Schwerpunkt
Problemstoff Plastik
Plastik im Kreislauf – Ausweg aus dem Plastozän?
Die global produzierte Kunststoffmenge ist in den letzten 70 Jahren stark gestiegen – auf etwa 360 Millionen Tonnen 2018. Damit hat sie sich seit 1976 versiebenfacht. Nur in der europäischen Kunststoffindustrie stagniert das pro Jahr produzierte Volumen. Rund 1,5 Mio. Arbeitnehmer*innen sind da beschäftigt und erzielen Umsätze von rund 340 Mrd. Euro. jährlich. Weltweit sollen seit 1950 über 8 Mrd. Tonnen Kunststoffe hergestellt worden sein – das Meiste in den letzten Jahren. Und für die nächsten 20 Jahre rechnet die Branche mit einer Verdoppelung der jährlichen Produktion, die schon zur Hälfte in Südostasien passiert.
Weniger ruhmvoll lesen sich die Abfallstatistiken: Anders als bei Papier, Glas oder Metallen wird das Recyclingpotenzial von Kunststoffen kaum genutzt. Zwischen 1950 und 2015 sollen weltweit 6,3 Mrd. Tonnen Kunststoffabfälle angefallen sein, wovon nur 9 Prozent recycliert, 12 Prozent verbrannt und der Rest von 79 Prozent deponiert worden oder sonstwie in die Umwelt gelangt sein soll. Alleine in Europa fallen jährlich 25,8 Mio. Tonnen Kunststoffabfälle (2015) an, von denen nur 30 Prozent fürs Recycling gesammelt werden. Vor ein paar Jahren hat China noch 90 Prozent der Kunststoffabfälle aus Europa aufgenommen bzw. gingen 50 Prozent der weltweit exportieren Kunststoffabfälle nach China, das aber ab 2018 die Einfuhr drastisch eingeschränkt hat. Das hat aber nicht nur den Druck aufs Recycling in Europa sondern vor allem die Gefahr von neuen Ausweichdestination in Fernost und Afrika erhöht, wie jüngste Berichte zeigen. Dabei waren „Exporte zum Recycling“ schon bisher mit dem Geruch verbunden, dass man nicht sicher sein konnte, ob Recycling am Zielort auch tatsächlich stattgefunden hat. Die Länder, die heute für 50 Prozent der Weltproduktion von Plastik stehen – China, Vietnam, Indonesien, Thailand und die Philippinen – sind schätzungsweise auch für 50 Prozent des unkontrollierten Kunststoffeintrags in die Weltmeere verantwortlich.
Plastikeintrag in die Umwelt
Noch unsicherer ist die Datenlage zum unkontrollierten Eintrag von Kunststoffen in die Umwelt. Dabei ist davon auszugehen, dass sich Kunststoffe schon überall in der Umwelt und folglich in Organismen und den Nahrungsketten finden. Davon zeugen Berichte über Plastik im Blut oder menschlichen Organen, oder in Bier oder Meersalz. Studien zu Mikro- und Makroplastik in Flüssen und Meeren oder Berichte über Plastik aus verendeten Walen oder Seevögeln sowie Studien zum „Plastikgehalt“ von Quallen oder Seevögeln gibt es ebenfalls. So findet sich etwa in 95 Prozent der Eissturmvögel, die den Nordostatlantik bevölkern, Plastik im Magen, im Schnitt 30 Stück pro Tier. Wie unerwartet die Wege sind, zeigt die ARTE-Doku aus 2017 „Plastik überall – Geschichten vom Müll“, die den Umweltaktivisten Merijn Tinga auf seiner Reise des Kunststoffs ins Meer begleitete. Er reiste mit seinem Surfboard aus alten Plastikflaschen von der Quelle bis zur Mündung des Rheins, um für ein Pfand auf Einwegplastikflaschen zu werben (https://plasticsoupsurfer.org/). Die Pointe, als er Quellwasser trank, um darzustellen, wie rein das Wasser dort ist, misslang: Denn auch im Tomasee, der idyllisch auf 2344 Meter Seehöhe liegt und als Quelle des Rheins gilt, finden sich schon Tenside und Mikroplastik, die offenbar über Luft, Regen und Schmelzwasser dorthin gelangen.
Der meist süße Geschmack und auch die Optik von Kunststoffteilen führen dazu, dass Tiere Plastik mit Nahrung verwechseln und später daran verenden. Oft verhungern sie so mit vollem Magen, echtes Futter hat keinen Platz mehr im Verdauungstrakt.
Auswirkungen zu wenig erforscht
Unklar sind auch die mittel- und langfristigen Folgen der Allgegenwart von Mikroplastik für Gesundheit und Umwelt. Dazu und wo der Großteil des unsachgemäß entsorgten Plastiks überhaupt hingekommen ist, besteht noch viel Forschungsbedarf für den es aber zu wenig Geld gibt. Konzerne wollen solche Forschung nur ungern unterstützen. Doch die öffentliche Meinung zum Plastik hat sich gewandelt. Seit Filmen wie der schon 2009 erschienenen, weltweit gezeigten Kinodoku „Plastic Planet“ gibt es kaum mehr jemanden, der nicht weiß, dass hier ein Problem vorliegt. Dass wir Plastik überall in den Naturkreisläufen finden, ist eben nicht die Kreislaufwirtschaft, die sich moderne, der Nachhaltigkeit verschriebene Politik vornimmt. Die will das Gegenteil: Plastik von überall fernhalten, wo es nicht hingehört. Das ist kein leichtes Unterfangen.
Ohne verbindliche Regulierungen lässt sich bei Kunststoffen nichts bewegen. Nicht von ungefähr stehen Kunststoffe ganz oben auf der politischen Agenda, wenn es um mehr Kreislauforientierung in Produktion und Konsum geht. So hat die Europäische Kommission nach dem ersten Kreislaufwirtschaftspaket 2015 in einer eigenen, mit straffem Zeitplan versehenen Mitteilung Anfang 2018, ihre „Strategie für Kunststoffe in der Kreislaufwirtschaft“ (COM(2018) 28 final) dargestellt.
Ausgehend von einem anzustrebenden Zukunftsbild für die Kunststoffwirtschaft beschreibt sie die Ansatzpunkte für mehr Kunststoffrecycling, zur Eindämmung der Kunststoffabfälle und gegen die Vermüllung der Umwelt vor allem mit Mikroplastik, will u.a. kompostierbare, biologisch abbaubare Kunststoffe fördern und identifiziert den Handlungsbedarf auf der globalen Ebene. Die Mitteilung beschönigt nichts. Sie beleuchtet nur etwas zu überschwenglich die Chancen für die Europäische Kunststoffwirtschaft. Die angesprochenen Branchen würden ja gerne weithin den Fokus nur auf die Chancen des Werkstoffes, der als Wachstumsmarkt gilt, legen und haben wenig Lust, die „bittere Pille“ zu schlucken. Denn Hersteller werden den Einsatz von Recyclat signifikant steigern müssen. Die Kommission hat zu einer EU-weiten Selbstverpflichtungskampagne aufgerufen, damit bis 2025 zehn Mio. Tonnen Recyclat den Weg in neue Produkte in der EU finden. Doch Herstellerpflichten werden kommen müssen, denn bis Ende 2018 sind gerade mal nachfrageseitige Zusagen von 5 Mio. Tonnen bei der Kommission eingegangen. Einen ersten Probelauf enthält schon die mittlerweile umzusetzende EU-Richtlinie zur Verringerung von Einwegplastik (Single-Use-Plastic- oder SUP-Richtlinie). Die sieht vor, dass PET-Getränkeflaschen im nationalen Schnitt zu zumindest 30 Prozent aus Recyclat bestehen müssen. So etwas war bisher freiwilligen Initiativen wie z.B. der österreichischen Nachhaltigkeitsagenda der Getränkewirtschaft vorbehalten. Doch zu der gibt es auch Kritik: Dass ausgewählte Getränkehersteller hier exklusiven Zugang zu Recyclat haben, während die Kosten im ARA-Sammelsystem vergemeinschaftet sein dürften, stellt eine ungerechtfertigte Benachteiligung anderer Getränkehersteller dar.
Der Weg ist noch steinig
Wie weit der Weg vom Zukunftsbild der Kunststoffwirtschaft bis hin zu wirksamen Maßnahmen sein dürfte, zeigen alleine die Grabenkämpfe um die Einführung eines Pflichtpfands auf Einwegkunststoffflaschen in Österreich, wie dies auch die SUP-Richtlinie fordert. Denn die Großformen des Lebensmittelhandels, die sich sonst gern als Hüter der Nachhaltigkeit geben, setzen hier auf maximale Verhinderung und Verzögerung. Denn sie wissen die Politik des großen Partners in der Regierung hinter sich und können so auch vermeintliche Kostensteigerungen durch ein Pfandsystem behaupten, ohne dafür Nachweise vorlegen zu müssen.
Stattdessen wird ein 10-Punkte-Programm der Wirtschaft als „Chance für die Kreislaufwirtschaft“ inszeniert, das in Wahrheit über business-as-usual kaum hinausgeht und nur maximale Interessendurchsetzung im Auge hat, und zwar gegen den erklärten Wortlaut der SUP-Richtlinie: Denn man will weder ein Pfandsystem, gleichzeitig aber auch keinesfalls für die Kosten des Wegräumens der gelitterten Getränkeflaschen und -dosen in Österreich tragen, die bei den Gemeinden und Städten anfallen. Und die notwendige massive Intensivierung der Getrenntsammlung, damit die Sammelziele der SUP-Richtlinie doch eingehalten werden können, sollen sich die Gemeinden und Städte selber zahlen. In einer faktenbasierten Debatte würde solches Ansinnen als schlicht unverschämt zurückgewiesen werden. Dabei muss man sich noch vor Augen halten, dass ein Pfandsystem ja nur ein erster Schritt unter vielen wäre … Das Plastozän, das Plastikzeitalter, wäre damit auch noch lange nicht abgewendet.