracht werden, wo es am kostengünstigsten und gewinnbringendsten ist. Niedrige Transporttarife gehen zumeist auf Kosten der Verkehrsbeschäftigten und der Umwelt. Daher ist es auch kein Zufall, dass sich im Lkw-, Schiffs- und Flugverkehr die Arbeitsbedingungen laufend verschlechtern, diese Branchen aber gleichzeitig mittels zahlreicher Steuerprivilegien subventioniert werden.

In einer dekarbonisierten Wirtschaft sollte sich das Transportvolumen verringern. Langlebige und reparaturfähige Produkte, Kreislaufwirtschaft und Recycling, sowie Regionalisierung würden dafür sorgen. Der Lkw-Verkehr sollte verstärkt auf die Schiene verlagert werden. Gleichzeitig wird das Transportaufkommen von typisch „bahnaffinen“, jedoch klimaschädlichen Gütern – wie Stahl, Kohle und Zement – stark zurückgehen. Die Potenziale der Bahn liegen also im Einzelwagen- und Containerverkehr. Ob die verbleibenden Lkw mittels Batterien, Wasserstoff oder E-Fuels betrieben werden, hängt wohl vom Einsatzgebiet ab.

Die Luftfahrt ist – abgesehen von den Weltraumflügen durchgeknallter Milliardäre – die energie- und CO2-intensivste Fortbewegungsart der Menschen. Kurz einmal nach London oder Barcelona zu jetten („weil es so billig ist“), wird hoffentlich zum Auslaufmodell. Laut Eurocontrol gehen 70 Prozent der Flüge von Europa über Distanzen von weniger als 1.500 Kilometer. Hier gibt es ein Verlagerungspotenzial zu Hochgeschwindigkeits- und Nachtzügen. Allerdings sind diese Flüge nur für ein Viertel der luftfahrtbedingten Emissionen verantwortlich. Bei den Langstreckenflügen muss es also zu drastischen Reduktionen, sowie den Einsatz von E-Fuels kommen. Prof. Günter Embacher, Verkehrsplaner der TU Wien, brachte es bei einer Konferenz heuer auf den Punkt: „Wir haben bislang eine nachfrageorientierte monomodale Angebotsplanung betrieben. Jetzt ist aber Zielorientierung gefragt“. Die generelle Frage lautet also: Welche Mobilität benötigen wir für ein gutes Leben tatsächlich? Und wieviel Verkehr können wir uns mit dem verbleibenden Energie- und CO2-Budget überhaupt noch leisten?